Krankenhausreform
Die Grenze ist überschritten
Foto: Andreas Hüser
Man kann es durchaus als Vorzeigeklinik bezeichnen: das katholische Kinderkrankenhaus Wilhelmstift im Hamburger Stadtteil Rahlstedt. Das gilt für das Haus der Ansgar-Gruppe auch in finanzieller Hinsicht. Umso stärker war das Aufsehen, als es Anfang Juli die Spendenaktion „Zukunft Wilhelmstift“ zugunsten einer medizinisch hochwertigen Versorgung.startete, mit der eine Finanzlücke von zwei Millionen Euro gestopft werden soll – bei einem Jahresbudget von 60 Millionen eine nennenswerte Summe. „Wir haben uns schwergetan, mit dieser Nachricht an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Dr. Sönke Siefert, Leiter Medizinmanagement und Kommunikation beim Wilhelmstift und Vorsitzender des Fördervereins, der die Spenden sammelt. Und fügt gleich hinzu: „Das hat überhaupt nichts mit dem Erzbistum zu tun, das einer der Gesellschafter ist.“
„Das Wilhelmstift ist eine eigenständige gGmbH. Den Vorschlag, Kindermedizin im Wilhelmstift durch Kirchensteuern zu finanzieren, halte ich für nicht zielführend", meint Siefert. Der mit dem Spendenaufruf verbundene Hilferuf richtet sich vielmehr an Bund und Land. Es hätten alle verstanden, dass die aktuelle Krankenhausfinanzierung, nach der die Länder Gelder für Investitionen und die Krankenkassen Gelder für die Behandlungen nach einem System von Fallpauschalen leisten, an ihre Grenzen gekommen sei, sagt Siefert. Kinderkliniken spürten dies stärker und früher als andere. Das Wilhelmstift macht somit gerade aufgrund seines soliden Wirtschaftens auf ein Problem aufmerksam, das alle Kinderkliniken in Deutschland betrifft.
Die Gründe dafür sind laut Siefert vielfältig. So sei es zeitaufwändiger, Kinder zu versorgen. „Wenn ein zweijähriges Kind keine Lust hat, sich untersuchen zu lassen, kann und will der Arzt nicht rausgehen und die Behandlung abbrechen.“ Ein weiterer Grund sei die geringe Planbarkeit bei der Belegung, etwa im Gegensatz zu orthopädischen Kliniken, die auf Monate hinaus beispielsweise Hüftoperationen terminieren könnten. Krankenhäuser, die solche Operationen durchführten, könnten darüber auch ihre Kinderabteilung querfinanzieren, wenn sie denn eine hätten.
Das System der Fallpauschalen lasse zudem nur eine Kostensenkung durch Einsparungen beim Personal oder durch die Behandlung von mehr Fällen zu. „Das geht in der Pädiatrie aber nicht und das will in der Pädiatrie auch keiner.“ Zudem führt laut Siefert der bundesweite Mangel an Pflegekräften dazu, dass in vielen Krankenhäusern die Kapazitäten nur zu rund 80 Prozent genutzt werden können. Das habe auch damit zu tun, dass die Zahl der Patienten, die ein Pfleger laut Gesetz versorgen dürfe, gesetzlich begrenzt sei. Siefert: „Dieser Punkt sollte ausgesetzt werden, solange ein so ausgeprägter Fachkräftemangel besteht. Auch sollte die Zeit, die eine Pflegekraft täglich für die Dokumentation aufwende, deutlich reduziert werden, damit sie mehr Zeit für die Patienten habe.
Andererseits plädiert Siefert auch dafür, dort, wo es verantwortbar ist, die Kinder früher aus dem Krankenhaus zu entlassen. Dazu solle die untere Grenzverweildauer abgeschafft werden, die ein Kind in der Klinik bleiben muss, damit die voll Fallpauschale gezahlt wird. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte diese im Zuge der Corona-Krise schon einmal ausgesetzt. „Das hat uns damals unglaublich entlastet", berichtet Siefert. Dazu brauche es einen Ausbau der ambulanten Kindermedizin. Dann müssten weniger Kinder etwa bei Darmerkrankungen stationär aufgenommen werden oder könnten früher entlassen werden. Vorerst geht es den Medizinern des Wilhelmstifts darum, eine Durststrecke bis zu einer umfassenden Krankenhausreform zu überbrücken. Bislang sind von den benötigten zwei Millionen Euro übrigens rund 250 000 Euro durch Spenden zusammengekommen.