Interview mit dem Politikwissenschaftler Andreas Püttmann

"Der Rechtspopulismus ist eine Antithese zum Christentum"

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Ein Demonstrant hält bei einem Protest beim Katholikentag 2018 in Münster ein Schild mit der Aufschrift "Kirche ohne Rassismus" in die Höhe
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Foto: kna/Harald Oppitz

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Klare Botschaft: eine Demonstration gegen die AfD beim Katholikentag 2018 in Münster

Die AfD radikalisiert sich immer mehr – und liegt in Umfragen bei rund 20 Prozent. Der katholische Politikwissenschaftler Andreas Püttmann hält den Aufstieg der Rechten für extrem gefährlich. Im Interview erklärt er, warum die AfD für Christen unwählbar ist, warum ihre Anhänger die Kirche nicht repräsentieren können – und warum die vermeintlich christlichen Standpunkte der Partei bei Lebensschutz und Familienpolitik eine Mogelpackung sind.

Ist es mit dem Christentum vereinbar, die AfD zu wählen oder sich sogar für sie zu engagieren?

Beides geht meines Erachtens nicht. Denn die AfD passt mit ihren Inhalten, ihrem Personal und ihrem Habitus überhaupt nicht zum Christentum. Sie steht ihm teilweise sogar diametral entgegen. Das sehen auch, von wenigen beschwichtigenden Einzeläußerungen abgesehen, die deutschen Bischöfe so. Schon 2017 hat ihr damaliger Konferenzvorsitzender Kardinal Reinhard Marx Rote Linien formuliert.

Er hat betont, dass die Bischöfe sich klar vom populistischen Vorgehen und vielen inhaltlichen Haltungen der AfD distanzieren.

Genau. Marx nannte für Unwählbarkeit im Einzelnen die Kriterien Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, die Verunglimpfung anderer Religionsgemeinschaften, die Überhöhung der eigenen Nation, Gleichgültigkeit gegenüber der Armut in der Welt, scharfmacherisches, feindseliges Reden und die Verächtlichmachung der repräsentativen Demokratie. Dem schließe ich mich an. 

Hat die Kirche sich auch danach von der AfD distanziert?

Christliche Sozialethiker haben einige Monate später im Auftrag der Katholischen Büros mehrerer Diözesen Grundpositionen der AfD und der katholischen Soziallehre verglichen – und sind zu dem Schluss gekommen: „Bei nahezu allen Themen, die in unserer Analyse berücksichtigt wurden, zeigen sich tiefgreifende Differenzen zwischen der Programmatik der Partei ‚Alternative für Deutschland‘ und der Sozialverkündigung der katholischen Kirche.“ Nicht von ungefähr wählen kirchennahe Katholiken weit unterdurchschnittlich AfD. Sie bestätigen mit ihrer Schwarmintelligenz also den theoretischen Befund auch praktisch. 

Können Sie konkretisieren, inwiefern Inhalte und Personal der AfD für Sie nicht mit dem Christentum vereinbar sind?

Besonders hervorstechend ist die Agitation – mal grob, mal subtiler – gegen Minderheiten, vor allem ausländische und sexuelle, sowie die Verächtlichmachung unserer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung durch Diktaturvergleiche. Das zeigt sich schon in der öffentlichen Kommunikation, obwohl die AfD da zuletzt eher vorsichtig war, weil sie weiß, dass der Verfassungsschutz ihre Äußerungen beobachtet. Intern reden AfDler noch viel radikaler, das ist durch etliche Enthüllungen und Insider-Zeugnisse belegt.

Wo ist Ihnen die Hetze in jüngster Zeit besonders krass aufgefallen?

Der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann
Andreas Püttmann (59) ist Politikwissenschaftler und Publizist.
Foto: privat

Das MDR-Sommerinterview von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, in dem er die Inklusion behinderter Kinder an Schulen als Ideologieprojekt darstellte, zeigte eine Richtung an: Menschen mit Einschränkungen sollen nicht zum „Belastungsfaktor“ für die gesunden Volksteile werden. Das rief zu Recht Empörung hervor. Aber nicht nur Worte können Menschenverachtung anzeigen, sondern auch Taten. 

