Theatergruppe aus dem St. Johannesstift Ershausen
Dem Hass auch heute entgegentreten
Die Theatergruppe vom St. Johannesstift Ershausen nahm die Verbrechen in der Nazi-Zeit zum Thema. Damit erinnerten sie auch an die Menschen mit Behinderung aus ihrem Haus, die umgebracht wurden.
Propst Hartmut Gremler, der Bischöfliche Kommissarius für das Eichsfeld, dankt dem Ensemble aus Ershausen. | Foto: Christine Bose |
Es ist Dezember 1942. Die Niederlande, in denen die Geschichte angesiedelt ist, sind von den Deutschen besetzt. Der Pfarrer hat die dritte Kerze am Adventkranz angezündet, als es an der Tür des Pfarrhauses klingelt. Eine fremde Frau bringt ein kleines jüdisches Mädchen, dessen Eltern bei einer Razzia verschleppt wurden. Sie sucht eine vorübergehende Bleibe für das Kind, verschwindet so schnell, wie sie gekommen ist. Für den Pfarrer und seine Haushälterin steht fest: Sie werden die kleine Susanne beherbergen und beschützen, als seine Nichte. „Mama und Papa sind verreist“, weiß das Mädchen.
In der friedlichen Atmosphäre des Pfarrhauses schaltet der Geistliche das Radio ein. Laute, durchdringende Tonaufnahmen aus der Zeit des Nationalsozialismus erschrecken die Zuschauer. Gnadenlos marschiert eine Gruppe durch die stillen Straßen, wild entschlossen, Böses zu tun. Die Gesichter verdeckt mit Masken. Ihr Auftreten verursacht Beklemmung und Gänsehaut. Glücklicherweise geht das Theaterstück nach der Erzählung „Die Flucht nach Ägypten“ des holländischen Autors Anton Coolen gut aus.
Im Januar wurde das Stück in der Heiligenstädter St. Aegidien-Kirche aufgeführt. Eine Weihnachtsgeschichte im herkömmlichen Sinn sei das nicht, hob die Leiterin der Theatergruppe des St. Johannesstiftes in Ershausen Katharina Baudisch hervor, die das Stück mit den dort lebenden Frauen und Männern mit Behinderung in Szene gesetzt hat. Sie sagt: „Die Handlung biete erschreckende Parallelen zu unserer Zeit, in der immer noch viele Menschen Opfer sinnloser Gewalt durch Krieg, Terror, Völkerhass und Fremdenfeindlichkeit werden.“
Erinnern wollen die Akteure aber auch an die 93 Menschen aus dem St. Johannesstift im Eichsfelddorf Ershausen, die der Euthanasie der Nazis zum Opfer fielen. In dieser Einrichtung – gegründet 1884 – leben und arbeiten Erwachsene mit geistigen und mit Mehrfachbehinderungen. Einigen von ihnen spielen Theater, denn hier besteht seit mittlerweile 21 Jahren das von Mitarbeiterin Katharina Baudisch gegründete Ensemble. Immer im Spätherbst, zum Tag der offenen Tür, überraschen die Frauen und Männer mit einer neuen Aufführung. Da herrscht zur Premiere ein riesiger Besucherandrang in der Kapelle. Aber die Gruppe tritt auch außer Haus auf. Seit einigen Jahren geht es in zwei Kleinbussen bis nach Nordrhein-Westfalen, nach Bad Lippspringe und nach Borchen, um die Ordensschwestern zu besuchen, die im St. Johannesstift tätig waren.
Zum Ende der Theatersaison – auch das hat sich zur Tradition entwickelt – wird das aktuelle Stück in der Heiligenstädter St. Aegidien-Kirche gezeigt. Mit ganzem Herzen waren die Darstellerinnen und Darsteller dabei, gaben ihr Bestes, forderten zum Schluss ihr Publikum auf zum Mitsingen und Mitklatschen, trugen kleine Glasgefäße, in denen sie Kerzen angezündet hatten, in jede Kirchenbank. Ihr Einsatz verdient sehr viel Anerkennung. Katharina Baudisch lobte die selbstständige kreative Arbeit der ihr anvertrauten Menschen, ihre originellen Ideen und klugen Gedanken zum jeweiligen Stück. Alle hörten zu ihrer großen Freude zum Abschluss von Propst Hartmut Gremler: „Ihr seid bei uns für nächstes Jahr wieder eingeplant, ihr gehört dazu.“
Von Christine Bose