Blick in die Karwoche

Die letzten Tage Jesu

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Nahaufnahme von Jesus am Kreuz
Nachweis

Foto: wikimedia/Fernando de Gorocica

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Der Gekreuzigte in der Kirche San Marcello in Corso in Rom

Die vier Evangelien erzählen alle etwas unterschiedlich von den Geschehnissen in Jerusalem. Offene Fragen zum Wie und Warum bleiben. Außerbiblisch gesichert ist, dass Jesus am Kreuz starb. Vieles andere kann man nur vermuten.


Palmsonntag

Jesus ging mit seinen Jüngerinnen und Jüngern nach Jerusalem, um das Paschafest zu feiern – so wie Zehntausende andere auch. Eine Jerusalemwallfahrt zum Pascha machten viele. Aber Jesus ging nicht einfach und bescheiden im Zug der Pilger mit; der Einzug war inszeniert, das erzählen alle vier Evangelien. Und damit fingen die Probleme an.

Denn das jüdische Volk wartete auf den Messias, einen neuen David, der die Römer mit mächtiger Hand vertreiben würde. Auf einen neuen Mose, der wie damals beim Auszug aus Ägypten – an den am Paschahfest ja erinnert wird – Unmögliches möglich macht. Pontius Pilatus wusste um die aufgeheizte Stimmung. Deshalb zog er jedesmal zum Fest Truppen in Jerusalem zusammen und verbrachte auch selbst die Tage dort. Sicher ist sicher.

Jesus kannte die heiligen Schriften. Zum Beispiel die des Propheten Sacharja, der den kommenden Messias verkündete. Unter anderem mit diesen Worten: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Demütig ist er und reitet auf einem Esel.“ (Sacharja 9,9) 
Jeder, der sich auskannte, verstand also die Botschaft des Einzugs Jesu auf dem Esel und unter dem Jubel seiner Anhänger. Auch die Sadduzäer verstanden es, einflussreiche Priester, die Provokationen hassten und eine vernünftige, pragmatische Koexistenz mit den Römern anstrebten. Ihnen musste der gefeierte Jesus als Gefahr erscheinen.
 

Die Tage Danach

Matthäus, Markus und Lukas verlegen viele Predigten und Streitgespräche Jesu in die Zeit nach dem Einzug in Jerusalem. Etwa den Streit um die kaiserliche Steuer, Endzeitreden und die Ankündigung der Zerstörung des Tempels – politische Reden also, die auch das Zusammenleben mit den Römern berührten.

Bei Johannes ist das anders. Hier findet die Tempelreinigung schon im zweiten Kapitel statt, auch vor einem Passahfest, aber in einem früheren Jahr. Nach dem Einzug in Jerusalem passiert dagegen nicht mehr viel. Jesus kündigt sein Leiden an, ein letzter Aufruf zum Glauben und dann geht es schon zum Mahl.

Auch wenn Widersprüche bleiben, sicher ist: Die Anwesenheit Jesu in Jerusalem hat Furore gemacht. So viel Furore, dass sowohl die Römer als auch die führende Priesterschaft ein großes Gefahrenpotenzial sahen. Und Jesus muss das gewusst haben. Er hat provoziert – mit welcher Absicht auch immer.

Gründonnerstag

Das Paschafest hat im jüdischen Kalender einen festen Termin, den 14. Nisan, und der fällt, wie bei uns Weihnachten, auf wechselnde Wochentage. In jedem Fall beginnt das Fest am Vorabend bei Sonnenuntergang. Dennoch ist der zeitliche Ablauf etwas unklar. Denn wenn bereits am Donnerstagabend das rituelle Sedermahl eingenommen wurde, könnte am Freitag, also am Todestag Jesu, nicht „Rüsttag“ gewesen sein. Johannes schreibt deshalb allgemeiner: „Es fand ein Mahl statt.“ Und auch wenn die anderen Evangelisten ausdrücklich vom Paschamahl sprechen: Vom Lamm, das unbedingt dazugehört, ist nicht die Rede.

Auch im Ablauf des Abschiedsmahls nimmt Johannes eine Sonderrolle ein: keine Einsetzungsworte, dafür die Fußwaschung und eine sehr lange und theologisch dichte Abschiedsrede.

Einig sind sich die Evangelisten, dass Jesus außerhalb der Stadtmauern verhaftet wurde. Von Dienern der Priesterschaft, möglicherweise unterstützt von römischen Soldaten. Zuvor dürfte der Hohepriester Kajaphas mächtig unter Druck geraten sein: von Pontius Pilatus und von seinem Schwiegervater, dem mächtigen Hannas. Kajaphas solle für Ruhe in Jerusalem sorgen, sonst müsse es die gesamte Bevölkerung büßen. „Bedenkt, dass es besser ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht“ war die Haltung des Kajaphas.

Karfreitag

Der Prozess Jesu, wenn man das Verfahren einen Prozess nennen will, war seltsam. Denn Römer und Priesterschaft schoben offenbar die Verantwortung hin und her. Zudem hatte der Prozess rein gar nichts mit dem schon damals recht ausgefeilten römischen Recht zu tun. Erschwerend kam eine gewisse Eile hinzu: Bei Sonnenuntergang, wenn das Paschafest begann, musste alles erledigt sein. Inklusive Begräbnis.

Was die Anklage betrifft, ging es um zwei Problemfelder: das religiöse und das politische. Religiös warf die Obrigkeit Jesus Blasphemie vor. Er relativiere göttliche Gesetze. Aus dem schlimmsten Vorwurf, Jesus habe behauptet, der Sohn Gottes zu sein, spricht dagegen eher das Glaubensbekenntnis der Kirche fünfzig Jahre später. „Ich bin ...“ hat Jesus oft gesagt; „der Sohn Gottes“ war nie die Ergänzung. 

Pontius Pilatus interessierten religiöse Streitereien nicht. Aber er interessierte sich für Aufruhr – egal ob religiös oder politisch motiviert. „Bist du der König der Juden?“, fragte er. Und obwohl er in Jesus wohl keinen gewaltbereiten Revoluzzer sah, verurteilte er ihn standrechtlich zum Tod am Kreuz. Sicher ist sicher, Abschreckung ist gut und das Leben eines dahergelaufenen Juden war für ihn sowieso nichts wert. So regierten die Römer eben; eine solche schnelle Aburteilung ist absolut realistisch.

Und Jesus? Er verteidigte sich nicht. Er ließ alles geschehen, hielt seinen Rücken hin. So wie es Jesaja in seinen Gottesknechtliedern besingt, die Jesus ganz sicher gut kannte. Er verstand sich als leidender Gerechter, als einer, der kein Unrecht getan hat, aber sich dennoch nicht wehrt. „Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt, so tat auch er seinen Mund nicht auf“, heißt es bei Jesaja. Der aber auch vom grenzenlosen Vertrauen auf Gott singt: „Nachdem er vieles ertrug, erblickt er das Licht.“

Zweifellos hat Jesus sich geopfert. Für seine Überzeugungen, für seine Freunde, für sein Volk. „Es ist besser, wenn einer stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde geht“, sagt Kajaphas. Jesaja sagt es so: „Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Durchaus wahrscheinlich, dass Jesus das auch so gesehen hat.

Susanne Haverkamp