Welche meinen Sie?

Dass der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla im Mai 2023 zu einem Empfang in die Russische Botschaft in Berlin gegangen ist, war ein Schlag ins Gesicht für die Zehntausenden Opfer, die Russlands Angriffskrieg in der Ukraine bereits verursacht hat. Allein die Tatsache, dass die AfD, von einem Lippenbekenntnis zum Völkerrecht abgesehen, mehr oder weniger offen Verständnis für Russland zeigt, reicht, um als Christ zu sagen: Diese Partei kann man weder wählen noch sich in ihr engagieren.

Inwiefern passen die Grundhaltungen der AfD nicht zu denen des Christentums?

Die schönsten Früchte des Christentums sind Empathie, Demut und Gelassenheit. Die Rechtspopulisten kennzeichnet das Gegenteil: Empathielosigkeit, Hybris und Daueraufgeregtheit. Der Rechtspopulismus ist auch habituell geradezu eine Antithese zum Christentum.

Manche Menschen scheinen immer noch zu glauben, die AfD sei einfach nur etwas konservativer als die CDU. Wie denken Sie darüber?

Das ist Legendenbildung, mit der die AfD versucht, sich zu verharmlosen. Es zu glauben, ist naiv und verkennt, dass AfD-Politiker, die vor 10, 15 Jahren noch in der CDU waren, sich turboradikalisiert haben. Etwa Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024. Die CDU unterscheidet sich fundamental von der AfD – durch ihre proeuropäische, prowestliche, antinationalistische, staatsloyale und liberal-konservative Haltung. 

Die AfD versucht in christlichen Kreisen anzudocken, indem sie proklamiert, sie stehe für Lebensschutz und ein traditionelles Familienbild. Was halten Sie davon?

Das ist eine Mogelpackung. Klar, auf den ersten, oberflächlichen Blick positioniert sich die AfD gegen Abtreibung. Aber das haben auch faschistische Regime schon getan. Die Frage ist, aus welcher Motivation heraus man gegen Abtreibung ist. Ob aus der christlichen Überzeugung, dass jedes Leben ein Geschenk Gottes und unantastbar vom Moment der Empfängnis an ist – oder um der Volksgesundheit und dem demografischen Wohl der Nation zu dienen. Letzteres scheint mir bei der AfD eher der Fall zu sein. Zudem proklamiert die AfD den Lebensschutz mehr in der Theorie, als ihn in der Praxis durchsetzen zu wollen.

Inwiefern?

Ich kann nicht erkennen, dass die AfD sich dafür ausspricht, am Abtreibungsrecht Wesentliches zu ändern. Sie ahnt wohl, dass sie damit in der Bevölkerung kaum Zustimmung fände, also belässt sie es bei ein paar wohlklingenden Phrasen wie der „Willkommenskultur für Ungeborene“, womit sie indirekt auch noch mal den Migranten eins auswischt. Auch die familienfreundlichen Äußerungen der AfD sind oft mehr eine Tarnung für die Abwertung von Minderheiten. 

Woran machen Sie das fest?

Man hetzt natürlich nicht offen gegen LGBTQ-Personen, sondern sagt etwa, in der Schule müsse endlich wieder die traditionelle Familie zu ihrem Recht kommen. Kinder dürften, so das AfD-Programm, „in der Schule nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit werden“. So wird die Befürchtung geschürt, dass ganz gezielt Kinder „umgepolt“ werden. Dabei geht es doch nur darum, dass über sexuelle Identität in der Schule sachgerecht und mit Achtung gesprochen wird, um Vorurteilen und bedrückenden Identitätskonflikten entgegenzuwirken. Christlich im Sinne von respektvoller Zuwendung ist die Familienpolitik der AfD nicht.

Woran machen Sie das noch fest?

