Sexuelle Vergehen an Kindern
Dieser Pfarrer hatte zwei Seiten
Einige fallen aus allen Wolken, andere haben es schon länger geahnt oder gewusst: In Merzen wurde jetzt mitgeteilt, dass sich ein früherer Pfarrer sexueller Vergehen an Kindern schuldig gemacht hat. Er darf sich in Merzen nicht mehr blicken lassen und wird dort nie bestattet werden.
Manche mögen es einfach nicht glauben, sind fassungslos, fühlen sich wie vor den Kopf geschlagen. „Wir hätten doch etwas merken müssen“, sagt einer, der selbst Gruppenleiter im Zeltlager war. Soeben haben Vertreter des Bistums bekanntgegeben, dass ein früherer Merzener Pfarrer Taten des sexuellen Missbrauchs begangen hat, im Zeltlager und in der Seelsorge. Der Mann aus der Gemeinde und seine Bekannten – alle so Mitte vierzig – sind enttäuscht.
Wie kann das sein? Pastor H., der hat sich doch so gut um die Gemeinde gekümmert, die Jugendarbeit gefördert. Messdienerstunden und Zeltlager, das war sein Metier. Und die Bastelstunden! „Wisst ihr noch, das Weihnachtsbasteln!“, sagt ein anderer Mann, der hinzukommt, bei den Bastelstunden war das Pfarrheim voll. „Aber wisst ihr auch noch, dass Pastor H. im Zeltlager immer gefilmt hat? Der war die ganze Zeit mit der Kamera unterwegs, auch in den Zelten, wenn die Kinder sich gerade umgezogen haben“, sagt ein anderer.
Die Merzener Männer sind fassungslos angesichts der Mitteilungen über Pastor H., andere Mitglieder der Gemeinde St. Lambertus dagegen wirken in der Aussprache mit Vertretern des Bistums weniger überrascht. Er finde es gut, dass jetzt öffentlich darüber gesprochen werden könne, betont ein Mann. „Da musste man im Zeltlager ja schon die Augen zugemacht haben, um es nicht gesehen zu haben“, sagt er und klingt empört, vielleicht aus Frust, dass erst 2018 öffentlich zur Sprache kommt, was sich offenkundig von 1976 an in Merzen ereignete.
Eine ältere Dame ergreift in der Debatte mit Personalreferent Ulrich Beckwermert und Ludger Wiemker, Justiziar des Bistums, als Erste das Wort und fragt sich, wieso der Priester überhaupt nach Merzen kommen musste. Pfarrer H. sei doch schon aus Twist versetzt worden, weil es dort zu Vorfällen gekommen sei. „Das Gerücht ging ja schon, als er kam.“ Warum sei damals nichts unternommen worden?
Franz-Josef Bode waren zu Beginn seiner Zeit als Bischof von Osnabrück Gerüchte zu Ohren gekommen; doch der Pfarrer habe alles abgestritten. Man habe keine Beweise gehabt, erläutert Ulrich Beckwermert. Als H. dann einen Herzinfarkt erlitten hatte, versetzte Bode ihn aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand. Erst im Jahr 2017 meldeten sich die drei Männer aus Merzen, die als Kinder Opfer sexueller Übergriffe des Pastors geworden waren, und schilderten die Ereignisse dem Bischof, dem Missbrauchsbeauftragten Antonius Fahnemann und dem Justiziar.
„Du brauchst nie wieder ins Zeltlager zu fahren“
Als Antwort auf die Frage, ob die Kinder damals ihren Eltern nichts gesagt hätten und warum man denn so lange geschwiegen habe, warben Beckwermert und Wiemker um Verständnis für die Betroffenen, denen es auch jetzt als Erwachsene nicht leichtgefallen sei, sich zu äußern. In einem Fall habe eine Mutter ihrem Sohn geglaubt und gesagt, er brauche nie wieder ins Zeltlager mitzufahren. In einem anderen Fall kamen die Eltern zu dem Schluss, dass man gegen den angesehenen Pastor nichts tun könne.
