Wenn die Aufgabe zu groß wird ...

Du schaffst das!

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Elija kann nicht mehr. Der Weg ist zu weit, die Aufgabe zu schwer. Nur noch schlafen will er. Dass die Aufgabe zu schwer ist, spürt manchmal auch Manfred Wagner. Er pflegt seine Frau, und wenn nichts mehr geht, kommen Engel.

Foto: Bauer/Malteser Mainz
 n der Josefskapelle in Mainz feiern Beate und Manfred Wagner regelmäßig Demenzgottesdienste mit. Eine Kraftquelle von vielen.  oto: Bauer/Malteser Mainz

Im ersten Moment hat es ihm die Füße weggezogen, als die Diagnose für seine Frau kam: Alzheimer. Damals, vor fünf Jahren. Seine Frau Beate, heute 71, und er, Manfred Wagner, heute 72, hatten eine Naturheilkundepraxis geführt, wollten sich bald zur Ruhe setzen, die Welt bereisen. Doch es kam anders.

Das Ehepaar verkaufte alles, zog vom Land in die Großstadt, näher zu den Verwandten. Doch für die war die Krankheit eine Überforderung. Und auch für ihn war die Situation nicht leicht, sagt Manfred Wagner. Aber für ihn war ebenso klar: Ich werde mich um meine Frau kümmern. Niemals würde er sie in ein Heim geben, allein lassen. Das hatte er ihr versprochen. Damals, in besseren Tagen. Das Versprechen gilt. Auch als die Krankheit rasant fortschritt. Auch, als er selbst im Stress einen Herzinfarkt erlitt.


Wie bei Elija: Momente der Erschöpfung

Manfred Wagner musste vieles erst lernen: kochen, waschen, bügeln. Heute schmeißt er den Haushalt nach festem Rhythmus, bis spät in den Abend. „Der liebe Gott traut mir zu, dass ich das schaffe. Und deshalb schaffe ich das auch!“, sagte er. Natürlich hat er Momente, an denen es scheinbar nicht mehr geht. An denen er fertig ist, müde, traurig. An denen er wie Elija unter dem Ginsterstrauch sitzt und sagt: „Nun, Herr, ist es genug!“. Natürlich, so sagt er, gibt es diese Momente, an denen er erschöpft ist. „Dann weine ich eine Runde, und dann geht‘s weiter!“, sagt er nebenbei. Und seine Augen funkeln dabei. Da ist Kraft, da ist Mut, und das ist nicht der Mut der Verzweiflung.

Es klingt, als wenn er das, was er tut, gerne tut. Nein, „gerne“ sei nicht das richtige Wort: „Ich mache da auch oft gute Miene zum bösen...“ – Den Satz bringt er nicht zu Ende. Nein, es ist kein „böses Spiel“, sagt er dann. „Es ist mein Auftrag. Es ist meine Berufung.“ Und es klingt nicht pathetisch, wenn er das sagt.

Manfred Wagner spricht von den Momenten, in denen er zu wenig Schlaf findet, seine eigene Gesundheit zurückstellt, den Erfahrungen eines Elija. Aber noch viel mehr spricht davon, dass es da auch diese Momente gibt, an denen er Engeln begegnet. Zum Beispiel denen vom Malteser Hilfsdienst e.V. in Mainz.

Da gibt es das „Café Malta“. Wie er damals den Kontakt gefunden hat, weiß er nicht mehr. Aber dass er diesen Treffpunkt im Anfangsstadium der Erkrankung seiner Frau regelmäßig genutzt hat. So konnte sie ein paar Stunden in Gemeinschaft verbringen. Und er hatte diese Zeit zur freien Verfügung – für den Haushalt. Über die Malteser fand er auch den Kontakt zu weiteren betroffenen Angehörigen. Dies habe ihm sehr geholfen. Denn der soziale Tod der Betroffenen verläuft schneller als die Krankheit.

Im Café Malta kommen Menschen mit Demenzerkrankung zusammen. Manchmal kommen Schülerinnen und Schüler der benachbarten Schule dazu, berichtet Maria von den Driesch, die als stellvertretende Koordinatorin Demenzdienste das Café Malta organisiert. Es kommen auch Ehrenamtliche dazu, sogenannte Demenzbegleiter, die mit den Gästen singen, basteln, erzählen; die auch Besuchsdienste anbieten, damit die Angehörigen eine Entlastung finden. „Sie sind Engel“, sagt Manfred Wagner.


Eine wunderbare Gold-Hochzeit im neuen Kleid

Und er begegnet bei den Maltesern noch weiteren Engeln, etwa im ökumenischen Demenz-Gottesdienst, von denen er keinen ausfallen lässt, er, der „eigentlich gar kein Kirchgänger“ ist. Dort erfahren die Demenzkranken und ihre Angehörigen mit allen Sinnen die Frohe Botschaft, auch und gerade in ihrer Situation, die belastend, aber keine Last ist, wie Manfred Wagner betont.

Immer wieder bekommt er mit seiner Frau dort neue Kraft. So haben sie dort vor zwei Jahren auch ihre Goldene Hochzeit gefeiert. „Es war alles wunderbar bereitet“, sagt er und erzählt von Kirsch-Streusel und Erdbeer-Torte, von Gästen, die herzlich gratulierten und immer wieder von seiner Frau, die mit einem neuen Kleid den Festtag mitfeierte. Und dann strahlen seine Augen.

„Mir ist wichtig, dass man die Angst nimmt vor der Krankheit“, sagt Wagner. Er habe sich auch einlesen müssen, habe Bücher gekauft, im Internet recherchiert, mit anderen Betroffenen gesprochen. „Das hat mir geholfen. Auch da waren Engel.“ Er berichtet von der Unsicherheit vieler, die Demenzkranken begegnen. Aber auch von denen, die ganz selbstverständlich mit ihnen umgehen: ein Zahnarzt, der sich Zeit nimmt, auf die besonderen Bedürfnisse einzugehen, die Demenzbegleiter der Malteser.

Die Erkrankung seiner Frau ist weiter fortgeschritten. Tagsüber geht sie nun in die Tagespflege. Der Tag hat einen festen Rhythmus. Das gemeinsame Kaffeetrinken gehört dazu. Auch abends gibt es Rituale. das alles ist anstrengend, aber auch verlässlich.

Mit dem Schicksal hadern? Nein. In Urlaub fahren? Allein? Niemals! „Ich hoffe, dass ich noch lange die Kraft habe, dies so weiter zu tun“, sagt Manfred Wagner. „Und wenn es noch 20 Jahre so weitergeht!“ Es gibt diese Engel, die ihm immer wieder Kraft geben, wenn es nicht mehr weiter zu gehen scheint. Besonders die 25 Ehrenamtlichen der Malteser, die in den verschiedenen Angeboten helfen. „Und wenn ich mal mehr Zeit habe, dann können Sie mich als Nr. 26 dazu zählen“, sagt Manfred Wagner mit Entschlossenheit in der Stimme. Der größte Engel, die größte Kraftquelle ist für Manfred Wagner aber seine Ehefrau, mit der er seit über 52 Jahren verheiratet ist. Und er ist der Engel für sie.

Von Michael Kinnen