Fastenserie: Weniger ist mehr - Teil 6

Der größte Luxus

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In der Fastenzeit steht Verzicht ganz oben auf der Liste der guten Vorsätze. Aber Verzicht muss nicht wehtun, weniger kann auch mehr sein. Etwa in Sachen Geld und Arbeit. Teil 6 unserer Fastenserie.

Fotos: istockphoto/Bim; istockphoto/shapecharge
Großer Luxus: Statt Stress im Job, die Ruhe genießen können. Fotos: istockphoto/Bim; istockphoto/shapecharge

Wir treffen uns an einem Freitagvormittag bei Dieter Walf zu Hause. „Freitags habe ich Zeit“, schreibt er in seiner E-Mail. „Tee oder Kaffee?“ Als ich das Haus betrete, schallt Musik aus dem Wohnzimmer. „Laut Musikhören, das ist etwas, wofür ich freitags Zeit habe“, sagt er. „Dann bin ich allein im Haus und störe niemanden.“

Dieter Walf (60) arbeitet als stellvertretender Leiter einer Psychologischen Beratungsstelle im Oldenburger Münsterland. Er ist evangelischer Diakon, Diplom-Sozialpädagoge und hat eine Zusatzausbildung als Familientherapeut. Viele Jahre hat er Vollzeit gearbeitet, dazu hatte der Vater von drei Kindern Ehrenämter. „Diese Dreifachbelastung Beruf, Familie, Ehrenamt hat mich an die Grenzen gebracht.“

„Und dann“, sagt Dieter Walf, „starb mein Vater, meine Mutter stand mit 83 Jahren alleine da, und ich wollte mich mehr um sie kümmern.“ 2010 war das und Familienteilzeit ein eher neues Modell – zumal für Männer. „Ich war, glaube ich, der Erste, der das bei uns in der Beratungsstelle gemacht hat.“ 

20 Prozent weniger Arbeit, ein Werktag verlässlich frei – was hat das gebracht? „Ich hatte einfach Zeit für meine Mutter“, sagt Dieter Walf. „Ich konnte sie zum Arzt begleiten oder bei Behörden etwas erledigen oder mit ihr ganz in Ruhe spazieren gehen; das war schön.“

2012 starb die Mutter von Dieter Walf, und er stieg wieder auf Vollzeit um. „Kurzzeitig“, sagt er. Denn der Rhythmus von vier Tagen Arbeit und drei Tagen frei hatte ihm gut gefallen, die Ruhe, die freie Zeit. „Ich wollte wieder freitags frei haben“, sagt er, aber diesmal ohne Pflege als nachvollziehbaren Grund. „Vom Arbeitgeber her war das kein Problem, Teilzeit war inzwischen ein anerkanntes Modell.“

Weniger Arbeit, mehr Lebensqualität

Diese zweite Phase der Teilzeit, sagt Dieter Walf, habe „zu einer spürbaren Erhöhung der Lebensqualität“ geführt. Er habe einfach mehr Zeit für sich, zum Musikhören und Lesen, um Freunde zu treffen oder seine Kinder, die inzwischen auswärts studieren. „Einfach mal freitags hinfahren und mit ihnen gemütlich Mittagessen“, sagt er.

Auch seine vielfältige ehrenamtliche Arbeit etwa als stellvertretender Vorsitzender beim Kinderschutzbund Cloppenburg, bei einer evangelischen Brüder- und Schwesterngemeinschaft und als gesetzlicher Betreuer könne er jetzt „viel fokussierter tun“. 

Und die Arbeit läuft besser. „Lustvoller“, sagt er. Denn seine Arbeit in der Beratungsstelle ist herausfordernd. „Wir haben es meistens nicht mit kleineren Erziehungsproblemen zu tun, sondern mit Missbrauch, Misshandlung, Traumata.“ Schicksale, die auch einen Berater belasten, die ihm nicht in den Kleidern hängenbleiben. Wenn er das nur an vier Tagen habe, sagt Dieter Walf, komme das durchaus der Arbeit zugute. Und der Familie. „Wenn ich weniger gestresst bin, gehe ich auch pfleglicher mit anderen um.“

Bleibt die Frage, wie es mit dem Geld ist, denn 20 Prozent weniger Arbeit bedeutet 20 Prozent weniger Geld – und auch Dieter Walfs Frau arbeitet nur Teilzeit als Pädagogische Mitarbeiterin an einer Grundschule. Kein Rieseneinkommen also. „Und geerbt“, sagt Walf, „haben wir auch nichts.“

Trotzdem sei Geld nie das Problem gewesen. „Wir haben einfach nicht so einen hohen Lebensstandard“, sagt er. „Wir brauchen nicht so viel.“ Deshalb hätten sie das geringere Einkommen „zwar auf dem Konto gesehen, aber im Leben nicht gemerkt“. Für Dieter Walf ist klar: „Wir brauchen keinen Luxus, den man mit Geld bezahlen kann; mehr Zeit ist für mich Luxus.“

Außerdem, sagt Walf, dürfe man den Einkommensverlust auch nicht überschätzen. „Zum Beispiel haben meine Kinder, als alle drei gleichzeitig im Studium waren, Bafög bekommen. Das hätten sie bei einer Vollzeitstelle nicht.“

Genauso sieht das Axel Mengewein. Der ZDF-Redakteur arbeitet nicht nur selbst seit langem Teilzeit, er hat auch ein Buch darüber geschrieben. Er sagt: „Fasten bei der Arbeitszeit kann sogar mehr Euros im Portemonnaie bedeuten.“ Etwa, wenn man als Auto-Pendler ganze Arbeitstage und damit Fahrtkosten (und CO2) einspart. Zudem falle das geringere Einkommen netto weniger ins Gewicht als brutto. „Die Personalabteilung rechnet den genauen Betrag auf Anfrage gerne aus. Sie werden angenehm überrascht sein!“, sagt Mengewein.

Aber auch, wenn man tatsächlich auf Geld verzichtet: erstens gewinne man Freiraum für das, was man wirklich gern tun möchte. „Ob Sport, Reisen, Familie, Freunde, ein Ehrenamt, ein Buch lesen, meditieren oder einen Gemüsegarten anlegen.“ Und zweitens, sagt der Experte, solle man beim Fasten ja bewusst etwas ändern. „Und da kann die Reduzierung des Gehalts durch Teilzeit durchaus helfen, achtsamer mit dem eigenen Konsumverhalten umzugehen.“ Nicht nur sechs Wochen im Jahr.

Susanne Haverkamp

Axel Mengewein: Halbe Arbeit, ganzes Leben. Das Teilzeit-Manifest. Ariston Verlag, 192 Seiten, 16 Euro