Was es heißt, Zeuge zu sein

"Du kannst mir glauben!"

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Immer mal wieder kommt man im Leben in die Situation, Zeuge zu sein. Vor Gericht zum Beispiel oder auch als Trau- oder Taufzeuge. Manchmal macht man das gern, manchmal nur gezwungenermaßen. Dabei ist bezeugen entscheidend wichtig – gerade im Glauben.

Foto: istockphoto/Katarzyna Bialasiewicz
Ich habe gesehen und bezeuge: Das gilt nicht nur im Straßenverkehr. Foto: istockphoto/Katarzyna Bialasiewicz

Von Susanne Haverkamp

Im Sommer war mein Sohn als Zeuge vor Gericht geladen. Er sollte erzählen, wie ein Angriff eines anderen Jugendlichen auf ihn abgelaufen ist; „versuchter räuberischer Diebstahl“ lautete die Anklage. Selten habe ich meinen Sohn so nervös erlebt, jedes Wort musste der Richter ihm aus der Nase ziehen.
 
Sein Unbehagen hatte einen Grund: Er wollte nicht, dass es für den jungen Angeklagten allzu schlimm ausgeht. Durch seine Aussage – und damit auch irgendwie durch seine Schuld.
Klar, juristisch ist das Unsinn, es ging ja nicht um seine Schuld, sondern um die des Angreifers. Aber klar ist auch: Zeugesein bedeutet nicht irgendetwas. Auf die Aussage von Zeugen verlässt man sich. Die Aussage von Zeugen hat Gewicht und gegebenenfalls Konsequenzen. Nicht nur vor Gericht.

Wir vertrauen Zeugen – besonders privat

Vielleicht vor Gericht sogar noch weniger als im Privatleben. Denn Polizei und Gerichte wissen: Was Zeugen sagen, ist selten objektiv. Oft widersprechen Zeugen einander – nicht, weil sie lügen, sondern, weil sie Situationen unterschiedlich wahrgenommen haben. Und sich unterschiedlich erinnern.

Was Juristen aber in ihr Urteil einbeziehen, wird im Privatleben oft vernachlässigt. Auch, weil wir unserer Familie, unseren Freunden vertrauen. Wenn sie einen Sachverhalt bezeugen, dann glauben wir ihnen, dann sind wir überzeugt: So muss es gewesen sein! Das hat Vor- und Nachteile. Und es macht uns bewusst: Wenn wir etwas bezeugen, haben wir eine hohe Verantwortung.

Auch in den Evangelien ist der Begriff des Zeugen sehr wichtig. Er umfasst Menschen, aber auch Schriftworte oder Gott selbst, alle, die die Wahrheit Jesu bezeugen. Im Griechischen steht hier der Begriff „martys“, aus dem sich später der Märtyrer, der Blutzeuge, entwickelt hat. Ursprünglich geht es aber nicht um Lebensgefahr, es geht um Zeugen schlechthin. 
Zumal der Begriff auch juristisch verwendet wird. So werden Zeugenaussagen im Prozess Jesu als „martyria“ (Markus 14,55–56.59) bezeichnet und die falschen Zeugen, die gegen Jesus auftreten, werden im Griechischen „pseudomartyres“, Pseudozeugen, genannt.

Auch Jesus brauchte Zeugen

Es ist interessant, dass das Neue Testament so sehr darauf pocht, dass Jesus Zeugen braucht. Offenbar war sein Auftreten schon damals nicht eindeutig. Es war nicht offensichtlich, dass Jesus mehr ist als ein charismatischer Wanderprediger. Wenn wir heute sagen: „Ja, damals war es leicht, an Jesus zu glauben“, dann scheint das falsch zu sein. Verschiedene Menschen haben Verschiedenes in ihm gesehen, haben ihn verschieden wahrgenommen. Vor und nach Ostern. Und haben davon erzählt: ihren Familien zu Hause, Gläubigen in den Synagogen, Passanten auf Marktplätzen.

