Jesajas Friedensvision: Der Wolf findet Schutz beim Lamm
Der soziale Investor
Der Wolf findet Schutz beim Lamm – diese Friedensvision beschreibt der Prophet Jesaja. Bei uns brauchen meist die Schwachen Schutz – zum Beispiel vor Miethaien. Kann Jesajas Vision wahr werden? Ein Beispiel aus Bremerhaven.
Wer im Goethequartier in Bremerhaven-Lehe den Verfall sucht, wird schnell fündig. In dunklen Schaufenstern spiegeln sich die Fassaden verwaister Wohnhäuser. Die Wandfarbe an vielen Gebäuden ist abgeplatzt. Auf den Klingelschildern stehen zwar noch Namen, aber ein Blick ins Innere reicht, um zu sehen: Hier wohnt schon lange niemand mehr.
Graffitis und vereinzelte Müllhaufen auf den Straßen bestätigen das Bild, das einige Medien von Lehe vermitteln, von „Deutschlands ärmstem Stadtteil“. Als Werften und Fischereien vor Jahren pleite gingen, wurden viele Menschen arbeitslos und zogen weg. Spekulanten kauften die leer gewordenen Wohnungen auf – und ließen sie dann verwahrlosen.
Heute sind mehr als 20 Prozent der Bewohner arbeitslos, wegen der niedrigen Mieten leben vor allem Langzeitarbeitslose und Zuwanderer im Goethequartier. Noch immer stehen dort viele Häuser leer. Altbauwohnungen, die noch aus der Gründerzeit stammen. Hinter vernagelten Hauseingängen und schmutzigen Fenstern lässt sich der einstige Glanz des Viertels nur schwer erahnen.
Als Rolf Thörner vor drei Jahren zum ersten Mal durch das Goethequartier gegangen ist, hat er sich trotzdem in das Viertel verliebt.Thörner ist privater Investor, ein überzeugter Altbaufan, wie er sagt. Er stammt aus einer Unternehmerfamilie in Osnabrück. Schon als Jugendlicher hat er dort seinen ersten Altbau saniert, später zog er nach Berlin, um in Berlin-Mitte Wohnungen umzubauen.
Vor drei Jahren kam er nach Bremerhaven. Die Stadt brauchte jemanden, der die leerstehenden Häuser im Stadtteil Lehe vernünftig saniert. Damit dort wieder Menschen hinziehen, die es gut finden, in sanierten Altbauten zu wohnen. Thörner nennt das „Durchmischung“. Seit drei Jahren kauft und saniert er nun die Gründerzeithäuser im Goethequartier.
Hoffnung, dass im Viertel etwas vorangeht
Thörner ist dafür selbst in das Viertel gezogen, im Moment lebt er dort noch zur Miete, später will er in eines der Häuser einziehen, die er saniert. Wenn er auf seinen Baustellen nach dem Rechten sieht, spricht er oft mit den Bewohnern des Quartiers, er weiß, was seine Sanierungen für sie bedeuten. Ein privater Investor, der Geld in ein verrufenes Viertel steckt: Das gibt ihnen Hoffnung, dass wieder etwas vorangeht.
Thörners Vorhaben im Goethequartier erinnert an die Bibelstelle im Buch Jesaja, in der es heißt: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm“. Ist Thörner jemand, wie ihn der Prophet in seiner Friedensvision beschreibt? Ein Mächtiger, der seine Macht gegenüber den Ohnmächtigen nicht ausnutzt? Ein Reicher, dem die Armen nicht egal sind? „Ich fühle mich nicht mächtig“, sagt er selbst. Aber für die Menschen mache das, was er tut, einen Unterschied – auch für die sozial Schwachen. „Ich baue nicht gegen sie, sondern für sie.“
Was er damit meint, erklärt er an einem Beispiel. Als die Stadt vor Jahren ein Haus im Goethequartier sanieren ließ, seien auch wohlhabendere Menschen dort eingezogen. Das habe Auswirkungen auf das Zusammenleben im Viertel: „Die Leute sind kontinuierlich da und engagieren sich teilweise sozial“, sagt Thörner und erzählt von einem pensionierten Lehrer, der Kindern Malunterricht gibt, und einer Frau, die sich um Geflüchtete kümmert. „Das muss man weiter ausbauen“, sagt er.
