Ordensfrau hilft im Ahrtal

Den Flutopfern einfach zuhören

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„Gott ruft mich an einen anderen Ort“, sagt Schwester Simone Remmert. Die Ordensfrau verlässt Ende April die Grafschaft Bentheim. Sie geht ins Ahrtal, um Menschen zu helfen, die noch immer unter den Folgen der Flut leiden.

 


Zeit für ein Gespräch: Das war Schwester Simone auch bei der Arbeit im Nordhorner „Kirchenschiff“ wichtig. Foto: Anna Schulten

Die Koffer sind gepackt, die neue Wohnung ist gemietet. In diesen Tagen zieht Schwester Simone Remmert die Tür des Emlichheimer Pfarrhauses hinter sich zu und fährt ins Ahrtal. Knapp vier Jahre war sie bis heute im Bistum Osnabrück unterwegs: als Mitglied des pastoralen Teams in der Niedergrafschaft, als Notfallseelsorgerin, als engagierte Mitarbeiterin im Kloster Frenswegen und vor allem in der Nordhorner Stadtpastoral. 

Jetzt schlägt die 61-Jährige ein neues Kapitel auf. Sie will den Menschen im Ahrtal, die noch immer unter den Folgen der Flutkatastrophe vom Sommer 2021 leiden, zur Seite stehen. Ihr Orden, die Congregatio Jesu, stellt sie für diesen Einsatz im Raum Ahrweiler frei und finanziert den kompletten Unterhalt. „Das ist wie eine lebendige Spende in diese schwer betroffene Region“, sagt Simone Remmert und ist ihrer Gemeinschaft dafür sehr dankbar. „Ich kann das, was Gott in mich gelegt hat, jetzt an anderer Stelle einsetzen und dahin- gehen, wo die Not am größten ist.“

Und was genau wird sie dort machen? Bei dieser Frage schmunzelt die Ordensfrau ein wenig, denn es gibt keine ausformulierte Arbeitsplatzbeschreibung oder einen Plan, den sie Punkt für Punkt abhaken muss und möchte. „So ganz exakt kann ich das nicht sagen“, erklärt sie – und hat dann doch konkrete Ideen. „Ich will einfach da sein. Die Leute können mich ansprechen für was auch immer sie mich gerade brauchen.“ Absichtslose Präsenz – dieser Begriff trifft es ihrer Ansicht nach ganz gut. 

"Das macht schon Bauchkribbeln, so etwas hatte ich noch nie"

Einsteigen möchte sie „ohne irgendein Bohei“ eher unauffällig über praktische Hilfe im Alltag. Das kann die Fahrt einer Seniorin zum Arzt sein oder zwei Stunden Kinderbetreuung, damit die Eltern das Dach ihres Hauses neu eindecken können. Selbst einen Knopf anzunähen oder eine Hose zu kürzen, passt für Schwester Simone in diese Präsenzseelsorge, „die einfach passiert“. 

Denn aus solchen Begegnungen können sich Momente ergeben, bei denen die Menschen irgendwann sagen: „Ich muss jetzt über was reden.“ Und dafür will sie sich ohne Blick auf die Uhr Zeit nehmen, will auch mal zwei Stühle auf den Friedhof stellen und einfach warten, ob sich jemand dazusetzt. Und dann zuhören. Ob solche Angebote angenommen werden, ob sie überrannt wird von Anfragen oder eben nicht – das alles weiß sie nicht. „Das macht schon Bauchkribbeln, so etwas hatte ich noch nie“, sagt sie. Aber Schwester Simone will sich einfach beim dortigen Helferteam melden und „tun, was zu tun ist“. 

