Verkündigung bei der Arbeit

Die Alltagspredigt

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In einer Werkstatt kann man nicht nur arbeiten, sondern auch über Gott und die Welt reden. So hielt es schon der Apostel Paulus.
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Foto: imago/blickwinkel

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In einer Werkstatt kann man nicht nur arbeiten, sondern auch über Gott und die Welt reden. So hielt es schon der Apostel Paulus.

„Bei Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen, und haben euch so das Evangelium Gottes verkündet“, schreibt Paulus. Verkündigen bei der Arbeit – auch heute gibt es Menschen, die genau das tun.

Andrea Kiefer, Matthias Eichbauer und Tobias Bier verstehen ihr Tun ähnlich wie Paulus: im Beruf arbeiten und so den Glauben verkünden. Und das ganz alltäglich und unspektakulär.

„Morgens um acht Uhr fährt Andrea Kiefer den Computer hoch. Bestimmt bitten wieder unzählige E-Mails um Bearbeitung, denkt die Familienmutter, die die Kommunalverwaltung einer Gemeinde im Schwarzwald leitet.

Mit immer demselben Ritual beginnt für Matthias Eichbauer der Arbeitstag im „Treffpunkt an der Clemenskirche“. Er besorgt Tageszeitungen für seine Gäste. Eichbauer leitet die Einrichtung für Wohnungslose und Bedürftige in Münster, die alle nur „Clemenstreff“ nennen.

Tobias Bier lässt das Rolltor seiner Werkstatt hoch. Gleich kommt eine Lieferung an. Die frühen Morgenstunden des Oktobers sind schon ganz schön kalt.

Kiefer, Eichbauer und Bier: Alle drei leben von ihrer Hände und ihrer Köpfe Arbeit. Alle drei verstehen sich aber auch als Verkünder des Glaubens. „Mein Vertrauen auf Gott, meine Botschaften, die ich aus dem Evangelium erhalte, versuche ich bei jeder passenden Gelegenheit auch während meiner Arbeit einzubringen“, sagt Andrea Kiefer. „Ich betrachte meine Tätigkeit als ganzheitliche Verkündigung“, sagt Matthias Eichbauer. Und Tobias Bier erzählt in seiner Behindertenwerkstatt gern von Jesus Christus.

Der 50-jährige Bier ist gelernter Schreiner und sattelte später noch den Betriebswirt drauf. Er stammt aus Halle an der Saale, wohnt aber seit 25 Jahren im Raum Freiburg. Für ihn, der noch in der DDR aufgewachsen ist, war es nicht selbstverständlich, dass Glaube
und Religion ihren Platz im Arbeitsalltag haben dürfen. Inzwischen ist er stellvertretender Leiter einer Caritaswerkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung. Er sagt: „Arbeit ist ein großes Stück unserer Lebenserfüllung und gibt unserem Leben einen Sinn und unserem Alltag eine Struktur.“ 

Außerdem unterstreicht er den sozialen Aspekt seiner Arbeit: „Das Miteinander, nicht das Nebeneinander ist bei unserer Tätigkeit entscheidend. Ansonsten entsteht weder Kommunikation noch gegenseitiger Respekt.“

Aber Bier verkündet nicht nur indirekt, sondern bereitet zu Ostern und zu Weihnachten in seiner Einrichtung auch Gottesdienste vor. „Ich bin fasziniert von der Kraft und dem Glauben unserer Menschen trotz ihrer Lebenseinschränkung“, sagt er. „Eigentlich müssten sie doch viel unzufriedener sein mit ihrem Leben, als ich es oft bin.“

Der „ganzheitliche Verkündiger“ Matthias Eichbauer ist gelernter Krankenpfleger, hat aber auch Soziale Arbeit und Evangelische Theologie studiert. Seit 2016 leitet er den Clemenstreff in Münster. Der Treff – er ist so alt wie er selbst, erzählt der 45-Jährige schmunzelnd – ist ein offenes, niederschwelliges Tages-, Essens-, Begegnungs- und Beratungsangebot für Menschen in sozialen Notlagen, mit und ohne Wohnung. Matthias Eichbauer koordiniert dort die tägliche Arbeit und begleitet die haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden in ihrem Engagement.

„Schon in meinem Job als Streetworker in der Drogenhilfe hatte ich das Privileg, für Menschen am Rand der Gesellschaft da sein zu dürfen. Meinen Glauben brachte ich dort aber eher als philosophischen Background oder als privat-weltanschauliches Hobby ein“, sagt Eichbauer. Doch seine Sehnsucht, im Alltag Arbeit und Verkündigung zu vereinen, wurde stärker. 

Jetzt ist er sich sicher, dass er in seinem Treff als gläubiger Christ wahrgenommen wird. „Ehrlich gesagt möchte ich das auch. Mein Tau-Kreuz um den Hals hat da schon etwas von Dienstkleidung“, sagt er und lacht. Der Familienvater orientiert sich beim Kümmern um die Menschen an seiner tiefen Verbundenheit „mit Gott, der franziskanischen Philosophie, mit den Menschen, denen wir dienen, und mit denen, die mit uns dienen“, sagt er. „Wenn das gelingt, war der Tag gut.“

Die Arbeit ist die eine Seite der christlichen Berufung, die andere Seite ist das Ehrenamt. So ist Andrea Kiefer im Pfarrgemeinderat ihrer Kirchengemeinde und kümmert sich besonders um die Jugend. Mit den Mädchen und Jungen, die die Firmung anstreben, marschiert sie regelmäßig drei Tage lang durch den Schwarzwald zum Kloster Hegne.

Daneben sind Gottesdienste unter freiem Himmel ihr Hauptanliegen. Seit fünf Jahren organisiert sie Berggottesdienste in über 1000 Metern Höhe. Das ist für die Verwaltungsangestellte „Verkündigung ohne räumliche Grenzen“, sagt sie und freut sich über den Saisonhöhepunkt in ihrer Kirchengemeinde.  

Tobias Bier war jahrelang Vorsitzender des Pfarrgemeinderats und des Gemeindeteams in Freiburg-Waltershofen. Inzwischen steht er Wortgottesdiensten in seiner Kirchengemeinde im ländlichen Freiburger Westen vor.

Doch für heute beenden die drei erst mal ihren Arbeitstag. Glücklich, aber erschöpft schließt Tobias Bier in Freiburg als Letzter die Werkstätte ab. Jetzt freut er sich aufs Joggen durch die Weinberge.

Matthias Eichbauer löscht die Lichter in seiner Begegnungsstätte in Münster. Unzählige Menschen haben gegessen, das Gespräch gesucht oder einfach nur keine Diskriminierung erdulden müssen. Meist geht Eichbauer zufrieden mit seinem Tagwerk nach Hause.

Andrea Kiefer fährt in Hausen im Wiesental den Computer runter. Heute bestand ihre Arbeit aus den Themen Trinkwasserversorgung und Kindergarten sowie aus einigen Bauanträgen in ihrer Gemeinde. Zwanzig Kilometer voller Vorfreude sind es jetzt noch bis nach Hause, bis zu ihrem Mann und den beiden Söhnen. Ihr Mann hat gekocht. Indisch. Das mag Andrea Kiefer besonders gerne.

Michael Maldacker