Ein Christ und ein Muslim in Nigeria
Der Erzbischof und der Emir
Erzbischof Ignatius Kaigama und Muhammadu Sambo Haruna, Emir von Wase, zeigen sich bei gegenseitigen Besuchen immer wieder demonstrativ in der Öffentlichkeit. Foto: Hartmut Schwarzbach/missio |
„Einen Schritt vorwärts und danach drei Schritte wieder zurück, so fühlt es sich manchmal an“, räumt der Mann im prachtvollen Gewand ein. Sein vollständiger Name ist Alhaji Muhammadu Sambo Haruna und er ist der Emir von Wase, einer Provinz im Osten Nigerias. wo er als einflussreiche Persönlichkeit gilt. Neben dem Muslim sitzt ein Mann in traditioneller Priesterkleidung: der Erzbischof von Abuja, Dr. Ignatius Ayau Kaigama.
Ein Muslim und ein Christ, beide in leitender Funktion, auf einer Bühne – was hierzulande nicht ungewöhnlich erscheint, ist im von Glaubenskonflikten und gegenseitigem Misstrauen zerrütteten Nigeria eine Seltenheit. Die beiden sind seit vielen Jahren befreundet und setzen sich für ein harmonisches Miteinander ihrer Glaubensbrüder ein. Dabei werden sie vom katholischen Hilfswerk Missio unterstützt. Anlässlich des Weltmissionsmonats Oktober haben beide in den Räumlichkeiten der Katholischen Akademie in Berlin-Mitte von ihrem Wirken und ihren Erfahrungen erzählt.
Eine außergewöhnliche Freundschaft
Aber wie ist die Freundschaft eigentlich entstanden? Ignatius Kaigama erinnert sich zurück an seine Zeit als Erzbischof von Jos, Hauptstadt des nördlich angrenzenden Nachbarbundesstaates. Emir von Wase war damals noch nicht Muhammadu Sambo, sondern dessen Vater Haruna Abdullahi Maikan. Er weiß noch, wie sie erstmals nach dem Freitagsgebet der Muslime den Weg von der Moschee zum Emirspalast vor aller Augen Seit an Seit zu Fuß zurückgelegt haben, um ein Zeichen zu setzen. Solche Akte gelten in Nigeria als symbolträchtig.
Der Erzbischof erinnert sich, wie ihn der gemeinsame Einsatz dazu motiviert hat, „DREP“ (Dialogue, Reconciliation and Peace Center; zu deutsch: Zentrum für Dialog, Versöhnung und Frieden) ins Leben zu rufen. In den Begegnungsstätten kommen seit 2011 die verschiedenen Stämme und Religionen zusammen, tauschen Meinungen aus, lernen einander kennen und schätzen.
Nach dem Tod seines Vaters 2010 übernahm Muhammadu nicht nur die Rolle des Emirs, sondern auch des Friedensstifters an der Seite von Erzbischof Kaigama. Die Tradition der gegenseitigen Besuche und öffentlichkeitswirksamen Auftritte setzten sie fort – auch nach Kaigamas Ernennung zum Erzbischof der etwas weiter entfernten Hauptstadtdiözese Abuja. Dazu treten sie in ihren Einflussgebieten als Streitschlichter auf. „Wenn es Spannungen gibt, kommen die Menschen zu uns und wir suchen nach einem Kompromiss“, erklärt der Emir. Den beiden sei es gelungen, auch andere christliche und muslimische Führer von ihrer Sache zu überzeugen.
Doch immer wieder gibt es Rückschläge, entflammen alte Fehden erneut und fast immer fällt dabei ein Name: Boko Haram.
Fundamentalisten terrorisieren das Land
Die radikal-islamistische Miliz steht sinnbildlich für die Gewalt im Land. Über die Bedeutung des Namens gibt es verschiedene Auffassungen. „Education is forbidden“, Erziehung ist verboten, übersetzt Mohammadu Sambo Haruna. Teile der lokalen Bevölkerung, nennen Boko Haram vielsagend „Taliban“. Die bewaffneten Einheiten sorgen seit 2009 regelmäßig für Angst und Schrecken vor allem im Norden Nigerias, verüben Anschläge auf Christen, rauben und morden. Auch Entführungen zur Erpressung von Lösegeld gehören zum Standardrepertoire Boko Harams.
