Kann ein reicher Mann in den Himmel kommen?
Der wahre Reichtum
Ein reicher Mann kann nicht in den Himmel kommen? So radikal versteht der Papenburger Pastor Gerrit Weusthof das Evangelium von diesem Sonntag nicht. Aber etwas tun muss man dafür doch – jeder von uns, sagt er.
Vor der Tür zu Pastors Büro hängt eine große Tafel, zusammengezimmert aus Holzplanken. Mehrere Begriffe stehen auf Englisch darauf. „help each other“ – helft einander. „show compassion“ – zeige Mitgefühl. Und „respect one another“ – respektiert euch gegenseitig. Ein Freund hat Gerrit Weusthof die Tafel geschenkt. Nicht als dekorativen Wandschmuck, sondern weil die insgesamt elf Regeln genau wiedergeben, was für den 78-jährigen Pfarrer wichtig war und ist. Bevor er sich an seinem Schreibtisch an die Arbeit setzt, wirft er oft einen Blick darauf.
Die Sätze passen auch gut zum Evangelium dieses Sonntags, findet er. Markus erzählt darin, wie Jesus einen reichen Mann trifft. Wenn er das ewige Leben gewinnen will, verlangt Jesus, muss er schleunigst all sein Geld den Armen geben. Und: Eher passt ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Ist das nicht eine sehr schroffe Bibelstelle, die viele Leser irritiert zurücklässt? Weusthof nickt, schon oft hat er in seinen 50 Jahren als Priester in der Grafschaft Bentheim und im Emsland diesen Text vom Ambo verkündigt. Er mag das Kapitel sogar. Aber heißt das denn, dass man als gut situierter Mensch gar keine Chance hat, in den Himmel zu kommen? „Nein, so kann man das nicht verstehen“, sagt er lächelnd.
„Auch jemand, der viel Geld hat, kann im Sinne des Evangeliums leben“
Er selbst legt die Stelle etwas anders aus. Für ihn geht es darin nicht (nur) um Geld, um Vermögen, um Leistung, sondern um eine innere Haltung. „Jeder will heute ein Macher sein, aber wir haben viel zu viele Macher.“ Ihm ist das zu wenig. Denn seiner Ansicht nach stecken in jedem Menschen wertvolle Fähigkeiten und Talente, die er zum Wohl anderer und zu seinem Wohl einsetzen und abgeben kann. Das ist für den Papenburger Pastor der wahre Reichtum, das wahre Vermögen und viel wichtiger noch als ein dickes Bankkonto. Das Leben so als Reichtum zu verstehen, ist für Weusthof ein Geschenk. „Das ist unfassbar und schwer zu verstehen, aber für Gott ist nichts unmöglich“, sagt er. Und nach einem Moment: „Je älter ich werde, desto tiefer wird mir das klar.“
Aber wie ist das denn nun mit den Reichen? Da winkt er ein bisschen ab. „Auch jemand, der viel Geld hat, kann bescheiden und gut im Sinne des Evangeliums leben“, sagt der 78-Jährige. „Es kommt eben darauf an, was er damit macht, dass er es nicht verschwendet, dass er sein Vermögen sinnvoll einsetzt, damit es auch anderen Menschen dient.“ Und damit meint Gerrit Weusthof nicht einfach, regelmäßig sein Scherflein in den Klingelbeutel zu werfen. Er denkt ganz praktisch. An jemanden, der zum Beispiel eine Werkstatt gründet, für seine Kunden anständig Autos repariert, seinen Betrieb gut führt und Menschen Arbeit gibt. „Eben das, was man gut kann, auch gut einsetzen.“ Es kommt auf die Haltung und die Gesinnung an, sagt er – und so verstanden ist die Bibelstelle dann eben doch radikal.
Haltung hat auch Weusthof immer gezeigt. Im Bistum Osnabrück ist der gebürtige Niederländer, der vor seinem Theologiestudium eigentlich Landwirt werden und den elterlichen Hof übernehmen wollte, für seine unkonventionelle Art bekannt und wird dafür von vielen geschätzt. „Irgendwann kommt eine innere Entscheidung im Leben, da muss man durchpacken“, sagt er mit seinem liebenswerten Akzent, der ihm auch nach so vielen Jahren in Deutschland geblieben ist. Er lebt bescheiden und einfach, in seinem Pfarrhaus stehen keine Hochglanzmöbel. „Ich habe genug“, sagt er schlicht. Äußerlichkeiten sind ihm sowieso nicht so wichtig. Selten trifft man ihn im feinen Zwirn an, meist zieht er ein kariertes Hemd über das Sweatshirt und krempelt die Ärmel hoch. „Man ist nicht nur ein guter Priester, wenn man eine schwarze Hose anhat“, sagt er mit sachtem Schmunzeln.
„Jeder muss von seinem Reichtum etwas abgeben“
Dafür hat er das soziale Profil seiner Papenburger Gemeinde entscheidend mitgestaltet. Obwohl er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, auf ein Podest gestellt zu werden. „Das hat sich alles so entwickelt, das haben auch die Leute hier mitgeprägt.“ Indem sie auf die Menschen am Rand der Gesellschaft geschaut haben – auf die Obdachlosen und Menschen ohne Jobs, auf Flüchtlinge und Menschen mit Behinderungen, auf Bedürftige aus der eigenen und anderen Gemeinden weltweit.
Viele Projekte sind so mit den Jahrzehnten entstanden, in denen Gerrit Weusthof und die Papenburger von ihrem Reichtum, von ihren Gaben, von ihren Talenten etwas an andere Menschen abgegeben haben. Dafür hat sich der streitbare Pfarrer gerne eingemischt und seine Meinung laut gesagt, auch wenn die nicht allen Zuhörern passte. Wie 1998, als die Gemeinde einer kurdischen Familie viele Monate Kirchenasyl gewährt und er sich dafür eine Bewährungsstrafe eingehandelt hat. „Wir haben viel gelernt aus dieser Sache.“
Zum Beispiel, wie wichtig Beharrlichkeit auf der Suche nach einem guten Weg des Miteinanders ist. „Vielleicht wäre es gar nicht gut, wenn das Kamel durchs Nadelöhr passt, dann wäre der Weg ja zu Ende“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Jeder muss von seinem Reichtum etwas abgeben, sonst findet man nicht das Glück und kommt nicht in den Himmel.“
Petra Diek-Münchow