Wenn die AfD im christlichen Sinne Familienpolitik betriebe, würde sie ja auch die ausländischen, migrantischen Familien wertschätzen – aber davon ist nichts erkennbar. Sondern sie verzweckt alles für ihr Ressentiment und für ihr völkisches Konzept. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst hat gezeigt, wie eine wirklich christliche Aussage über Familien klingt, indem er über Migrantenkinder, von denen CDU-Chef Friedrich Merz zuvor als „Paschas“ gesprochen hatte, sagte: „Das sind unsere Kinder. Diese Kinder sind unsere Zukunft, eine andere haben wir nicht.“ 

Wahlplakat der AfD gegen Unterstützung der Ukraine  Wahlplakat der AfD gegen Windparks  Wahlplakat der AfD für Abschiebungen

Vielsagende Botschaften: Auf Wahlplakaten macht die AfD Stimmung gegen die Unterstützung der Ukraine, gegen eine klimafreundliche Politik und gegen Migranten. Fotos: imago/Revierfoto,  imago/Eibner, imago/Jan Huebner

 

Tritt die Kirche der AfD laut genug entgegen?

Im Wesentlichen schon. Kirche soll ja nicht ständig als politischer Akteur auftreten, sondern sich dann politisch äußern, wenn das Heil der Seelen und die Grundrechte der menschlichen Person betroffen sind – wie es das Zweite Vatikanische Konzil sagt. Das Statement der Bischöfe und das Gutachten der Sozialethiker haben da eine Klarheit, einen Goldstandard geschaffen. Daneben haben Diözesanräte, Verbände und katholische Einzelpersönlichkeiten in unzähligen Äußerungen klargemacht, wie tief der Graben zur AfD ist. Ich glaube, es hat sich mittlerweile bis zum letzten kirchenfeindlichen Linken herumgesprochen, dass die Kirchen in Deutschland, von sektiererischen Grüppchen abgesehen, bei diesem Thema nicht Teil des Problems sind, sondern Teil der Lösung. 

Wie sollen Gemeinden mit AfD-Sympathisanten an der Basis umgehen?

Man kann und darf solche Menschen nicht von der Kirche, vom Gottesdienst, von Sakramenten ausschließen. Alle kirchlichen Vollzüge sollen der Einführung in eine Atmosphäre der Menschenfreundlichkeit, der Gottes- und Nächstenliebe dienen. Das kirchliche Leben kann dann quasi ein Heilmittel sein, das auch gegen Radikalisierungen wirkt. Aber repräsentieren können offene AfD-Anhänger die Kirche nicht.

Was genau dürfen sie Ihrer Meinung nach nicht?

Sie können keine herausgehobenen Ämter im Gottesdienst wie Lektor oder Kommunionhelfer übernehmen und auch nicht Messdienergruppen oder andere Gruppen und Verbände leiten – weil man in solchen Diensten eine besondere Vorbildfunktion hat. Personen, die offen bekunden, dass sie dieser menschenfeindlichen Partei anhängen, können in der Kirche keine Vorbilder sein. Das ist das eine. 

Und das andere?

Auch bei AfD-Sympathisanten, die nicht nach kirchlichen Ämtern streben, können Christen nicht einfach sagen: „Deren politische Gesinnung ist ihre Sache. Das geht mich nichts an.“ Sondern man sollte ihnen immer wieder ins Gewissen reden. Jeder von uns hat die Aufgabe, in seiner Gemeinde dafür zu sorgen, dass Leute, die ethisch entgleisen, auf den rechten Weg zurückgerufen werden. 

Das werden womöglich hitzige Gespräche.

Ja, aber ich muss als Christ nicht alles respektieren. Ich darf es nicht mal. Bestimmte Tabus gehören zur Hochkultur und müssen verteidigt werden. Und die menschenfeindliche Politik, die die AfD vertritt, ist für Christen ein klares Tabu. Menschen, die diese Partei unterstützen, müssen wir spüren lassen, dass sie etwas Unrechtes tun. 

Manche Leute sagen: „Die AfD ist doch eine demokratisch gewählte Partei.“ 

Da kann ich nur entgegnen: Auch die NSDAP war eine demokratisch gewählte Partei. Das machte sie aber noch nicht zu einer demokratischen Partei. Gerade als Christ, der eine höhere Loyalität zu Gott und seinen Geboten kennt als zu den Menschen, muss man sehen: Auch Wähler können sich irren. Das sollten wir als Deutsche doch besonders gut wissen.