Sie wollen den islamischen Gottesstaat, das Kalifat, errichten und bekämpfen dabei alle, die ihnen im Wege stehen – selbst die eigenen Glaubensbrüder. „Neben Christen nimmt Boko Haram auch moderate Muslime ins Visier“, bekräftigt Erzbischof Kaigama. Die Miliz macht sich den Konflikt zwischen nomadisch lebenden muslimischen Viehhirten und sesshaften christlichen Bauern um das knappe urbare Acker- und Weideland zunutze. Bei jeder Gelegenheit heizt Boko Haram die Situation an oder schreitet gleich selbst zur Tat. Die Gewalt rechtfertigen sie mit dem angeblichen Willen Allahs.
Religion wird für Macht missbraucht
Wenn Emir Muhammadu Sambo Haruna über die im Namen seiner Religion verübten Untaten erzählt, wird seine sonst so ruhige, melodische Stimme härter, fester. „Diese Gewaltakte sind unislamisch“, davon sei er wie schon sein Vater überzeugt und dies predige er weiter ohne Unterlass. Sein Job als Emir von Wase bestehe darin, Christen und Muslime fair zu behandeln. Für diese Auffassung werde er von einigen Muslimen angefeindet, sie werfen ihm Verrat vor.
Sein Freund, der Erzbischof, pflichtet ihm bei: „Der Glaube wird für politische und ökonomische Interessen missbraucht. Die Hassprediger wissen, welche große Rolle der Glaube für unsere Landsleute spielt.“ Auch im Ausland gebe es Krisenprofiteure, wie Waffenhändler oder Terroristen aus aller Welt, die den von Boko Haram kontrollierten Norden Nigerias als Rückzugsort nutzen können.
Emir und Erzbischof auf Stippvisite in Berlin. Foto: Stefan Schilde |
Die Nigerianer gelten als tief religiös. Jeweils knapp die Hälfte der rasant wachsenden Bevölkerung von derzeit 200 Millionen bekennt sich entweder zum Christentum oder zum Islam, eine Minderheit hängt weiter den alten Naturgottheiten an. Unter den Christen ist jeder vierte katholisch. Die Gottesdienste sind immer gut besucht, werden mit viel Tanz und Gesang im wahrsten Sinne des Wortes stundenlang „gefeiert“.
Aufgeben ist keine Option
Hauptgründe für die Gewalt, sagen beide, seien Armut und Korruption. Je schlechter es den Menschen gehe, desto anfälliger seien sie gegenüber radikalen Einflüssen. Hinzu käme der immer noch weit verbreitete Analphabetismus – fast jeder dritte Nigerianer kann weder lesen noch schreiben. Bei ihnen haben Hassprediger leichtes Spiel. „Sie behaupten, der Koran legitimiere Gewalt gegen Andersgläubige. Dabei erwähnt der Prophet Mohammed Juden und Christen an vielen Stellen ausdrücklich als Verwandte im Glauben.“ Ohne die Fähigkeit, die heilige Schrift der Muslime selbst zu lesen, fielen gerade Menschen ohne Bildung auf die falschen Propheten herein, so der Emir von Wase.
Angesichts der Einschüchterungen und Rückschläge klein beizugeben kommt für die beiden Freunde nicht in Frage. „Wir reden und handeln weiter, auch dann, wenn gerade niemand zuhören will“, sagte Erzbischof Kaigama. Er spricht viel in Bildern und Vergleichen, sagt Sätze wie: „Nigeria ist wie meine Mutter. Ich könnte es nie aufgeben, nie verlassen.“ Ein Weg könne ein gemeinsames Nationalverständnis sein. „Wir sind Christen und Muslime, wir gehören verschiedenen Stämmen an, aber wir sind alle Nigerianer. Gott hat uns all die Ressourcen gegeben, die wir brauchen, aber wir müssen endlich die künstlich aufrecht erhaltenen Barrieren zwischen uns beseitigen.“
In die gleiche Kerbe schlägt Muhammadu Sambo Haruna. Er fordert, nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten von Muslimen und Christen, Koran und Bibel zu betonen. „Never judge a book only by its cover“ – beurteile ein Buch nie nur nach seinem Äußeren, so der Emir. Zu seiner Familie zählen mittlerweile auch Christen, berichtet er.
Und was kann der Westen dazu beitragen, dass in Nigeria eines Tages endlich wirklicher Frieden herrscht? Die Antwort lässt tief blicken: „Hilfe nützt nur, wenn sie am Ende auch an der richtigen Stelle ankommt“. Man ahnt, worauf sie hinauswollen. Sie verweisen auf ihren Partner, das Hilfswerk Missio, mit dem man trotz mancher Niederlage schon vieles erreicht habe. Nach der Rückkehr in ihre Heimat geht es weiter.
Von Stefan Schilde