Das passt zu ihrem Leitspruch, den sie über ihr Leben und ihre Arbeit stellt: „Gott suchen und finden in allem.“ Für die neue Aufgabe bringt sie dabei reichlich Erfahrung aus vielen früheren Stationen mit. Sie stammt aus Fulda, hat eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und zuerst in einer heilpädagogischen Einrichtung gearbeitet. 1984 tritt sie in die Congregatio Jesu ein, studiert Sozialpädagogik und leitet zunächst mehrere Kinderheime des Ordens. Später ist sie unter anderem in einem jugendpastoralen Zentrum in Hannover tätig, dann als Noviziatsleiterin und bis zum Wechsel in die Grafschaft Bentheim als pastorale Mitarbeiterin im Bistum Trier – dort mit den Schwerpunkten geistliche Begleitung und Exerzitien. Diese Bereiche waren für sie auch im Bistum Osnabrück wichtig. Und sie sollen es künftig bleiben, nicht nur im Ahrtal. „Danach kann man mich weiter fragen.“ 

Vor diesem neuen Weg, den die 61-Jährige nun einschlägt, liegt ein längerer Prozess des Nachdenkens, Betens, Hörens auf Gottes Ruf und zuweilen auch des Haderns damit, was er ihr sagen will. „Das ist meine eigene Bibelgeschichte“, skizziert Remmert die vergangenen Monate. Anfang des Jahres 2021, vor allem nach persönlichen Exerzitien im Frühjahr, spürt sie: „Irgendwas brütet in dir, Gott hat noch etwas anderes mit dir vor.“ 

"Es gibt Leute, die bekommen Panik, wenn sie nur Regentropfen hören"

Sie verschließt sich diesem Drängen nicht, meditiert Schriftstellen durch und fühlt sich nach manchen unsicheren Momenten, in denen „Kopf und Herz streiten“, mehr und mehr bestärkt in dem, was ihr immer wichtig ist: neue Wege in der Kirche beschreiten, trotz des Risikos des Scheiterns etwas wagen, sich den Menschen persönlich zur Verfügung stellen: „Mit dem, was ich bin.“ Und sie überlegt, ob es möglich sein kann, dass sie künftig ganz frei anfragbar ist für Seelsorge, Gespräche, Kurse, Exerzitien, Begleitung, Lebenshilfe: Von überall, für jede und jeden. „Wer immer etwas braucht.“ 

Dass diese Idee dann doch eine konkretere Richtung nimmt, empfindet sie als glückliche Fügung. Der Orden gibt grünes Licht und schlägt einen „Brennpunkt-Ort“ für diese neue Stelle vor – das von der Flut betroffene Ahrtal. Remmert hat dort Freunde und Bekannte von früher – und die freuen sich über die Nachricht, dass sie kommt, „wie nur was“. Denn Monate nach der Katastrophe droht die Not aus dem Blick zu geraten. Die Menschen brauchen weiter materielle und zunehmend immaterielle Hilfe. Die Bilder vom Wasser, das Menschen, Existenzen und Erinnerungen mit sich reißt, haben sich eingebrannt und kommen jetzt, nachdem die schlimmsten Aufräumarbeiten erledigt sind, erst richtig hoch. Remmert ahnt, welche Narben das auf der Seele hinterlassen hat. „Es gibt Leute, die bekommen Panik, wenn sie nur Regentropfen hören.“

Die Ordensfrau weiß, dass sie in Ahrweiler und in den Orten rundherum von vielen solcher Traumata hören wird. Eine Frist hat sie sich deshalb bewusst nicht für ihre Aufgabe gesetzt: „Es dauert so lange, wie es dauert.“ Und trotz aller Ungewissheit, wie es „wirklich laufen wird“, fühlt sie sich für diesen Pfad begleitet und getragen von ihrer Gemeinschaft, von Freunden und vor allem von ihrem Vertrauen, dass Gott sie wieder einmal auf die richtige Spur gesetzt hat. „Alles ist so gekommen, wie es verheißen war. Was soll ich mich also sorgen?“, sagt sie mit heiterer Gelassenheit. Und dabei zieht ein sachtes Lächeln über ihr Gesicht.

Petra Diek-Münchow