Einfach mal die Welt retten...

Der andere könnte Recht haben

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Die Jahresserie der Kirchenzeitung trägt 2022 den Titel „Einfach mal die Welt retten“. Es geht um konkretes Handeln in den Bereichen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Heute richten wir den Blick auf den „Meinungskrieg“ in der katholischen Kirche. Aus betonierten Stellungen heraus – im Flügelkampf von Beharrern und Reformern – wird der je anderen Seite auch mal das Katholischsein abgesprochen. Wir haben Delegierte auf dem Synodalen Weg gefragt: Wie kann es gelingen, dass Getaufte im Geiste Jesu miteinander nach Lösungen suchen für eine Kirche, die Lehre und Leben zusammenbringt? Auf dass mehr Frieden wird …



Wer kann Brücken bauen – über die tiefen Meinungsgräben in der katholischen Kirche hinweg?


„Es bedarf der redlichen Auseinandersetzung mit den Texten“

Martin Buhl, Mitglied des Katholikenrats im Bistum Mainz und ZdK-Delegierter auf dem Synodalen Weg:

Im Moment erlebe ich die Fronten zwischen den progressiven und konservativen Lagern in der katholischen Kirche als so verhärtet, dass ein echter Dialog im Blick auf die Themen des Synodalen Wegs kaum möglich erscheint.
Ich bin sehr skeptisch, ob es zu einer Verständigung mit den konservativen Vertretern (Laien und Geistlichen) kommen kann. Für sie sind Veränderungen grundsätzlich nicht notwendig und auch nicht möglich. Aber sowohl ein Basta-Lehramt, das angesichts der strukturellen Defizite der Kirche den Status-Quo bewahrt, als auch verleumderische Unterstellungen, der Synodale Weg ziele auf eine deutsche Nationalkirche und erkenne Grundwahrheiten der Kirche nicht an, sind nicht zielführend, um einen offenen Dialog zu ermöglichen.
Vielmehr bedarf es einer intellektuell redlichen Auseinandersetzung mit den Texten des Synodalen Wegs, die ich bisher zumindest von den Kritikern vermisse.
Da die Grundtexte in erster Linie für die weltkirchliche Diskussion verfasst sind, müssen sie für theologische Laien verständlich zusammengefasst und für das interessierte Kirchenvolk zur Verfügung gestellt werden. Auf dieser Grundlage können in den Diözesen und den Pfarreien Dialogräume geschaffen werden, in denen das Anliegen des Synodalen Wegs, seine Zielsetzung, die Argumente und die konkreten Veränderungsvorschläge gut ins Gespräch gebracht werden – zumindest für die Willigen.
Und ich halte es für zwingend not-wendig, dass die Bischöfe sowohl die Reformen, die sie selbst verantworten können, in ihren Diözesen umsetzen als auch die Forderungen des Synodalen Wegs mit Nachdruck in den weltkirchlichen Dialog einbringen. Der Bericht der Deutschen Bischofskonferenz zur Weltbischofssynode ist dafür schon ein guter Anfang.

 

„Vertrauen wächst im persönlichen Gespräch“

Dr. Barbara Wieland arbeitet in der Forschungsstelle für die Geschichte des Bistums Limburg an der Universität Frankfurt:

Die Diskussionen um den zukünftigen Weg der Kirche scheinen festgefahren. Viel zu oft wird übereinander gesprochen, sei es in Zeitungsbeiträgen oder in Posts in den sozialen Medien. Pandemiebedingt findet ein Großteil der Überlegungen über die anspruchsvollsten Themen in Videokonferenzen statt. In dieser Weise lassen sich Grundfragen unserer Kirche und unserer Gemeinden zwar ansprechen, aber nicht lösen.
Synodalität als Grundhaltung meint das Beschreiten des gemeinsamen Weges, im Glauben und im Leben. Wer gemeinsam gehen will, gerade wenn das Gelände unwegsam ist, muss sich gut kennen und aufeinander verlassen können. Vertrauen fällt nicht vom Himmel, es wächst im persönlichen Gespräch, durch das Teilen der biblischen Botschaft, das Gebet, die Segensbitte. Wenn der Konflikt am größten ist und die Meinungen ungebremst aufeinanderprallen, wird das oft als Zeitverschwendung angesehen.
Wer sich schon auf dem Weg befindet und offen streitet, welches Ziel gerade angesteuert wird, ob es sinnvoll ist, Wegmarken zu beachten oder ob nur der Blick in die Sterne die Richtung weist, sollte dringend eine Rast einlegen und nicht weiterrennen. Noch so verfahrene Situationen sind dann lösbar, wenn wir einander in Ruhe zuhören – dann finden wir das Gemeinsame. Und wenn wir wieder aufbrechen, dann werden wir alles jetzt bereits Machbare Schritt für Schritt erledigen, und im Gehen überlegen, wie wir das, was uns jetzt noch unmöglich scheint, angehen. Gott geht mit uns, er wird nicht alle unsere Wünsche erfüllen aber alle seine Verheißungen.