Als wie dauerhaft schätzen Sie die aktuell hohen Umfragewerte der AfD ein?

Ich habe nie geglaubt, dass die AfD-Konjunktur genauso vorbeigehen wird wie früher die der NPD oder der Republikaner. Dagegen spricht ja schon, dass Rechtspopulismus und neuer Faschismus ein internationales Problem darstellen. Fast alle liberalen Demokratien haben damit zu kämpfen. Wer sich einmal hineinradikalisiert hat in diese toxische Ideologie und ihre Feindbilder, den kann man sehr schwer wieder da herausbekommen. 

Wahlplakat der AfD  Wahlplakat der AfD zu Grundrechten

Vielsagende Botschaften: Die AfD gibt sich familienfreundlich – und sie suggeriert, die Grundrechte seien durch die aktuelle Regierung gefährdet. Fotos: imago/Revierfoto, imago/Eibner

 

Was macht Sie so pessimistisch?

Die AfD-Wähler sind mittlerweile in hohem Maße Stammwähler. 67 Prozent von ihnen sagten 2021 in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung: „Die AfD steht für meine Werte und Grundüberzeugungen.“ Diese Menschen identifizieren sich also fundamental mit der AfD. Das Ausmaß ihrer Verachtung für andere Parteien und demokratische Institutionen und Medien ist erschreckend. Es muss im Moment hauptsächlich darum gehen, die Wankelmütigen davon abzuhalten, dieser Partei auch noch nachzulaufen. 

Was müssten die Ampel-Regierung und die CDU tun, um den Höhenflug der AfD zu stoppen? 

Sie sollten betonen, dass die AfD für die allermeisten Probleme keine praktikablen Lösungen hat und dass es im Konflikt mit den Rechtspopulisten um die Systemfrage geht. Die AfD schürt Zweifel an der Legitimität unseres demokratischen Rechtsstaats. Wenn man nur politische Einzelthemen wie Zuwanderung oder das Gendern betrachtet, übersieht man leicht, wie brandgefährlich der Rechtsrutsch ist. Wir müssen beim Umgang mit dieser Partei Lehren aus unserer Geschichte beherzigen.

Inwiefern?

Es muss daran erinnert werden, dass auch konservative Kräfte in der Weimarer Republik die Demokratie verächtlich gemacht und sie mitzerstört haben. Es reicht nicht, kein Faschist zu sein. Man kann die Demokratie auch kaputtmachen, indem man Extremisten nicht bekämpft, sich neutral verhält, sie verharmlost oder sogar mitläuft. 

Wie ließe sich die AfD noch bekämpfen?

Fake News, Verdrehungen und Lügen der AfD müssen durch Faktenchecks offengelegt werden. Und man sollte auf ihr unseriöses Personal hinweisen. So hat zum Beispiel Hans-Thomas Tillschneider …

… der AfD-Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird …

… den Pegida-Führer Lutz Bachmann in einer Rede für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen – einen unter anderem wegen Körperverletzung, Einbruch, Diebstahl, Drogenhandel und Volksverhetzung Vorbestraften. Der Verfassungsschutz muss die AfD weiter sehr aufmerksam beobachten. Und man wird prüfen müssen, ob ein Parteiverbot als allerletzte Option nicht doch irgendwann infrage kommt – wenn es gerichtsfest erscheint. Es wäre falsch zu sagen: Man kann doch eine Partei, die von 20 Prozent gewählt wird, nicht verbieten.

Mal angenommen, die AfD würde in Deutschland irgendwann mitregieren: Was für eine Gesellschaft bekämen wir dann?

Eine Gesellschaft, die kälter, rauer, härter ist – und autoritär. Es würden Minderheiten verschiedenster Art diskriminiert – alle, die der AfD nicht als normal gelten. Und wir würden sicherlich sehr bald auch internationale Spannungen bekommen, weil Nationalisten nie friedensfähig sind. Die Europäische Union drohte zu zerfallen. Wenn die AfD an die Regierung käme, würde zerstört, was wir uns nach 1945 aufgebaut haben: Freiheit, Wohlstand, Menschlichkeit.
 

Andreas Lesch