Für den Evangelisten Johannes ist der Täufer der Größte unter den menschlichen Zeugen. Und das, obwohl er ihn nur kurz erlebt hat. So prägend muss die Begegnung am Jordan gewesen sein, dass der Bußprediger eine zweite Berufung fand: Zeuge für Jesus. Was macht ihn als Zeugen aus? Und können wir etwas davon lernen? Einige Überlegungen:

1. Der Zeuge nimmt sich zurück
Johannes war eine öffentliche Person, populär, von vielen verehrt, zog Scharen von Menschen an. Und dann erlebt er etwas, das alles in ein anderes Licht rückt – vermutlich auch sein Selbstbild. Johannes geht in die zweite Reihe, um Jesus die Bühne zu überlassen. Er weiß: Der Zeuge ist nicht selbst der Star, er steht im Dienst der Sache, im Dienst der Wahrheit, im Dienst Jesu. Zeugen ziehen keine Show ab, bei der sie selbst im Mittelpunkt stehen. Der eine oder die andere, die sich gerne als Kirchenstars auf der großen Bühne umjubeln lassen, könnte darüber mal nachdenken.

2. Der Zeuge erzählt von dem, was er selbst erlebt hat
„Ich habe gesehen ...“, sagt Johannes. Bezeugen heißt nicht lehren, dozieren, Theoriegebäude aufbauen oder Regeln aufstellen. Bezeugen heißt: von dem erzählen, was ich selbst erlebt habe. Mit Gott, mit Jesus. Wann und warum er in meinem Leben wichtig war und ist. Wann ich ihn gespürt, wann vermisst habe. Wie es mir gelingt oder auch misslingt, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Bezeugen heißt: von eigenen Erfahrungen sprechen. Wer immer im Kleinen oder Großen den Glauben verkündet, könnte darüber mal nachdenken.

3. Der Zeuge ist selbstbewusst und lässt sich nicht beirren
Der Zeuge ist – wie der Begriff schon sagt – von seiner Botschaft überzeugt. Nicht zögerlich und unsicher, sondern selbstbewusst und eindeutig. Ich weiß, was ich erlebt habe, und rede davon. Der Zeuge ist beseelt von seiner Sache, fühlt sich vielleicht sogar gesendet, beauftragt, gesegnet. Und lässt sich nicht irritieren von Widerspruch oder dummen Kommentaren. Meine Erfahrung bleibt meine Erfahrung – auch wenn ein anderer sie nicht gut findet. Der Zeuge nimmt Risiken in Kauf. Wie Johannes.

4. Der Zeuge erzwingt nichts
Was nicht heißt, einem anderen meine Erfahrungen überzustülpen oder gar Zustimmung zu erzwingen. Bezeugen, zumal den Glauben, ist nicht mehr als das Angebot, von meinen Erfahrungen zu hören. Was ein anderer daraus macht, liegt nicht in der Hand des Zeugen. Weder vor Gericht noch sonst im Leben. Und Glaubensverkündigung mit Druck – das ist ein Widerspruch in sich. 

Bleibt die Frage: Will ich überhaupt Zeuge sein? Und wenn: Wofür will ich Zeugnis geben? Welches sind die Erfahrungen, die mich tragen, die mir so wichtig sind, dass ich sie weitergeben will – an meine Kinder und Enkel, an Nachbarn, Kollegen und Freunde?

Wohlgemerkt: Das kann meine Erfahrung mit Gott sein. Aber es gibt auch andere Erfahrungen, die wichtig sind und für die es lohnt, Zeugnis zu geben. Vielleicht möchten Sie davon erzählen, wie gut Musik tut oder das Malen. Wie wichtig eine Therapie für Sie war oder wie Sie es geschafft haben, sich von Stress oder Egoismus zu befreien. Vielleicht wollen Sie Zeugnis für die Liebe ablegen oder für die Hoffnung, die Sie erfüllt.
 
Und ein letzter Gedanke: Bedenken Sie, dass man nicht nur durch Worte Zeugnis ablegt, sondern auch durch Taten. Wer glaubt schon die Liebesbotschaft eines lieblosen Zeugen? Wenn Sie also für Jesus Zeugnis geben wollen, dann bedenken Sie auch, wie Sie handeln.