 

„Dialog auch außerhalb der eigenen Meinungsblase“

Marcus C. Leitschuh, Lehrer in Kassel und Mitglied im Zetralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK):

Viele Debatten sind zu meinungsstark und faktenschwach. Und: Hass, Häme, Lügen und das Absprechen des Katholischseins ist was es ist, aber keine Meinung. Synodalität heißt, der andere könnte Recht haben, hat Kardinal Marx formuliert. Er muss nicht, aber er kann.
Das fordert heraus. Christinnen und Christen sollen im Dialog nicht das eigene Vor-Urteil pflegen. Hinhören bedeutet, dass Aussagen des Gegenübers wiederholen zu können – bevor man selbst kommentiert. Hinsehen verpflichtet, in konkreten Beschlusstexten zu lesen, nicht der eigenen Fantasie zu folgen. Bilden ist Dialog, auch außerhalb der eigenen Meinungsblase.
Ich habe schon auf Podien mit Vertretern von „Maria 1.0“ debattiert. Fair, offen, freundlich und bemüht, dem anderen nicht abzusprechen, dass er aus dem gemeinsamen Glauben heraus lebt und argumentiert. Ich habe zwei Bücher zum Synodalen Weg mit herausgegeben, in denen unterschiedliche Meinungen vorkommen. Es geht. Wenn man Dialog will und nicht nur bei Facebook vor sich hin tippt und auf „gefällt mir“-Klicks Gleichgesinnter hofft.
Meinungsbildung hat etwas mit bilden und Bildung zu tun. Mit Offenheit, Neues zu lernen. Wenn ein Statement zur Synodalversammlung schon vor deren Beginn im Rechner getippt ist, ist das keine Meinungsbildung, wie auch quellenlose Behauptungen in Sozialen Medien. Wer schreibt, was in seinen Augen nicht katholisch ist, muss zwingend Blicke in die Theologie der Kirche werfen, nicht nur eigene Frömmigkeit zum Maß aller Dinge machen.

 

„Andere Fragen stellen und andere Geschichten erzählen“

Paulina Hauser, Referentin für Weltkirche im Bischöflichen Generalvikariat in Fulda:

In „Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ beschreibt die nigerianische Schriftstellerin Adichie, dass wir oft nur eine einzige Seite, eine einzige Geschichte eines Menschen kennen und wir diese Person dann auf diese einzige Geschichte reduzieren.
Wenn wir wissen, dass jemand arm ist, reduzieren wir ihn auf seine Armut; wenn wir wissen, dass er oder sie eine bestimmte Überzeugung hat, nehmen wir ausschließlich diese wahr. Was sonst noch alles in der Person steckt, welche Hoffnung sie trägt, wie sie sich für die Umwelt, die eigene Familie oder ein friedliches Zusammenleben einsetzt, sehen wir nicht. Wir erhalten ein verzerrtes Bild von unserem Gegenüber, das Abgrenzung hervorrufen kann.
Das erlebe ich auch in der Kirche: Wenn ich im Zusammenhang mit dem Synodalen Weg ein Interview gegeben habe, war mein Gegenüber meist unzufrieden. Ich war nicht provokant genug, nicht kritisch genug, nicht politisch genug. Meine Antworten waren nicht das, was sich für die Medien gut „verkaufen“ lässt. Umgekehrt fühlte ich mich durch die Fragen begrenzt, weil sie nur einen kleinen Ausschnitt von dem repräsentierten, was vom Synodalen Weg erzählenswert ist.
Um Verhärtungen aufzubrechen, müssen wir andere Fragen stellen als die „heißen Eisen“ und festgefahrenen Debatten. Dann können wir andere Geschichten erzählen von uns, dann finden wir Gemeinsamkeiten für die Zukunft der Kirche und schließlich können wir dann auch nach außen andere Geschichten erzählen, Geschichten von tiefen Glaubenserfahrungen, von Träumen, von Hoffnung und Gemeinschaft.