Was wir von Ordensleuten lernen können

In Rente? So früh?

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Ein älterer Ordensmann sitzt auf einer Bank
Nachweis

Foto: kna/Harald Oppitz

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Was wir von betagten Ordensleuten lernen können: Dankbar sein für das, was noch geht.

Es ist ein weltweites Phänomen: Ordensleute werden besonders alt und bleiben dabei oft geistig fit und zufrieden. Wie machen sie das? Und kann man sich von ihnen etwas abschauen? Antworten gibt ein lesenswertes Buch.

„Ordensleben war mir fremd“, sagt Ruth Mächler. Bis sie für eine Studie 21 hochbetagte Frauen und Männer aus dem Sacré-Coeur- und dem Jesuitenorden traf. Wie es ihnen im Alter geht, war die Leitfrage. Was herauskam, war „toll, berührend“, sagt Mächler. Denn die Ordensleute – alle 80 aufwärts, der älteste 98 Jahre alt – erzählten Mächler sehr offen von ihrem Leben. Von Höhen und Tiefen, Erfolgen und Krisen, Glauben und Zweifeln. Zu allen habe sie eine „echte Verbindung aufbauen können“, sagt sie. 

Die Gespräche haben die evangelische Christin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU München aber nicht nur wissenschaftlich beschäftigt. „Wenn ich von einem Besuch wieder nach Hause fuhr“, sagt sie, „habe ich oft darüber nachgedacht, dass das, was die Schwester oder der Pater erzählt haben, auch für andere wertvoll sein kann.“ Dass sie Lebensweisheiten bereithalten, die vielen helfen können, ihr Leben zu meistern – und gut zu altern. Was das genau ist, davon erzählt Mächlers wunderbar geschriebenes Buch „Freiheit und Vertrauen“, das kürzlich erschienen ist.

Sie sagt: „Das Erste, das wir lernen können, ist, immer aktiv zu bleiben und das Rentenalter zu ignorieren.“ Mächler erzählt von einer Schwester, die lange in Afrika gearbeitet hat und mit über 60 nach Schweden versetzt wurde: „Sie hat dann erst mal Schwedisch gelernt und sich noch mal in einer ganz anderen Welt zurechtgefunden.“ Oder von dem 90-Jährigen, der von einer Aufgabe abgezogen wurde und sagte: „Das war schon ein bisschen früh.“ Oder von dem 98-Jährigen, der immer noch im Kinderkrankenhaus Besuche machte. „Kontinuierlich aktiv zu sein und sich bis ins hohe Alter weiterzubilden, das hilft sehr“, sagt Mächler.

Was man auch lernen könne, sei die Fähigkeit, Begrenzung als Freiheit zu interpretieren – und das gilt auch für die Begrenzungen, die das Alter mit sich bringt. „Ein Pater, der früher eine sehr hohe Position hatte und heute pflegebedürftig ist, hat mir erzählt, dass er das Loslassen übt“, sagt Mächler. Krankheiten hätten dazu geführt, dass er sich langsam an das Zurückstehen gewöhnt hat und trotzdem aufgeschlossen geblieben ist. Dankbar für das, was noch geht, ohne sich selbst immer noch beweisen zu müssen.

Durchhalten, das sei für viele eine Kostbarkeit

Nachahmenswert sei zudem, dass viele Ordensfrauen und -männer mit Stolz auf ihr Leben zurückblicken. Vor allem mit Stolz darauf, dass sie trotz Krisen und Zweifeln durchgehalten haben. „Durchhalten ist ja erst mal kein schönes Wort, um das auf den Punkt zu bringen, was im Alter zufrieden macht“, sagt Mächler. „Aber es kam mir so vor, als hörte ich von einer großartigen Bergtour, die jemanden zwar an den Rand seiner Kräfte gebracht hat, aber die gerade dadurch zum Abenteuer wurde.“ Durchhalten, das sei für viele eine Kostbarkeit, die am Ende froh macht. Und das könne es auch für Eheleute oder Eltern sein.

Durchzuhalten schließt ein, immer weiter zu fragen, zu suchen und es sich auch religiös nicht zu bequem zu machen. „Eine fast 90-jährige Schwester hat erzählt, dass sie in ihrer Suche nach dem Leben und nach einer Beziehung zu Gott nicht lockerlässt“, sagt Mächler. „Sie will nicht in einen Trott verfallen. Sie ist immer noch unterwegs.“ Das hält den Geist wach.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den man sich bei alten Ordensleuten abschauen kann: Sie verdrängen den Tod nicht, sie machen sich Gedanken darum, teils mit Vorfreude, teils mit Humor, teils mit Zweifeln. Ruth Mächler denkt an eine Schwester, die sich fragt, ob sie sich mit dem Auferstehungsglauben nicht etwas vormacht: „Sie sieht den Zweifeln ins Auge und ringt mit ihnen mit einer Vitalität, die das Gegenteil von Resignation ist.“ Das lässt wachsen – auch im Alter.

Gedanken machen die Ordensleute sich auch darüber, wie sie das Sterben überstehen. Dass es in der letzten Lebensphase schwierig werden kann, auch körperlich schmerzhaft, das blenden sie nicht aus. „Ein Pater hat mir erzählt, dass er sich ein kleines Gebet zurechtgelegt hat, das sein ständiger Begleiter ist“, sagt Mächler: Lieber Gott, ich gehe mit, wohin du mich führst, und ich bin zufrieden damit. „Der Pater empfiehlt jedem, sich so etwas zurechtzulegen, möglichst dann schon, wenn es einem noch gut geht.“

Für Mächler war diese Studie keine wie jede andere. „Ich habe mir ausgebeten, zu erfahren, wenn jemand von denen, mit denen ich gesprochen habe, stirbt“, sagt sie. Was auch schon passiert ist. Und sie lädt ein, durch ihr Buch einzutauchen in die Lebensgeschichten dieser Menschen, um daraus für das eigene Leben zu lernen.

Susanne Haverkamp

Zur Person

Ruth Mächler
Ruth Mächler
Foto: Nela Dorner

Ruth Mächler ist Soziologin, evangelische Theologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit der Technischen Universität München.