Die sozial schwachen Bewohner des Goethequartiers bräuchten Vorbilder, die sie motivieren, ihr Leben umzugestalten – Nachbarn, die ihnen genau das vorleben. Damit Kinder auf die Frage nach ihrem Berufswunsch nicht mehr „Hartz IV“ antworten. Das funktioniere aber nur, wenn man Wohnungen mit besseren Standards zur Verfügung stellt. „Zurzeit gibt es sehr viele Wohnungen, die nicht oder schlecht saniert sind, da ziehen keine neuen Mieter ein.“
Wenn irgendwo Wohnungen saniert werden, ist das oft der Beginn einer sogenannten Gentrifizierung: Die schick renovierten Altbauten können sich nur Besserverdiener leisten, die ärmeren Alteingesessenen werden verdrängt. Auch in Bremerhaven-Lehe befürchteten das einige. Thörner betont jedoch, dass er nur leerstehende Häuser saniert. Bremerhaven sei nicht München: Hier gebe es viele Wohnungen für jeden Geldbeutel, so dass Mieter gute Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben. In der Tat gibt es im Quartier viel günstigen Wohnraum, so dass es sinnvoll erscheint, durch eine etwas höhere Miete eine Durchmischung zu erzielen.
Zwischen 5,70 und 7 Euro pro Quadratmeter sollen Thörners Wohnungen dort kosten. Nicht viel mehr als die ortsübliche Miete. Dabei ist die Sanierung teuer. Viele Leute wunderten sich deshalb über ihn, sagt Thörner. „Wenn ein Privater in eine Gegend investiert, die allgemein als kritisch angesehen wird, sagen sich die Leute natürlich: Was hat der sich dabei gedacht?“ Wer im Goethequartier viel Geld mit Immobilien verdienen will, könne dort nicht aufwendig sanieren, sagt Thörner. Er aber will Wohnungen, zu denen er steht: „Ich will nichts verschandeln.“ Mit seinen Immobilien erziele er eine Rendite von vier bis fünf Prozent, das sei genug.
Thörner ist evangelisch, sieht sich aber in erster Linie nicht als gläubiger Christ. Er glaubt an soziale Verantwortung, sagt er. Ein Wolf, der die Schwächeren frisst, ist er eben nicht. „Ich denke, dass das sein Erfolgsrezept ist“, sagt Brigitte Hawelka von der Quartiersmeisterei Lehe, die für das Goethequartier zuständig ist. „Er ist ein Eigentümer, der sozial ist und vor Ort für Menschen sichtbar ist.“ Genauso wie die Städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die ebenfalls dort sanierten.
Starke und Schwache wohnen zusammen
Aber hat sich durch Thörners Einsatz im Goethequartier etwas verändert? „Es gibt viele Beispiele von Menschen, die sich hier engagieren“, sagt Hawelka. „Hier sind Wohnprojekte entstanden, bei denen sich die Bewohner für eine gute Nachbarschaft und Integration einsetzen.“ Damit die Starken und Schwachen zusammenfinden. Um im Bild von Jesaja zu bleiben: Der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen.
Ob die Idee, das Viertel durch Sanierungen zu durchmischen, funktioniert, kann Rolf Thörner noch nicht sagen. Er hofft, dass sich der Effekt, den er im Moment dort erzielt, ausbreitet. Die Bewohner jedenfalls freuen sich, dass jemand den Wert ihres Viertels erkannt hat. „Es ist ein schönes Viertel, das es verdient, dass man sich darum kümmert“, sagt Thörner.
Sandra Röseler