Glaubenswege
Die angekokelte Einladung
Ralf Ruppert
Kleine Weichenstellungen sind oft wegweisend fürs ganze Leben: Nach seiner Erstkommunion 1993 erhielt Joschka Hench zwei Einladungen: eine für die nächste Ministrantenstunde, eine von den örtlichen Pfadfindern. „Die von den Pfadfindern war spannend geschrieben, außen angekohlt und steckte in einer Streichholzschachtel“, erzählt Joschka Hench. „Das hat mich viel mehr angesprochen.“ Es war der Anfang einer langen Karriere bei der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG).
Bereits sein Vater und Großvater seien in der DPSG aktiv gewesen, berichtet Hench. Also stieg auch er als Wölfling beim Stamm Mainaschaff in der Diözese Würzburg ein, ging mit auf große Zeltlager mit bis zu 120 Teilnehmern und ließ sich von den Werten inspirieren. „Die Pfadfinderbewegung wurde von einem englischen General gegründet, ist in Deutschland aber inzwischen als etablierter Kinder- und Jugendverband ein lebendiger Träger außerschulischer Bildung“, sagt Hench. Wichtige Grundsätze seien die Verantwortung gegenüber sich selbst, den anderen in der Gruppe und der Gesellschaft. Rituale wie Fahnenappelle spielten in Deutschland keine Rolle, wohl aber die gemeinsame Kleidung, die sogenannte Kluft, die soziale Hintergründe ausgleichen soll.
Alleine im Weltverband „World Organization of the Scout Movement“ (WOSM), zu der die DPSG gehört, sind 57 Millionen Menschen organisiert. „Das ist eine große Gemeinschaft: Wenn du in Brasilien aus dem Flugzeug aussteigst und vorher etwas mit den Pfadfindern vor Ort vereinbart hast, musst du nur nach einem bunten Halstuch Ausschau halten“, sagt Hench.
„Das waren sehr intensive Jahre“
2018 wurde Hench Bundesvorsitzender, trat aber bei der jüngsten Bundesversammlung im Mai nicht mehr an. Nachfolger wurde Sebastian Becker aus Bad Orb. Bis Ende September ist Hench noch im Amt, was danach kommt, sei offen: „Ich fülle das Amt im Moment noch mit jeder Faser aus, danach muss ich erst einmal Kraft tanken“, kündigt der 38-Jährige an. Schließlich habe er in den vergangenen Jahren zwischen 60 und 70 Stunden pro Woche und mehr als 40 Wochenenden im Jahr für die DPSG gearbeitet. „Das waren sehr intensive Jahre.“
Die Zeit als Pfadfinder habe auch seinen Glaubensweg geprägt: „Ich tue mich schon immer schwer mit dem Begriff Gott“, erzählt Hench. Obwohl sein Elternhaus in Mainaschaff nur wenige Meter von der Pfarrkirche entfernt steht, ist er dort nur alle paar Monate zum Gottesdienst. „Die Kirche war noch nie der Ort, an dem ich mich mit Sinnfragen auseinandergesetzt habe.“
Er vermisse in Gottesdiensten „das Gefühl, mir selbst etwas Gutes zu tun, also sozusagen für meine Seele zu sorgen“. Er wisse, dass bestimmte Rituale wie etwa ein Rosenkranzgebet vielen sehr wichtig seien und wie eine Meditation wirken könnten. „Aber für mich ist das halt nichts.“ Stattdessen seien ihm die Natur, die Gemeinschaft am Lagerfeuer oder das Zusammensein beim Essen wichtiger. „Da kann ich mich selbst als Teil eines großen Ganzen erleben.“
Als Pfadfinder erfahre er immer wieder eine „weltumfassende Vertrauensbasis auf Augenhöhe“ sowie Momente großer Tiefe und Spiritualität. „Gipfelerlebnisse“ nennt das Joschka Hench. Das habe aber nichts mit Berggipfeln zu tun, sondern könne auch im Alltag passieren. „Um die Großartigkeit der Schöpfung zu erleben, braucht es nur den richtigen Rahmen.“ Auch in seinen Führungsrollen sei es ihm immer wichtig gewesen, „Menschen die Auseinandersetzung mit Sinnfragen zu ermöglichen“.
Ziel: Die Welt ein bisschen besser machen
Auf der Suche nach Sinn habe er auch die Bibel komplett gelesen. „Da steht viel Langweiliges drin, auch die meisten Bilder sind veraltet, aber die Hauptbotschaft spricht mich an“, fasst Hench seine Eindrücke zusammen. Den Auftrag zur Nächstenliebe und zur Zufriedenheit mit sich selbst erachtet er aber als absolut zeitgemäß. „Man muss schauen, dass es einem selbst und allen anderen gut geht“, sagt Hench. Ganz nach dem alten Pfadfinder-Motto „Versuche, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, als du sie vorgefunden hast.“
Joschka Hench sieht Religion und Kirche in der Pflicht, Menschen Hilfe im Leben zu geben. Gerade bei der Caritas oder in der Jugendarbeit erkenne er das auch. Wenn er sich jedoch die aus seiner Sicht verkrusteten Machtstrukturen und die nicht ausreichende Aufarbeitung der Fälle von sexualisierter Gewalt in der Amtskirche ansehe, habe er erhebliche Zweifel.
Als Beispiel nennt er auch den Streit zwischen DPSG und Deutscher Bischofskonferenz um die Wahl von Viola Kohlberger zur Bundeskuratin: Einige Bischöfe lehnten ihre Wahl ab, hätten aber keine Begründung geliefert. Deshalb bleibt die Stelle vorerst unbesetzt. Noch ist Hench Kirchenmitglied, auch weil es Voraussetzung für seine hauptamtliche Stelle sei, aber: „Die katholische Kirche macht es mir nicht gerade leicht, dass ich ihr noch einen großen Stellenwert in meinem Leben einräume.“