„Der Wahrheit ins Gesicht blicken“
Vor Veröffentlichung einer Untersuchung zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche in Mecklenburg in dieser Woche hat Hamburgs Erzbischof Stefan Heße den Katholiken in der Region einen Brief geschrieben.
Hamburg/Schwerin. „Es ist wichtig, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen“, erklärte Heße in dem Schreiben. Der Brief ist in der letzten Woche 30 000 Haushalten zugegangen, in denen Katholiken leben. Der Erzbischof wendet sich sowohl an jene, die von dem Thema „nichts mehr hören“ wollten, wie auch an jene, denen die Aufarbeitung zu inkonsequent sei.
In der katholischen Kirche in Mecklenburg habe es zwischen 1946 und 1989 „auffällig viele und auch brutale Verbrechen durch sexualisierte Gewalt“ gegeben. Dabei sei gerade in der Minderheitensituation in der DDR Vertrauen sehr wichtig gewesen, so Heße. Zudem sei es in der politischen Situation der DDR notwendig gewesen, „nach außen geschlossen dazustehen, nicht angreifbar zu sein“. Jetzt trügen Gespräche mit Betroffenen, die Dokumentation der Taten und des Umgangs mit Tätern zu Gerechtigkeit bei. „Es geht um die Anerkennung und Würde der Betroffenen“, so der Erzbischof.
Bitte: Geben Sie Ihren Glauben nicht auf!
Erzbischof Stefan Heße, der die Ergebnisse der Untersuchung laut eigener Aussage zum Zeitpunkt der Briefaussendung noch nicht kannte, schreibt weiter, das Gutachten werde „beschämendes Versagen der Verantwortlichen aufzeigen“. Dennoch bittet er die Katholiken: „Bitte geben Sie wegen des Versagens unserer Kirche nicht Ihren Glauben an Gott und Jesus Christus auf.“
Die Untersuchung trägt den Titel „Aufarbeitung und Dokumentation des sexuellen Missbrauchs von katholischen Priestern und anderen im Dienst der katholischen Kirche stehenden Personen an Minderjährigen in Mecklenburg von 1946 bis 1989“. Eine Veröffentlichtung war für diesen Freitag, 24. Februar, in Schwerin geplant.
Erarbeitet wurde die Studie in den vergangenen drei Jahren vom Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Ulm. Heße wird am 27. Februar zu der Untersuchung Stellung nehmen. Parallel zur Veröffentlichung richtet das Erzbistum bis 3. März eine Hotline für Betroffene ein.
Die katholische Kirche in Mecklenburg war bis 1994 Teil des Bistums Osnabrück, hatte aber als Bischöfliches Amt Schwerin eine große Selbstständigkeit und konnte wie ein selbstständiges Bistum agieren. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die Region Teil des neugegründeten Erzbistums Hamburg. (kna)