Neuer Studiengang in Regensburg

Den Tod studieren

Nicht nur Bestatter haben mit dem Sterben zu tun. Auch Medizin und Theologie, das Recht und die Kunst kümmern sich darum. In Regensburg fasst demnächst ein neuen Studiengang all diese Fächer zusammen.

Foto: kna/Axel Mölkner-Kappl
Der Tod ist auch in der Kunst ein Thema: Skelett mit Sense aus Bronze auf einem Grab auf einem Nürnberger Friedhof. Foto: kna/Axel Mölkner-Kappl


In Deutschland sterben jedes Jahr rund 900 000 Menschen. „Sterben ist das große Zukunftsthema einer alternden Gesellschaft“, sagt Rupert Scheule, Diakon und Professor für Moraltheologie an der Universität Regensburg. Die Kirchen, sagt er, würden immer noch wahrgenommen als „Kompetenzzentren für Sterben und Abschied, Tod und Trauer. Wir haben einen großen weisheitlichen Schatz im Umgang mit diesen großen Fragen.“ 

Das möchte er nutzen und hat sich zusammen mit Kollegen für den interdisziplinären Masterstudiengang „Perimortale Wissenschaften“ starkgemacht. „Perimortal“ ist ein Kunstwort, das die Phase um den Tod herum bezeichnen soll.  „An der Uni wollen wir den gesamten Aktionsradius rund um den Tod in den Blick nehmen“, sagt Scheule. Und der beginne „ab dem Zeitpunkt, in dem klar wird, dass ein Mensch sterben wird, und geht über seinen Tod hinaus“.

Als Diakon wird Scheule erst gerufen, wenn ein Mensch gestorben ist: Die Angehörigen wollen ein Trauergespräch, der Beerdigungsgottesdienst muss vorbereitet werden. Er sagt: „Ich wünsche mir, schon früher Kontakt zu den betroffenen Familien zu haben. Dann könnte ich die Menschen noch ganz anders begleiten.“

In der „Schleuse zwischen Tod und Beerdigung“ werde dann viel falsch gemacht, kritisiert Scheule: Beerdigungsinstitute neigten zur Routine. „Wenn die Mitarbeiter von Krematorien vor allen Dingen ihre Arbeit sehen und die Leichname nicht mehr wahrnehmen können als Symbole für ein ganzes Leben, das in diesem Körper verbracht wurde, läuft etwas schief.“ 

Besser nicht munter zutexten

Die Menschen, die in der Totenversorgung arbeiten, ob im Krematorium oder im Bestattungsinstitut, bräuchten dringend mehr Unterstützung, auch seelsorgerliche. Genauso benötigten viele Geistliche eine professionelle Schulung im Umgang mit Tod und Sterben. Wenn ihnen „perimortale Kompetenz“ abginge, neigten sie dazu, Sterbende und Trauernde „mit munteren Auferstehungsbotschaften zuzutexten“. 

Die Zeit ist reif für einen solchen Studiengang. Denn, so Scheule, die hohen Zeiten der Todesverdrängung seien seiner Einschätzung nach vorbei. Gute Bestatter, Palliativmediziner und gute Hospize hätten das erkannt. 
Auch eine Umfrage unter jungen Studierenden habe ergeben, dass sie „sehr interessiert“ an dem Thema seien. Sterben ist ein wichtiger Teil des Lebens, nicht der beste, „aber er gehört zum Leben dazu“, sagt der evangelische Theologe Michael Fricke, der ebenfalls an der Entwicklung des Studiengangs mitgearbeitet hat. „Wer in Ruhe gehen will, sollte nicht erst am Ende auf sein Leben zurückblicken.“ Diese Erkenntnis hätten die Studierenden laut Umfrage gewonnen, und sie seien auch deshalb offen für diesen Studiengang.

Und wie soll der Studiengang ablaufen? Am Anfang klärt ein Beratungsgespräch die Eignung der Bewerber für den Masterstudiengang. Begonnen wird dann mit selbstreflexiven Seminaren, denen theologische Fragen folgen. In einem weiteren Modul soll eng mit der medizinischen Fakultät zusammengearbeitet werden. „Ein Arzt kann uns sagen, wie der Tod physiologisch abläuft“, sagt Fricke. Außerdem geht es um juristische Fragen wie etwa Erbschaftsrecht und Friedhofsordnungen und um eine Kulturgeschichte des Abschiednehmens. Der Studiengang umfasst vier Semester; in Teilzeit studiert, dauert er länger.

Es gibt ein Vorbild aus den USA

Die Idee, den Tod in das Studium einzubeziehen, ist nicht gänzlich neu. In New Jersey in den USA beispielsweise befassen sich Studentinnen und Studenten seit 15 Jahren mit dem Tod, in einem Seminar für alle Fachrichtungen. Ein guter Teil des Seminars sind Exkursionen, so beschreibt es Erika Hayasaki in ihrem Buch „Death Class“ (Todesklasse): auf den Friedhof, zu einem Bestatter, in ein Hospiz, zu einer Obduktion. Das hat Folgen. So würden nach dem Seminar viele der Mittzwanziger ihr Leben ändern. Sie trennten sich von ihren Partnern, wechselten ihr Studienfach. Oder riefen einfach nur ihre Eltern an. Sie täten, kurz gesagt, was vielen erst dann einfalle, wenn es zu spät sei.

Wer den Tod studiert, hat eine gute Chance, ihm ausgesöhnt zu begegnen, sagt der evangelische Theologe Michael Fricke. „Dann ist aus der Kunst des Sterbens eine Kunst des Lebens geworden.“ Und das sei „Spiritualität für die ganze Gesellschaft“.

Zur Sache

Den Masterstudiengang „Perimortale Wissenschaften“ kann man ab dem Wintersemester 2020/21 studieren. 30 Studierende werden aufgenommen, etwa Absolventen der Pädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin und Theologie, aber andere Fachrichtungen sind denkbar. Er soll Vollzeit oder (für bereits Berufstätige) Teilzeit studiert werden können. Genaue Informationen werden Anfang 2020 auf der Homepage der Universität bereitgestellt:
www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/perimortale-kompetenz

Gabriele Ingenthron