Der Menschenfischer

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Jesus ruft, die Jünger folgen ihm: Warum funktioniert das im Evangelium und  heute nicht? Weil der Ruf so schwer durchdringt, sagt Regamy Thillainathan. Er leitet die Berufungspastoral im Erzbistum Köln – und das voller Elan.

Foto: Hart Worx/berufen.de
Pfarrer Thillainathan lebt mit Studenten in einer Wohngemeinschaft. Foto: Hart Worx/berufen.de


Regamy Thillainathan ist Menschenfischer, genauer: Er ist Menschenfischer, der nach Menschenfischern fischt. Berufungspastoral nennt sich das. Ist das heute nicht ein Himmelfahrtskommando? „Nein“, sagt Pfarrer Regamy voller Überzeugung. „Gott beruft heute noch genauso viele Menschen wie früher. Es ist nur schwerer, den Ruf zu hören.“

Dass junge Leute den Ruf hören, dabei will der 36-Jährige helfen. Er übt als einziger Priester in Deutschland das Berufungsfach  ganz ohne Zusatzaufgaben aus. „Als die Berufungspastoral 
2015  im Erzbistum Köln neu aufgestellt wurde, wollte der Erzbischof diesen Bereich stärken“, sagt er. Außerdem rückte die Berufung von Laien stärker in den Blick. „Die Begleitung von Priesteramtskandidaten und von Laienseelsorgern ist völlig gleichgewichtig“, sagt er und meint damit nicht nur den Arbeitsaufwand. „Jeder kirchliche Beruf ist eine Berufung, heute mehr denn je.“

In der Kirche arbeiten – das macht doch eh keiner mehr? Pfarrer Regamy teilt diese Mutlosigkeit nicht. Im Gegenteil hält er Mutlosigkeit für eines der Probleme. „Wir brauchen in der Kirche eine berufungsfreundliche Atmosphäre“, sagt er und reist kreuz und quer durchs Erzbistum, um die Gläubigen und die in der Kirche Tätigen in die Pflicht zu nehmen. „Wenn immer nur der Untergang der Kirche gepredigt wird, muss man sich nicht wundern, wenn junge Leute keinen Bock haben, hier zu arbeiten.“ 

Pfarrer Regamy geht einen anderen Weg: Er will begeistern. Aber wie macht er das bei dem schlechten Image der Kirche? „Es ist ein hoher Anspruch, aber Jesus hat gezeigt, wie das geht: Nicht predigen, sondern das Leben teilen.“ „Komm und sieh!“, hat Jesus bei den Berufungen gesagt, und so macht Pfarrer Regamy es auch. „Ich will junge Leute an meinem Leben teilhaben lassen“, sagt er und meint das ganz praktisch. „Schon in meiner ersten Kaplansstelle habe ich meine Wohnung für Jugendliche geöffnet; die sind bei mir ein- und ausgegangen. Als ich beim Auszug den Teppich entsorgt habe, hat man das auch gesehen.“ Offenbar hat seine Art zu leben und zu glauben angesteckt. „Es waren ein paar dabei, die Theologie studiert haben.“

Heute lebt Pfarrer Regamy, dessen Eltern wegen des Bürgerkriegs aus Sri Lanka flüchten mussten und der selbst in Neuss aufgewachsen ist, in einer Wohngemeinschaft mit drei Studenten. „Die bringen Freunde mit und die wieder ihre Freunde.“ Zusammen wird gefeiert, gespielt und, ja, gebetet und Messe gefeiert wird gelegentlich auch. Und geredet über Gott und die Welt. „Ich will den jungen Leuten zeigen, wie ich lebe, und vielleicht denkt der eine oder andere darüber nach, wie er oder sie leben möchte; und ob Theologie und Kirche nicht auch eine Option sein könnte.“


420 Nachrichten auf Instagram und Facebook

Aber natürlich reicht eine private WG nicht aus, um Berufungen für ein ganzes Bistum zu finden. Deshalb trifft Pfarrer Regamy junge Leute, wo immer er kann. „Ich bin am Wochenende oft in Kirchen, wo Jugendmessen gefeiert werden“, sagt er. „Und ich lasse mich gern in Firmgruppen einladen.“ Nachmittage zu Persönlichkeitsfindung und zu Zukunftsträumen macht er dort. „Was will ich mit meinem Leben – und was will Gott vielleicht von mir?“ Oder er begleitet Reisen, wie etwa die Ministrantenwallfahrt nach Rom 2018. „Es waren ungefähr 2000 Jugendliche aus dem Erzbistum mit“, sagt er und schwärmt von einem Open-Air-Gottesdienst in den Vatikanischen Gärten. „Ich hatte hinterher 420 Nachrichten auf Facebook und Instagram. Manche Chats gingen mehrfach hin und her.“ Oder er pilgert mit Studenten auf dem Jakobsweg. Oder lädt ein zu einer Kanutour mit Ordensleuten – ungewöhnliche Menschen und interessante Gespräche inklusive. Begegnung, Freundschaft, zusammen essen und trinken, unterwegs sein, reden. So ähnlich muss es bei Jesus gewesen sein. 

Was Jesus nicht hatte, war das Internet. „Wir kleben kein einziges Plakat mehr“, sagt Pfarrer Regamy. „Und wir schicken auch keine mehr an die Gemeinden.“ Wenn er zu Wochenenden oder Aktionen einlädt, geht das fast nur über Instagram und Snapchat. „Unter berufen.de kann man uns überall finden; ist leicht zu merken.“ 

Noch mehr läuft über persönliche Einladungen an Leute, die irgendwo schon einmal aufgetaucht sind. Womit wir wieder beim Kernthema wären: den persönlichen Beziehungen. Oder wie Pfarrer Regamy sagt: „Die Menschen brauchen keine Predigten, sie brauchen Zeugen.“ Sie brauchen einen Priester wie ihn, der bezeugt: „Ich bin glücklich mit meinem Leben.“

Und wo ist Gott bei all den Bemühungen? „Gott ruft“, sagt Pfarrer Regamy „aber wir müssen schon mithelfen, dass der Ruf ankommen kann.“ Das ist die berufungsfreundliche Atmosphäre, die er fordert. Und für die jeder Einzelne mitverantwortlich ist: die Gemeinde, die eine positive Ausstrahlung hat, die kirchlichen Mitarbeiter, die von der Freude an ihrem Beruf erzählen, die Eltern, die nicht abraten, wenn Sohn oder Tochter Theologie studieren wollen. 

„Das ist das Erfolgsgeheimnis“, sagt Pfarrer Regamy. „Ich mag mein Leben in der Kirche, und ich möchte jeden auf den Geschmack bringen.“ Auf den Geschmack trotz all der Unsicherheiten, wohin es geht in und mit der Kirche, trotz Großpfarreien und Kirchenaustritten? „Keiner weiß, wie sich das alles noch verändern wird“, sagt Pfarrer Regamy. „Deshalb werbe ich auch nicht für einen Beruf. Ich werbe für einen Lebensentwurf.“ Und er wirbt wie Jesus: mit seinem eigenen Leben.

Susanne Haverkamp