Anfrage

Die Lesungen: Gottes Wort oder Menschenwort?

Am Ende der Lesung sagen die Lektoren: „Worte des lebendigen Gottes“. Aber es sind doch gar nicht Gottes Worte, sondern die der Autoren, der Apostel, der Propheten. Wäre es nicht besser, „Worte der heutigen Lesung“ zu sagen oder auch den Autor explizit zu benennen? B. P., 24211 Preetz

Um präzise zu sein: Es heißt „Wort des lebendigen Gottes“. Nicht Worte – und genau das macht den Unterschied!

Denn natürlich sind die konkreten Worte von Menschen aufgeschrieben – manche kennen wir namentlich, die meisten sind unbekannt.Oft waren auch mehrere Menschen am Werk: Immer mal wieder haben sie an Texten rumredigiert und sie verändert. Es ist eine Wissenschaft, das herauszuklamüsern.

Nichtsdestotrotz sind Christen davon überzeugt, dass die Autoren des Alten und Neuen Testaments nicht nur aus eigener Kenntnis und Kraft geschrieben haben. Sie waren, so sagt die Theologie, „inspririert“, also vom Geist Gottes beseelt. 
Weder haben sie sich ganz aus eigenem Antrieb hingesetzt und gesagt: „So, ich schreib’ jetzt mal eine schöne Schöpfungsgeschichte“ noch haben sie inhaltlich ganz selbstherrlich über Himmel und Hölle philosophiert. Angetrieben waren sie von Gottes Geist – sowohl in der Entscheidung, überhaupt zu schreiben, als auch in dem, was sie schrieben.

Genau das will der Satz „Wort des lebendigen Gottes“ aussagen: dass die Menschenworte über sich hinausweisen und dass wir Gott selbst dafür danken können. Für biblische Weisheiten und Weisungen, die, um es mal umgangssprachlich auszudrücken, nicht allein auf unserem Mist gewachsen sind.

Und der Satz sagt außerdem: Dieses Wort Gottes ist weiterhin lebendig. Es wirkt in uns, wenn wir es hören, wenn wir darüber nachdenken; auch wir sind inspiriert – inspirierter, als wir von reinem Menschenwort sein könnten.
Ein Satz wie „Worte der heutigen Lesung“ wäre deshalb nicht falsch, aber doch zu blass, zu schwach, zu uninspiriert; und den Autor zu nennen, wäre aus den genannten Gründen meistens sowieso schwierig bis unmöglich.
Übrigens wird von Experten nur eine einzige Alternative empfohlen: die Stille – damit das Wort Gottes zu uns spricht.

Susanne Haverkamp