Kolumbien versagt beim Schutz von Menschenrechtlern

Dramatische Appelle an die Regierung

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Kolumbien gelingt es nicht, Menschenrechtsaktivisten zu schützen. In der Corona-Krise kommen die Auftragsmörder bis an die Haustür.

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Protest vor dem Corona-Ausbruch: Zwei junge Frauen demonstrieren für "Frieden ohne Blutvergießen". Foto: kna/Tobias Käufer


Inzwischen kommt der Tod bis an die Haustür. Wurden in der Vergangenheit Menschrechtsverteidiger oder Umweltaktivisten unterwegs attackiert, so hat die Corona-Pandemie die Gefahrenlage für die Opfer gezielter Mordanschläge verändert. Weil viele wegen der Ausgangssperre in den eigenen vier Wänden bleiben müssen, kommen die Auftragsmörder nun zu ihnen nach Hause. Die Hoffnung, dass die gezielte Gewalt gegen Aktivisten in Zeiten des Coronavirus abebben würde, hat sich nicht bestätigt. Mehr als 400 Aktivisten sind seit Unterzeichnung des Friedensvertrags in Kolumbien 2016 ermordet worden, seit März - also seit Beginn der Corona-Krise - sind es Schätzungen zufolge mehr als drei Dutzend.

Das kirchliche Hilfswerk Caritas international beobachtet mit großer Sorge, wie die Corona-Krise den Friedensprozess in Kolumbien dramatisch schwächt. "Die Pandemie ist in Kolumbien nicht nur eine Gesundheitskrise, sondern sie geht sehr viel tiefer", beschreibt Jonas Brenner, zuständiger Länderreferent beim Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, die Entwicklung in Kolumbien. "Sie wirkt sich auch auf den für das Land so notwendigen Aussöhnungsprozess aus und schränkt vor allem die Bewegungsfreiheit der Friedensaktivisten in dramatischer Weise ein. Sie müssen gerade jetzt um ihr Leben fürchten." Ihnen fehle derzeit die Möglichkeit, sich an wechselnden Orten vor Banden versteckt zu halten, die vom Krieg profitieren und den Friedensprozess stören wollen. Brenner: "Allein zwischen März und Mai sind 24 Friedensaktivisten, die sich zu Hause aufhielten, an ihren Wohnorten aufgespürt und umgebracht worden."

Bischof Joselito Carreno Quinonez aus dem Apostolischen Vikariat Puerto Inirida richtete nun einen dramatischen Appell an Öffentlichkeit und Politik: Es sei an der Zeit, endlich die Augen auf jene Territorien zu richten, wo die bedauerlichen Verbrechen stattfinden. Zugleich erinnerte Carreno Quinonez noch einmal daran, was eigentlich die Aufgabe der "lideres sociales", der sozialen Anführer, sei: nämlich "für die Rechte der Gemeinden in marginalisierten Sektoren, die immer ausgeschlossen waren, zu kämpfen oder sie zu verteidigen". Zugleich forderte er, das Leben jener zu retten, die kontinuierlich mit der Anwendung von Gewalt bedroht werden - auf lokaler wie auf nationaler Ebene.

 

Alarmierende Zahlen

Im erstem Quartal 2020 seien bereits 36 Aktivisten ermordet worden, so der Bischof unter Berufung auf Daten der Menschenrechtsorganisation Somos Defensores (Wir sind Verteidiger). Und diese Zahl könne noch rückwirkend auf 60 steigen; denn es gebe viele Fälle, die bislang noch nicht überprüft seien. Im Vergleich zu den Jahren 2017 bis 2019 seien die aktuellen Zahlen alarmierend. Hinter den Morden stecken nach Einschätzung des Bischofs die Nachfolger der Paramilitärs und der FARC-Guerilla, Drogenbanden und der illegale Bergbau.

Die Zeitung "El Espectador" hatte jüngst besonders auf die Morde aufmerksam gemacht und auf vier Seiten, darunter die Titelseite, die Namen der seit Unterzeichnung des Friedensabkommens getöteten 442 Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten abgedruckt.

Im September 2016 hatte die Regierung des damaligen Präsidenten Juan Manuel Santos ein Friedensabkommen mit der FARC geschlossen, der größten Rebellenorganisation des Landes. Es beendete den mehr als 50 Jahre dauernden Bürgerkrieg. Für seinen Einsatz erhielt Santos Ende 2016 den Friedensnobelpreis. Die entwaffnete FARC sitzt inzwischen als politische Partei im Parlament. Ein Teil ihrer Kämpfer verweigert sich allerdings dem Friedensprozess und setzt den bewaffneten Kampf fort.

kna