Rezension zum Buch "Fake Facts"

Die Erde - eine Scheibe?

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In ihrem exzellenten Buch „Fake Facts“ erklären Katharina Nocun und Pia Lamberty, wie gefährlich Verschwörungsmythen für unsere Gesellschaft sind, warum Menschen an sie glauben – und wie wir ihnen begegnen können.

Foto: imago images/Arnulf Hettrich
In seiner eigenen Welt: Dieser Mann wittert in der Corona-Krise offenbar eine riesengroße Verschwörung. Foto: imago images/Arnulf Hettrich


Wer Angst vor einem Bürgerkrieg hat, dem hilft Alex Jones gern – mit einem Rucksack samt eingebauter schusssicherer Weste. Der Verschwörungsideologe aus den USA verkauft ihn in seinem Internetshop für 1141,56 US-Dollar. Der ultrarechte Jones verbreitet in Radio und Internet finsteren Unsinn, über den Terror vom 11. September und das Impfen, über Ufos und den Weltuntergang. Jones ist eines der übelsten Beispiele dafür, wie Verschwörungserzähler aus der Angst ihrer Anhänger ein Geschäft machen. 

Wie niederträchtig Jones vorgeht, beschreiben Katharina Nocun und Pia Lamberty in ihrem exzellenten Buch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Das Buch der Bürgerrechtlerin Nocun und der Psychologin Lamberty ist zum perfekten Zeitpunkt erschienen, zeigt doch die Corona-Krise, wie gefährlich Verschwörungserzählungen sein können. 

Wir wollen unbequeme Wahrheiten wegschieben

Nocun und Lamberty präsentieren erschreckende Zahlen: In Deutschland glaubten laut einer repräsentativen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2019 mehr als ein Drittel der Bevölkerung, dass „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte“ seien. Und laut einer Untersuchung der Universität Mainz 2016 glaubt jeder fünfte Deutsche daran, dass Flugzeuge Chemikalien versprühen, um das Klima zu beeinflussen. Es gibt sogar Menschen, die heute davon ausgehen, es sei eine Weltdiktatur geplant, der Vatikan besitze eine Zeitmaschine – oder die Erde sei eine Scheibe. 

Warum Menschen an solchen Unfug glauben? Entweder, weil sie einen Kontrollverlust kompensieren wollen, etwa in unsicheren Zeiten oder nach einem Jobverlust. Oder weil sie sich von der Masse abheben wollen – indem sie etwas sagen, das gängigen Erklärungen widerspricht. 

Nocun und Lamberty verspotten Verschwörungsgläubige nicht, sie analysieren ihr Verhalten wohltuend sachlich. „Wir alle neigen dazu, unbequeme Wahrheiten lieber weit von uns zu schieben, wenn sie unser Weltbild ins Wanken bringen“, schreiben sie. „Viele Verschwörungsgläubige wollen auch dann weiterhin an ihrer Version der Realität festhalten, wenn alle Fakten dagegensprechen. Schließlich begreifen sie den Glauben nicht selten als Kernaspekt ihrer Identität.“

Wie weit das gehen kann, zeigen sie am Beispiel von Mitgliedern einer Ufo-Sekte: Sie versammelten sich in einem Haus bei Chicago. Sie hatten ihre Jobs gekündigt, ihre Ehepartner verlassen. Sie glaubten, dass eine Flutkatastrophe bevorsteht und nur sie von Außerirdischen in Raumschiffen gerettet werden. Dann aber passierte: nichts. Ein Großteil der Mitglieder rebellierte darauf nicht gegen die Sektenanführerin, sondern glaubte noch fester an ihre Behauptung.

„Fake Facts“ ist klug und konstruktiv, spannend und unterhaltsam. Dieses Buch sollte Pflichtstoff in der Schule werden. Wer es liest, der versteht, wie sehr unsere Gesellschaft von Verschwörungserzählungen bedroht ist. 

Sie finden sich in allen Teilen der Gesellschaft, sind aber vor allem ein brandgefährlicher Bestandteil rechtsextremer Parteien und Ideologien. Diese leugnen den Holocaust oder behaupten, die Regierungen würden darauf hinarbeiten, die Bevölkerung durch muslimische Einwanderer zu ersetzen. 

Der Klimawandel wird gezielt verharmlost

Wenn ein Teil der Bevölkerung an derartige Lügen glaubt, wird es schwierig, miteinander zu diskutieren. Es fehlt dann eine gemeinsame Vorstellung davon, wie die Welt aussieht. Zudem können Verschwörungserzählungen ein Katalysator für Gewalt sein. Nur ein Beispiel: Der rechtsextreme Terrorist, der im Februar in Hanau zehn Menschen ermordete, verbreitete in Texten und Videos Verschwörungserzählungen.

Viele Mythen erreichen erst durch das Internet ein Millionenpublikum. Dort finden sich für abgedrehteste Thesen Gleichgesinnte. Und jeder findet Behauptungen, die in sein Weltbild passen. Etliche Unternehmen nutzen das und investieren viel Geld in die Verbreitung verharmlosender Mythen zum Klimawandel, etwa der ultrarechte US-Milliardär Robert Mercer. Die Propaganda wirkt. Kein Wunder: Der Klimawandel ist unbequem. Es ist einfacher zu glauben, man könne weiterleben wie bisher – weil der Klimawandel nicht menschengemacht ist. 

Was aber hilft im Gespräch mit Verschwörungsgläubigen? Oft, so die Autorinnen, bringt es wenig, sie mit Fakten zu bombardieren. Besser kann es sein, gezielt nachzufragen. Und vor allem: Empathie zu zeigen für die Probleme, die womöglich der Grund dafür sind, dass sie sich von der Realität verabschiedet haben. 

Von Andreas Lesch

 

Katharina Nocun, Pia Lamberty: Fake Facts. Quadriga Verlag. 352 Seiten. 19,90 Euro.