„Du bist nicht Hartz IV!“

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Kreisen unsere Gemeinden nur um sich selbst? Tun wir zu wenig für Menschen, die Hilfe brauchen? Dieser selbstkritische Eindruck ist nicht falsch. Aber in den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Diakonale Pastoral ist im Blick.


Vernetzungstreffen in Hamburg-Hamm: Verantwortliche für diakonale Pastoral tauschen sich aus. | Foto: Andreas Hüser

„Dienst am Nächsten“ gehört zu den drei Aufgaben der Kirche. Damit im Leben einer Gemeinde die Hilfe für die „Armen“ nicht zu kurz kommt, gibt es in jeder Pfarrei des Erzbistums mindestens einen Verantwortlichen für „diakonische Pastoral“. Im Januar haben sich diese Leute in Hamburg-Hamm getroffen.

Voneinander hören, Ideen austauschen, über neue Entwicklungen diskutieren, darum ging es. Was müssen wir für die Armen tun? „Die Antworten sind so unterschiedlich wie die Gesellschaft, in der wir leben. Das ändert sich schon von Stadtteil zu Stadtteil“, sagt Herbert Wolf, Pastoralreferent aus Parchim und Organisator des Treffens. Und viele Anforderungen ändern sich von Jahr zu Jahr. „Als unsere Pfarrei Sankt Franziskus vor drei Jahren ihr Pastoralkonzept geschrieben hat, gab es vieles noch gar nicht“, sagt Schwester Klarissa Watermann. „Neue Projekte entstehen aus gesellschaftlichen Veränderungen.“

Ein neues Projekt, das fast „aus dem Nichts“ gewachsen ist, heißt „Klaras Küche“. An drei Standorten in der Hamburger Pfarrei St. Franziskus (Barmbek, Steilshoop, Horn) gibt es regelmäßig Mittagessen, Frühstück, Kaffee, Lebensmittelausgabe und Sprechstunde. In Hamburg-Steilshoop brennt dienstags von 16 bis 18 Uhr Feuer. Tatsächlich hat die Gemeinde St. Johannis ein Kaminzimmer, in das alle Menschen eingeladen werden – nicht nur die so genannten Bedürftigen. „Unser Motto – Wärme schenken – ist ein gutes Wort“, sagt Renata Kustusz. „Damit fühlt sich jeder angesprochen, und das wollen wir. Es ist schlecht, wenn wir Menschen sortieren.“

So sieht es auch Andrea Niopek, Referentin für Existenzsicherung in der Caritas im Norden. „Müssen wir Menschen vom Rand in die Mitte holen? Mir passt diese Formulierung nicht. Ich merke, dass ich selber am Rand stehe und mich dort Menschen nähere.“

Wo ist die soziale Mitte, wo ist der Rand?

Wenn jemand Hilfe braucht, das Leben nicht mehr aus eigener Kraft bezahlen kann, fühlt er sich schnell wertlos. „Ich bin ja Hartz IV.“ Diesen Satz hat Schwester Klarissa schon öfter gehört – und sofort widersprochen: „Du bist nicht Hartz IV. Du lebst von Hartz IV.“

Sozialer Rand oder Mitte? In Zeiten der Krise und der schnell steigenden Preise können viele Haushalte ihre Kosten nicht mehr decken. „Was wir merken ist die Angst, seinen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Man fragt sich: Kann ich mir die Wohnung oder den Urlaub noch leisten? Und immer mehr Menschen sind angewiesen auf Hilfe wie etwa die Tafeln.“

Der Bedarf an diakonaler Pastoral wird folglich eher größer als kleiner. Ideen gibt es – aber ehrenamtliche Helfer zu finden, ist nicht leicht. Die „üblichen“ Aktiven in den Gemeinden sind oft sehr alt. Die Coronajahre wirken auch noch nach. „Wir hatten einmal Fahrdienste für Senioren, Besuchsdienste im Krankenhaus oder im Altenheim. Das ist alles weggefallen, vor allem durch Corona“, sagt Ansgar Gerecht aus Hamburg-Eidelstedt.

Aber es gibt auch andere Erfahrungen. Und vor allem: Es gibt Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und sozialen Organisationen. „Wir sind in Kiel mit verschiedenen anderen Trägern unterwegs. Eine katholische Gemeinde muss nicht alles allein machen.“ Im Kieler Stadtteil Gaarden etwa haben sich die katholische St. Joseph-Gemeinde, die Diakonie, die AWO, eine Stadtteilschule zusammengetan, um einen sonntäglichen Seniorennachmittag zu gestalten – reihum bei einem der Anbieter. Solchen Kooperationen gehört die Zukunft, glauben die Experten. Rudolf Hubert (Caritas) sagt es mit einem abgewandelten Karl-Rahner-Wort : „Die Kirche der Zukunft wird vernetzt sein, oder sie wird nicht mehr sein.“

VON ANDREAS HÜSER