Über den Sündenfall, ererbte Schuld und das Böse in uns allen
Die Kehrseite des Guten
Die erste Lesung an diesem Sonntag ist die Erzählung des Sündenfalls. Für die meisten Katholiken ist sie verbunden mit der hoch umstrittenen Erbsündenlehre. Was will die Geschichte – und was hat die Kirche daraus gemacht? Fragen an den Fundamentaltheologen Christoph Böttigheimer.
Professor Böttigheimer, am 1. Fastensonntag wird die Erzählung vom Sündenfall an prominenter Stelle verkündet. Finden Sie das richtig?
Es ist sogar unverzichtbar, denn sie ist ja die Grundlage dessen, was dann an Ostern gefeiert wird: das göttliche Heil in Christus. Und man muss natürlich klären, warum uns dieses Heil denn geschenkt werden muss, warum wir überhaupt heilsbedürftig sind.
Sollte man dazu predigen?
Ja, auch das ist unverzichtbar, aber auch heikel. Deswegen sollte die Predigt gut überlegt und vorbereitet sein.
Was wären aus Ihrer Sicht die Kerngedanken?
Zunächst zu betonen, dass nicht das Verhaftetsein in der Sünde das Erste ist, was in der Bibel angesprochen wird, sondern das Heil, die Gemeinschaft mit Gott – und erst von daher fällt das Licht auf das Unheil. Und es muss deutlich werden, dass es sich hier um eine Erzählung handelt, nicht um irgendeinen historischen Bericht. Es ist eine Erzählung, die etwas erklärt, was immer schon gegeben ist, aber an keinem historischen Punkt festgemacht werden kann.
Was genau ist das? Auf welche Frage antwortet die Erzählung?
Sie antwortet auf die Frage: Wie kommt es dazu, dass die harmonische Beziehung zwischen Gott und Mensch gestört ist?
Antwortet sie auch auf die Grunderfahrung, dass jeder Mensch auch Böses in sich trägt?
Unbedingt. Durch die gestörte Beziehung zwischen Gott und Mensch, dadurch dass der Mensch selbst sein will wie Gott, macht er die Erfahrung, dass die Kehrseite des Guten immer das Böse ist, ja, dass tatsächlich vom Bösen eine gewisse Anziehungskraft ausgeht.
Was man beim Blick in die Welt tagtäglich beobachten kann.
Eben, das erleben wir heute überdeutlich. Wir erleben, dass wir das Paradies, wie es in der Genesis heißt, oder das Reich Gottes, wie es in den Evangelien heißt, nicht selbst machen können. Wir können uns nicht selbst retten, uns selbst die Fülle des Lebens schenken, das kann nur Gott. Und das heißt Erlösung. Die übrigens nicht nur für mich als Individuum gilt, nicht nur für die Menschen, sondern für die ganze Schöpfung. Es geht in der Geschichte vom Sündenfall um das Heil für alles, was ist – und das kann man in der ökologischen Krise ja auch sehr deutlich sehen.
Das eine ist, was die biblische Geschichte erzählt, das andere, was die Kirche daraus gemacht hat.
Ja, tatsächlich, und das war nicht immer etwas Gutes.
Mit Paulus fängt es an ...
Paulus greift die Erzählung im Römerbrief auf, Kapitel 3 und 5. Er erkennt die Übermacht der Sünde, des Bösen in der Welt, und das ist ja auch nachvollziehbar. Es gibt einfach Situationen, in denen wir übermannt sind von der Macht des Bösen. Paulus schreibt, dass er sich selbst manchmal unfähig sieht, das Gute zu tun, auch wenn er das möchte. Was Paulus aber nicht anspricht, ist das universale Schuldigsein des Menschen vor Gott von Geburt an. Dieser Gedanke ist Paulus fremd, der ist von Augustinus.
Was hat Augustinus denn da falsch verstanden?
Er hat die Stelle Römer 5,12 falsch interpretiert: „Wie durch einen einzigen Menschen die Sünde in die Welt kam …“ Augustinus versteht das so, dass in Adam schon die ganze Menschheit angelegt war und deshalb die Sünde des Adam alle Menschen unmittelbar betrifft. Und damit hat Augustinus die Erbsündenlehre entworfen. Mit der Vorstellung, dass die grundlegende Sündhaftigkeit von Geburt an besteht und die ererbte Sündhaftigkeit in der Taufe abgewaschen werden muss, um das Heil Gottes erlangen zu können – deshalb war Augustinus ein großer Verfechter der Säuglingstaufe.
Und er hat sich durchgesetzt.
Ja, in der Tat hat Augustinus die gesamte westliche Theologie nachhaltig geprägt, und das noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, bis in die vorkonziliare Zeit. Übrigens auch die protestantische Theologie. Für Luther war der Mensch nicht frei, es stand alles unter dem Vorzeichen der Erbsünde und nur die Gnade Gottes konnte davon erlösen.
Heraus kamen Lehren wie die, dass ungetauft gestorbene Kinder nicht in den Himmel kommen.
Ja, solche missbräuchlichen Lehren haben viel Leid verursacht. Was aber dann dazu führte, dass die Erbsündenlehre vollständig abgelehnt wird.
Ist denn die Lehre, dass die Erbsünde in der Taufe abgewaschen werden muss, um in den Himmel zu kommen, heute obsolet?
Ja, sie ist obsolet. Weil der Gedanke, von einer ererbten Schuld erlöst werden zu müssen, schwierig ist. Und weil wir uns nicht anmaßen können zu sagen, wer des göttlichen Heils teilhaftig wird.
Aber im Taufritus steht immer noch, dass Taufe von der Schuld Adams befreit. Wie soll man das verstehen?
Erst mal ist wichtig, dass da nichts von der Erbsünde steht, da wird nichts vererbt im Sinne von Weitergabe durch die Generationen. Nein, die Schuld Adams ist mehr zu verstehen als Ursünde, als symbolischer Ausdruck für die Erfahrung, dass wir alle in Schuld und Sünde verstrickt sind, dass jeder Mensch sich im Laufe seines Lebens selbst verfehlen wird.
Aber davon kann die Taufe auch nicht befreien.
Nein, diese Ambivalenz von Gut und Böse bleibt bestehen. Aber sie wird eingebettet in eine grundlegende Gemeinschaft mit Gott, mit Christus, und damit ist die am Anfang genannte Störung zwischen Gott und Mensch aufgehoben. Oder anders gesagt: Wir können mit der Ambivalenz, die in uns fortbesteht, anders umgehen. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist wieder grundsätzlich in Ordnung.
Interview: Susanne Haverkamp
Christoph Böttigheimer lehrt Fundamentaltheologie
an der Katholischen Universität Eichstätt.
2021 hat er einen Sammelband über „Die Erbsündenlehre
in der modernen Freiheitsdebatte“ herausgegeben.