Mutmaßlicher Missbrauchsfall sorgt für Diskussionen

An die Opfer denken

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Ein mutmaßlicher Missbrauchsfall sorgt für Diskussionen: Bei der Beschäftigung mit juristischen Fragen dürfen die Opfer nicht vergessen werden, fordert eine Betroffeneninitiative.

Deutliche Kritik am Umgang mit einem mutmaßlichen Missbrauchsfall, der eine Frau aus Sachsen betrifft, hat die Betroffeneninitiative Süddeutschland geübt. Das Vorgehen in dem Fall zeige, dass das Erzbistum Freiburg grundlegende Prinzipien der Missbrauchsordnung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) nicht verstanden habe oder nicht verstehen wolle, erklärte die Interessensvertretung von Missbrauchsopfern im kirchlichen Kontext gegenüber der „Sächsischen Zeitung“. Formaljuristische Fragen dienten dazu, vom Leid der Betroffenen abzulenken. Das sei der typische Umgang der Kirche. „Man schaut allein auf den Ruf der Kirche. Was das mit den Betroffenen macht, spielt keine Rolle“, zitiert die Zeitung eine Sprecherin der Initiative. „Es wird versucht, die Betroffene zu diskreditieren, indem ihr Lügen vorgeworfen werden.“

Timmerevers: Vorwürfe glaubhaft
Mehrere Tageszeitungen hatten den Fall kürzlich öffentlich gemacht. Danach soll im Jahr 1990 ein Mitglied des Pallottiner-Ordens, der zu dieser Zeit Novize war, eine damals nicht mehr minderjährige Frau aus Sachsen sexuell missbraucht haben. Ein zweiter Pallottiner-Pater soll diesen Missbrauch gedeckt haben. Die Frau hielt sich damals in einer Ausbildungsstätte des Ordens im fränkischen Untermerzbach (Bayern) auf und war „vollständig auf den Schutz und die Hilfe des Ordens“ angewiesen gewesen, ist der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers überzeugt.
Für ihn seien die Vorwürfe glaubhaft und wahrscheinlich, so Bischof Timmerevers weiter. Er hat deshalb im Jahr 2020 den Fall der Staatsanwaltschaft gemeldet und die kirchenrechtliche Voruntersuchung angeordnet, nachdem die Frau sich an ihn gewandt hatte. Aus pastoralen und präventiven Gründen untersagte er den beiden Pallottinern jegliche Seelsorge in seinem Bistum. Auch der Jesuiten-Orden hat dem Einsatz des Hauptbeschuldigten deutschlandweit in seinen Einrichtungen widersprochen, ebenso einzelne weitere Bistümer bis zur Aufklärung der Vorwürfe.
Das Erzbistum Freiburg, in dem die beiden Pallottiner heute wohnen, erklärte, dass sich die Vorwürfe kirchenrechtlich nicht erhärten ließen, weil der hauptbeschuldigte Pater als angehender Mönch kein Kleriker gewesen sei. Außerdem sei „zweifelhaft, ob es sich bei der Betroffenen um eine Schutzbefohlene“ gehandelt habe. Freiburg verweist unter anderem auf das damalige Alter der Frau.
Der Pallottiner-Orden hat inzwischen ebenfalls erklärt: Die Vorwürfe hätten sich trotz umfassender Aufklärung nicht erhärten lassen, und eine Schuld der Patres oder gar eine Straftat konnte nicht festgestellt werden. Es gelte daher für beide Mitbrüder weiter die Unschuldsvermutung. Untersuchungen von staatlicher und von kirchlicher Seite hätten nicht zu einer Anklageerhebung oder gar Verurteilung geführt. Weder das Erzbistum Freiburg noch die Pallottiner weisen in ihren Erklärungen allerdings darauf hin, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen deshalb eingestellt wurden, weil die Tat im Jahr 2017 verjährt ist und damit nicht mehr verfolgt werden kann.
Die Pallottiner kritisieren außerdem die beiden Tageszeitungen scharf, die zuerst über den Fall berichtet hatten. Die aus ihrer Sicht „identifizierende Berichterstattung mit Bezug auf die beiden Patres“ sei vorverurteilend. Die Pallottiner wollen deshalb „eine Beschwerde beim Deutschen Presserat einreichen. Die Berichterstattung verstößt nach unserer Ansicht gegen Grundsätze des Pressekodex.“
Wie die „Sächsische Zeitung“ weiter berichtet, gebe es bisher keine Grundsatzentscheidung aus dem Vatikan. Die Glaubenskongregation habe sich für unzuständig erklärt und somit Timmerevers und die deutschen Bischöfe in ihrer Verantwortung bestätigt. Die Kleruskongregation habe zwar die Wirkung eines kirchenrechtlichen Dekrets aus Dresden vorerst ausgesetzt, nicht aber die eigentliche Verfügung nach der Missbrauchs-Ordnung. Bischof Timmerevers hofft auf eine baldige Entscheidung aus Rom. Aus Präventionsgründen wolle er an seiner Entscheidung festhalten.

„Vorwürfe werden immer wieder neu geprüft“
Die immer wieder neuerlichen Untersuchungen der Vorwürfe ist ein weiterer Kritikpunkt der Betroffenen-Initiative: „Dass man die Plausibilität der Vorwürfe von Betroffenen nach Belieben immer wieder prüft, ist ungeheuerlich.“ Jedes Mal sei das wieder eine seelische Belastung und Betroffene würden so zum Spielball irgendwelcher Interessen. „Man sollte meinen, dass die Kirche begriffen hat, dass diese Art von Diskreditierung mit das Schlimmste ist, was Missbrauchsbetroffenen passieren kann“, zitiert die „Sächsische Zeitung“ die Sprecherin der Initiative.
Die Zeitung berichtet außerdem über die Aufforderung des Anwalts der betroffenen Frau an das Erzbistum Freiburg, Fehler in seinen Erklärungen richtig zu stellen. Das Erzbistum hatte etwa erklärt, dass die Kanzlei seiner Missbrauchsbeauftragten keine weiteren Unterlagen vom Bistum Dresden-Meißen erhalten habe, die Glaubwürdigkeit und Plausibilität der Vorwürfe belegen könnten. Laut Bistum Dresden-Meißen seien die notwendigen Unterlagen verschickt worden. Das Erzbistum Freiburg hat inzwischen erklärt: „Nach erneuter Prüfung“ sei eine E-Mail aufgetaucht, die inklusive der vermissten Unterlagen im Juli 2020 eingegangen sei. „Die abweichende Darstellung auf der Grundlage des bisherigen Kenntnisstands in einer früheren Fassung dieser Richtigstellung bedauern wir“, schrieb das Freiburger Ordinariat.

Von Matthias Holluba