„Ja“, bemerkt eine Zuhörerin, „die Eltern haben sich nicht gemeldet, weil sie wussten, der wird ja nur versetzt.“ Wiemker sagt, viele betroffene Familien täten sich in Missbrauchsfällen schwer, zur Polizei zu gehen. Beckwermert betont, es habe damals Gerüchte, aber keine Konsequenzen gegeben. Jetzt jedoch, nach den Aussagen der Betroffenen, habe man die Fälle der Staatsanwaltschaft übergeben und die Sache der Glaubenskongregation in Rom vorgelegt. Die Kongregation habe Bischof Bode aufgefordert, disziplinarische Maßnahmen gegen Pfarrer H. zu verhängen.
In einem Dekret hat Bischof Bode dem früheren Pfarrer von Merzen mehrere Sanktionen auferlegt: H. hat sich in Zusammenhängen der Seelsorge vollständig zurückzuhalten. Er darf keinerlei öffentliche liturgische Handlungen vornehmen. Öffentliche Auftritte als Repräsentant der Kirche sind ihm untersagt. Er darf seine frühere Pfarrei in Merzen nicht aufsuchen. Eine kirchliche Bestattung in Merzen wird es nicht geben.
Der derzeitige Pfarrer von Merzen, Schlichthorst, Voltlage und Neuenkirchen, Detlef Perk, betont, es sei wichtig, die Fälle aufzuarbeiten. Den Einwand, ob man das denn nach so vielen Jahren noch hochkochen müsse, will Perk nicht gelten lassen. Im Vordergrund stünden die Betroffenen, die als Kinder Opfer des übergriffigen Pfarrers wurden. „Wir müssen für Wahrheit und Gerechtigkeit sorgen“, sagt Perk. Das sei wichtig in dieser Gemeinde, in der immer gelobt werde, wie viele Bauvorhaben H. umsetzen half. „Er war der große Über-Pastor, von dem es heißt: Was hat er nicht alles für Merzen getan“, sagt Perk. „Aber dieser Pfarrer hatte zwei Seiten.“
„Unser Pastor? Das kann nicht sein!“
Man müsse diese andere Seite jetzt benennen, sagte Perk dem Kirchenboten. Den Jungen im minderjährigen Alter sei schwerer Schaden zugefügt worden. Das Argument, sie hätten sich ja melden können, lässt Perk nicht gelten. Das sei in Merzen damals nicht möglich gewesen. „Der Pfarrer hatte eine Schutzmauer um sich herum. Es hieß immer: ,Unser Pastor? Das kann nicht sein!‘“
Am Rande der Debatte erzählt eine Mutter, dass ihre Kinder gerne Messdiener werden wollten. Weil es die Gerüchte um Pfarrer H. gab, riet sie ihren Jungen, darauf zu achten, niemals mit dem Pastor allein in einem Raum zu sein. Es sei im Dorf doch bekannt gewesen. Dass nun öffentlich darüber gesprochen werden könne, sei gut. Dass H. in den Redebeiträgen aber immer noch Pastor H. oder Pfarrer H. genannt werde, störe sie sehr: „Für mich ist das kein Priester mehr.“
Andrea Kolhoff
Mittlerweile haben sich auch Betroffene aus anderen Orten, wo Pfarrer H. als Priester eingesetzt war, bei den Ansprechpersonen für Opfer sexuellen Missbrauchs gemeldet.
Kontakt:
Antonius Fahnemann, Telefon 05 41/31 88 00
Irmgard Witschen-Hegge, Telefon 0 54 04/20 12.
In St. Lambertus Merzen wurde am vergangenen Samstag nach der Vorabendmesse ein Brief des Bischofs verlesen; am Sonntag luden Vertreter des Bistums nach der Familienmesse die Gemeinde ein, im Pfarrheim den Wortlaut des Briefes zu hören.