Bischof Pickel schreibt über Corona-Situation in Russland
Die Sorgen eines Bischofs
Bischof Clemens Pickel Foto: Archiv |
Ein Virus in Milliardenauflage verbindet die Welt und macht sie zu einem Häuflein Elend. Das ist natürlich nicht das, was wir uns unter Globalisierung vorstellen. Aber vielleicht bleibt etwas Gutes nach dem Feuersturm, angefangen von den kleinsten Zellen der Gesellschaft, den Familien, bis hin in die große Weltpolitik. Wir sollten es nicht dem Zufall überlassen, und dazu gehört das Beten in seiner ursprünglichen Form, persönlich, direkt, vom Grunde des Herzens.
Auch in Russland ist es „Thema Nummer 1“ geworden: Die ständig neuesten Zahlen von Infizierten, Verhaltensregeln, Hamsterkäufe, geschlossene Einrichtungen, witzige Clips, die Angst der Alten und Schwachen, Ungewissheit auf lange Zeit hinaus ... Es ist schon ernst. Wie gehen wir in Russland damit um, als und in der Kirche? Gott hat das Virus sicher nicht geschickt. Das wäre heidnisch gedacht, aber er hat es zugelassen. Warum? Eine gute Frage, mit der ich Erwachsene gern allein, das heißt in Ruhe (Stille), lassen möchte.
Die rasante Verbreitung bremsen durch streng reglementierte soziale Kontakte, das scheint inzwischen vielen einsichtig. Schulen zu. Kindergärten zu. Kirchen...? Nein. In einem Land, in dem Kirchen geschlossen, missbraucht und zerstört wurden oder eben einfach zu waren, fast ein ganzes Jahrhundert lang?! Und jetzt ist der Spuk vorbei... Man kann es auch übertreiben. Ja, ich weiß, im Grunde kann ich nur sagen: „Ich möchte es nicht. Ich möchte keine Kirche zuschließen.“ Natürlich kann man im Tempel seines Herzens (Erster Korintherbrief 3,16) beten. Könnte man, wenn man kann! Staatliche Vorschriften sind einzuhalten, zum Beispiel ein Limit an Versammlungsteilnehmern. Das führt derzeit zu einer größeren Zahl von Gottesdiensten in manchen unserer Pfarreien. Alles andere haben wir abgesagt. Katechesen, Gruppen, Konzerte, Kinderzentren ... Da ist Kreativität gefragt. In Moskau und Sankt Petersburg hat der dortige Erzbischof ausgerechnet ab Sonntag Laetare (Freu‘ dich) die öffentlich zugänglichen Gottesdienste gestrichen. Julia, eine Jugendliche, schrieb mir, wie sie die Vermeldung in der Kirche hörte und verstand, dass sie gerade das letzte Mal zur Messe gewesen war: „Die Leute waren geschockt. Manche weinten laut.“ Ich glaube, auch Julia hat geweint.
Nun, wichtiger als die ganzen Vorschriften sind mir im Moment jene, die jetzt unter der Einsamkeit leiden. Ich habe angefangen, häufiger zu telefonieren, nach Feierabend, wie Kinder den Eltern. Was noch auf uns zukommen wird: Die einsam Sterbenden. Ich befürchte unbarmherzige Vorschriften.
Manche unserer Priester und Ordensleute aus aller Welt, die nur aufgrund eines befristeten Visums in Russland sind, werden nach der nächsten Ausreise nicht mehr zurückkommen können. Einige sind jetzt „draußen“. Das macht mir Sorgen. Auch Gäste und freiwillige Helfer werden wir in den kommenden Monaten kaum erwarten dürfen, zum Beispiel aus den Partnergemeinden in den Bistümern Osnabrück und Dresden-Meißen. Dass ich so einige Auslandsreisen streichen muss, tut mir ehrlich gesagt, nicht sehr weh. Schlimmer wäre schon eine Ausgangssperre hier, die – wie vielerorts – in der Luft liegt.
Für ein Fazit ist es viel zu früh. Mögen die Mittel der modernen Kommunikation einen guten Dienst leisten! Und möge die Bremse, auf die das kleine Virus getreten hat, unsere 5,975 Trilliarden Tonnen schwere Erde ein wenig zur Besinnung bringen! Menschheit – quo vadis? Wohin gehst du? Christen sind nicht von Beruf her Optimisten, sondern von Natur her. Für die kommende Zeit wünsche ich Ihnen allen Glauben und Phantasie.
Spendenkonto
Der Sankt-Clemens-Verein, der in den vergangenen Jahren Hilfen für Bischof Pickel organisiert hat, wurde vor einiger Zeit aufgelöst. Am Aufbau einer neuen „Hilfsorganisation“ wird gearbeitet. Wer Bischof Pickel in der Zwischenzeit unterstützen will, kann auf folgendes Konto spenden: Bischof Clemens Pickel; IBAN: DE44 3706 0193 5003 5380 11; BIC: GENODED1PAX
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