Kirchenkunst von mutmaßlichen Missbrauchstätern
Darf das bleiben?
Foto: wikicommons
Vor allem bei Kindern ist es beliebt. Die Melodie ist einfach, die Strophen sind leicht zu merken: „Laudato si, o mi signore“ geht leicht über die Lippen. Ob im Kinderchor, im Musikunterricht in der Schule oder beim Familiengottesdienst – an dem Lied kam seit den 1970er Jahren niemand vorbei.
Mittlerweile wird Laudato si in den Gemeinden seltener gesungen. Ein Grund: Winfried Pilz, dem Autor des Liedtextes, werden sexuelle Grenzverletzungen vorgeworfen. Der Priester war während seiner Karriere für seine Jugendarbeit bekannt: als Rektor einer Jugendbildungsstätte, als Diözesanjugendseelsorger und von 2000 bis 2010 als Präsident des Kindermissionswerks „Die Sternsinger“. Pilz starb 2019.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Hilfswerk eine Studie, die Pilz’ Amtszeit beleuchtet. Das Ergebnis: Für diesen Zeitraum gibt es Hinweise auf sexualbezogene Grenzverletzungen gegenüber vier erwachsenen männlichen Mitarbeitern. Susanne Brenner-Büker, die Leiterin der Stabstelle Kinderschutz bei den Sternsingern, erklärt, dass auch die Mitarbeiter des Hilfswerks erst 2022 von den Vorwürfen gegen den ehemaligen Präsidenten erfahren haben. Damals gab es Ermittlungen gegen Pilz wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs in einem Fall in den 1970er Jahren.
Was ist nun der richtige Weg: Darf man Laudato si, das Lied eines Missbrauchstäters, singen – oder nicht? Stephan Goertz ist Moraltheologe und Professor an der Uni Mainz. Er sagt: „Man kann Lieder nicht mehr unschuldig aufführen, sobald man ihre Geschichte kennt.“ Im Kern gehe es um die Frage, wem durch die Aufführung solcher Lieder ein Schaden zugefügt wird. „Wenn Betroffene deutlich machen, dass ihnen durch das Singen von Laudato si Schmerz zugefügt wird, weil es Wunden aufreißen kann, dann ist es ein guter Grund, auf ein solches Lied zu verzichten“, sagt Goertz. Erst recht im Rahmen von Gottesdiensten, wo sich jeder sicher fühlen solle.
Hilfswerk streicht Pilz’ Werke aus seinen Materialien
„Auf einer mehr symbolischen Ebene kann der Verzicht auf die Lieder eines Missbrauchstäters die moralische Missbilligung von dessen Unrecht zum Ausdruck bringen“, sagt Goertz. Und die Kirche habe allen Grund, bei diesem Thema äußerst achtsam auf die Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ etwa hat sich dazu entschieden, Texte und Lieder von Winfried Pilz aus ihren Materialien zu streichen.
Ein weiterer Fall, der von Kirche, Kunst und Missbrauch handelt, ist der des slowenischen Mosaikkünstlers Marko Rupnik. In der vatikanischen Glaubensbehörde läuft seit Oktober 2023 ein Verfahren gegen den Priester. Mehrere Ordensfrauen beschuldigen ihn, sie sich unter Ausnutzung seiner Autorität sexuell gefügig gemacht zu haben. Im Juni 2023 schloss der Jesuitenorden Rupnik aus, weil er Auflagen ignorierte. Da es sich bei den betroffenen Frauen nicht um Minderjährige handelt und die Vorwürfe nicht bewiesen wurden, hat der Vatikan Rupnik bislang nicht aus dem Klerikerstand entfernt.
Seine Werke hängen im Vatikan, in Kirchen in Fatima, Krakau und Lourdes. Dort schmückt eines seiner Mosaike die Außenwand der Rosenkranzbasilika. Der Bischof von Lourdes hat eine Expertenkommission eingerichtet, die darüber berät, was damit passieren soll. Bereits entschieden ist: Rupniks Werk soll bei der abendlichen Marienprozession nicht mehr beleuchtet werden.
Paolo Ruffini, der Chef der vatikanischen Medienabteilung, erklärte hingegen im Sommer, der Vatikan werde weiterhin auf Rupniks Werke zurückgreifen. Die von Rupnik ausgestaltete Kapelle „Redemptoris mater“ werde weiterhin genutzt, und es würden auch künftig Broschüren mit seinen Bildern illustriert.
Wenn Missbrauchsvorwürfe gegen Geistliche oder Mitarbeiter der katholischen Kirche erhoben werden, gibt es mittlerweile standardisierte Verfahren. Wenn es um die Kunstwerke von Tätern geht, wird es meist kompliziert. Der Moraltheologe Goertz glaubt nicht, dass sich der Umgang mit Werken von Missbrauchstätern standardisieren lässt. „Wer mag anderen verbindlich vorschreiben, welcher Umgang mit der Kunst von Menschen angemessen ist, deren Taten wir verurteilen?“, fragt er. Und wie solle man dann Kunstwerke aus früheren Jahrhunderten bewerten? „Fängt man einmal an, mit strengen moralischen Maßstäben zu messen und zu säubern, dann gibt es kein Halten mehr und unsere Kirchen, Museen und Bibliotheken werden sich leeren, fürchte ich“, sagt Goertz.
Die Kirche bemüht sich um einen moralisch korrekten Umgang
Moralische Ansprüche hat die katholische Kirche an ihre Mitglieder in jedem Lebensbereich. Hat sie also eine größere Verantwortung im Umgang mit der Kunst von Missbrauchstätern? Goertz sagt: „Die Kirche ist in einer besonderen Situation, solange sie von sich selbst das Bild hat, in moralischer Hinsicht höhere Ansprüche als andere zu erfüllen. Und dann ist verständlich, dass man sich nun, da die Verbrechen öffentlich geworden sind, um einen moralisch äußerst korrekten Umgang bemüht.“
Das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ hat für sich einen Weg gefunden: Es wurde ein neuer Verhaltenskodex für alle Mitarbeitenden eingeführt, Beschwerden sollen künftig niederschwelliger möglich sein, Führungskräfte sollen ihr Leistungsverständnis reflektieren und alle Mitarbeitenden werden zum Umgang mit Macht geschult. Außerdem werden die Erlöse aus den Tantiemen für die Nutzungsrechte der Lieder von Winfried Pilz für Kinderschutzprojekte verwendet.
Zur Person:
Stephan Goertz ist Professor für Moraltheologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und war bis 2023 Mitglied in der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexueller Gewalt im Bistum Limburg. Foto: JGU Mainz/Sabrina Weniger