Bernhard Vogel über den Glauben, die Politik und sein Leben
„Die Kirche wird nicht untergehen“
Wenn jemand über 90 ist und als Katholik bekannt, dann geht man davon aus: Der stammt aus einer gut katholischen Familie. Aber Bernhard Vogel sagt: „In meiner Familie hat das kirchliche Leben keine große Rolle gespielt.“ Zumal seine Eltern eine, wie man früher sagte, Mischehe führten. „Mein Vater war evangelisch, meine Mutter katholisch.“
Bedeutung bekam die Kirche für ihn erst in der Schulzeit. „Wir lebten damals in Gießen, in der Diaspora. In meiner Klasse waren vielleicht fünf, sechs Katholiken, den Religionsunterricht hat der Pfarrer erteilt“, sagt Vogel. Der sei zwar kein großer Intellektueller gewesen, aber habe „die Liebe zur Kirche geweckt“. Und den Weg in die Jugendarbeit geebnet, in den Bund Neudeutschland (ND). „Da bin ich immer noch Mitglied, auch wenn der Verband heute keine große Rolle mehr spielt.“
Damals hatte er große Bedeutung: die Gruppenstunden, die Gottesdienste, die Fahrten. „Durch den ND ist mir die Kirche zur Heimat geworden“, sagt Vogel und erinnert sich an seine allererste Auslandsreise. „1950 sind wir nach Rom gefahren. Das war ein Ereignis, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Lebhaft erinnert er sich daran, wie der damalige Papst Pius XII. auf einer Sänfte durch den Petersdom getragen wurde. „Das fand man damals nicht seltsam, das war ganz normal und sehr eindrucksvoll.“
„Mein Glaube ist die Ursache für meinen Einsatz für Staat und Gesellschaft“
Studiert hat Vogel in München: Politikwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Volkswirtschaft. Und nebenbei hat er die Vorlesungen des Jesuitenpaters Romano Guardini besucht. „Das war ganz selbstverständlich für einen interessierten Katholiken.“ Immer sei der Hörsaal überfüllt gewesen. „Und wir jungen Studenten haben uns über die älteren Leute geärgert, die schon ganz früh da waren und uns die Plätze weggenommen haben“, sagt der 91-Jährige und man spürt durchs Telefon, wie er dabei lächelt.
Dass sich Bernhard Vogel dafür entschieden hat, in die Politik zu gehen, hat viel mit diesen Erfahrungen zu tun. „Mein Glaube ist die Ursache für meinen Einsatz für Staat und Gesellschaft“, sagt er. Und schiebt hinterher: „Für mich persönlich war und ist das Christenpflicht!“ Was nicht heißt, dass er mit der Bibel Politik gemacht hat. „Nein, der Glaube hilft wenig bei konkreten Sachfragen, aber er ist die dahinterliegende Motivation“, so der CDU-Politiker. Dafür, dass „Erst das Land“ kommt, wie er seine autobiografischen Erinnerungen überschrieben hat, und erst dann das Eigeninteresse.
Auch als Politiker blieb Vogel kirchlich engagiert. „1968 war ich Präsident des Katholikentags in Essen, das war meine Feuerprobe“, sagt er. Es war kurz nach dem Konzil, die „Pillenenzyklika“ von Papst Paul VI. sorgte für Aufruhr, die Studentenproteste schwappten in die katholische Kirche. „Die Würzburger Synode mit ihren Reformanliegen war ein Ergebnis dieses sehr, sehr unruhigen Katholikentags“, erinnert sich Vogel.
1971 begann die Synode, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) getragen wurde. Im Jahr darauf, 1972, wurde Bernhard Vogel ZdK-Präsident. In einem Interview, das der „Spiegel“ zu seiner Wahl führte, sagte Vogel damals: „Mir ist klar, dass mein neues Amt schwierig, klippenreich und gefährlich ist.“ Heute darauf angesprochen, lacht er. „Stimmt, das war es wirklich!“ Denn nicht nur der Diakonat der Frau oder die Freistellung des priesterlichen Zölibats standen damals auf dem Programm; auch Debatten wie die Abtreibungsgesetzgebung und Wahlempfehlungen der Bischöfe waren heiße Eisen.
Sympathie für verheiratete Priester
Dass viele der Voten aus Würzburg in Rom ignoriert wurden, findet Bernhard Vogel bis heute bedauerlich. Aber es war nicht Frust, der dazu führte, dass er nach vier Jahren nicht erneut für das Präsidium des ZdK antrat. „Ich wurde 1976 zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz gewählt“, sagt er. „Ich fand es nicht passend, beide Ämter gleichzeitig auszuüben.“ Im ZdK blieb er aber – insgesamt 40 Jahre.
Schwierig, klippenreich und gefährlich – so könnte man auch den Synodalen Weg beschreiben, den Vogel mit Interesse verfolgt hat. „Kirche musste sich immer reformieren, um Kirche in der Welt von heute zu bleiben“, sagt er und macht keinen Hehl aus seiner Sympathie etwa für verheiratete Priester. Die deutschen Bischöfe machten aus seiner Sicht „zu wenig Gebrauch davon, dass Papst Franziskus die Eigenständigkeit der Regionen fördern will“.
Vogel sagt aber auch: „Dass gerade so viele Menschen aus der Kirche austreten, hat sicher auch damit zu tun, dass die Weitergabe des Glaubens nicht gelungen ist.“ Und er betont, dass man, was die Zukunft der Kirche betrifft, nicht nur auf Deutschland schauen dürfe. „Ich glaube unverändert an das Christuswort: Die Kirche wird nicht untergehen und Bestand haben bis zum Ende der Welt.“
Auf das Ende schaut er mit 91 Jahren auch in anderer Hinsicht. „Natürlich ist es schmerzlich zu sehen, dass Freunde und Wegbegleiter sterben, dass die Einschläge näherkommen“, sagt Vogel. Aber sein Vertrauen in Gott sei ungebrochen. „Er ist der Schöpfer der Welt und mein Schöpfer. Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass das auch über den Tod hinaus gilt, wäre ich nicht gläubig.“
Ob er ein frommer Mann ist? „Das kann ich selber nicht beurteilen“, sagt Vogel. Aber die Sonntagsmesse sei ihm weiterhin wichtig. „Meistens gehe ich ins Dominikanerinnenkloster ganz in meiner Nähe oder am Sonntagabend in unseren Speyerer Dom.“ Und wenn es mal nicht klappt, „dann aus Altersgründen und nicht, weil ich keine Lust habe“.
Zur Sache
In seiner Autobiografie schreibt Bernhard Vogel über seinen Werdegang in der Politik in West und Ost, über Begegnungen mit Personen der Zeitgeschichte und über Wegmarken der deutschen Geschichte: Erst das Land. Herder Verlag,416 Seiten, 28 Euro