Grab des Priesters Herbert Jungnitsch soll eingeebnet werden

Ehrung eines Täters beenden

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In Heidenau soll das Grab des Priesters Herbert Jungnitsch eingeebnet werden. Für die Gemeinde ist das ein Teil der Aufarbeitung des durch ihn verübten Missbrauchs an Kindern.

Bischof Heinrich Timmerevers befürwortet die Einebnung des Grabes von Pfarrer Herbert Jungnitsch. Dem vor 50 Jahren gestorbenen Seelsorger der Kirchengemeinde Sankt Georg in Heidenau, die heute zur Pfarrei St. Heinrich und Kunigunde Pirna gehört, wird der sexuelle Missbrauch von Kindern zur Last gelegt. „Ich halte die Einebnung für eine gute Idee“, sagte Timmerevers in einem Interview der Sächsischen Zeitung. „An diesem Grab kann es zu Retraumatisierungen kommen. Darum ist die Einebnung angemessen, eine ganz selbstverständliche Konsequenz.“

Einer der schwerwiegendsten Fälle
Pfarrer Jungnitsch (1898-1971) hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die katholische Pfarrei in Heidenau aufgebaut und bis zu seinem Tod maßgeblich gestaltet. Er ist älteren Christen noch persönlich bekannt und hat mit seinem charismatischen und schillernden Auftreten viele geprägt. Dennoch müsse man akzeptieren, dass nach Angaben des Seelsorgerats der Pfarrei aus dieser Zeit „Fälle sexualisierter und körperlicher Gewalt an mindestens vier Kindern bis hin zu schwerem sexuellen Missbrauch glaubhaft bekannt“ sind.
Der Fall gilt im Bistum Dresden-Meißen als einer der schwerwiegendsten. Die Sächsische Zeitung, die als erste über den Fall berichtete, zitierte Betroffene, wonach unter anderem sakrale Gegenstände zum Missbrauch benutzt worden seien. Auch seien wohl mindestens sechs Männer, alle aus der Gemeinde und teils im Kirchendienst, an den Taten beteiligt gewesen. Dazu erklärte das Bistum: „Namen waren uns hierzu bislang nicht bekannt. Alle Akten des Bistums zu diesem Fall wurden im Jahr 2019 der Staatsanwaltschaft vorgelegt, um eventuelle neue Ermittlungsansätze festzustellen.“ Dem sei aber nicht so gewesen. Aufgrund der Hinweise der Presse hat das Bistum mittlerweile erneut die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Es sei eine Anzeige gegen mutmaßlichen Täter oder Komplizen gestellt worden, bestätigte Bistumssprecher Michael Baudisch am 18. Februar.

Gemeindereferent regte Aufarbeitung an
Dem Bistum ist der Fall seit über zehn Jahren bekannt. Eine Aufarbeitung der Fälle in und mit der Pfarrei fand bislang jedoch nicht statt. Sie wurde im vergangenen Jahr auf Initiative von Benno Kirtzel angestoßen, der neu als Gemeindereferent nach Heidenau gewechselt war. Zuvor hatte er am Lehrstuhl der Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens eine Seminarreihe zum sexuellen Missbrauch in Institutionen mitbetreut.
Im Zuge der begonnenen Aufarbeitung wurde auch die Idee ins Spiel gebracht, das Grab von Jungnitsch einzuebnen. Das bedeute nicht, dass über die Taten des Pfarrers ein Teppich des Schweigens gelegt wird; vielmehr soll es ein Zeichen dafür sein, dass seine Taten weder von der Pfarrei noch vom Bistum gedeckt werden. Kirtzel erklärte: „Die Einebnung soll bewusst nicht im Geheimen und nicht ohne weitere Bemühungen zur Aufarbeitung der entsprechenden Jahre geschehen, sondern sie soll Teil des Aufarbeitungsprozesses in St. Georg sein. Da dieser Weg nicht vorgezeichnet ist, können wir derzeit kein konkretes Datum und keine geplante Form der Grabeinebnung nennen. Es gilt, einen guten Punkt im Prozess zu finden sowie eine Form zu wählen, die weder heimlich noch reißerisch ist. Wir hoffen, eine kluge Lösung zu finden und sind offen für Vorschläge, etwa durch die Opfer Jungnitschs.“
Die Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ befürwortet die geplante Einebnung. „Es hat nichts mit Rache zu tun, wenn die Ehrung des Täters beendet und das Opfer gehört wird“, sagte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch. Er bezeichnete es als wichtig und bemerkenswert, dass die Pfarrei ihr offizielles Andenken verändere und an das Wissen um das verursachte Leid anpasse. Zugleich warnte Katsch davor, sich aus Pietät nicht mehr mit der Schuld verstorbener Täter auseinanderzusetzen.
Generell ist die Missbrauchs- aufarbeitung in Zusammenarbeit mit den Pfarreien auch ein Lernfeld für das Bistum, für das es lokal angepasste Lösungen geben muss. Zielführende Handlungsweisen müssen gefunden und entwickelt werden. Es gilt, die Sprachlosigkeit und Lähmung zu überwinden, die ein solches Maß an Gewalt und Menschenverachtung wie im Falle Jungnitschs hervorrufen. Generalvikar Andreas Kutschke sagte dazu: „Angesichts dessen, was sich in Heidenau ereignet hat, können wir nicht schnell mal etwas abarbeiten. Wann ein solcher herausfordernder und komplexer Aufarbeitungsprozess abgeschlossen ist, können wir nur gemeinsam mit Betroffenen und der Gemeinde herausfinden.“ Er betont, dass man nur versuchen könne, gemeinsam einen Weg zu finden, der die Täter benenne und es den Betroffenen möglich mache, dass man ihren bitteren Erfahrungen Gehör schenke und das Leid anerkenne. „Schließlich gilt es, Vertrauen zu ermöglichen und zu lernen, damit unsere Pfarrgemeinden auch im Blick auf den Schutz vor sexueller Gewalt sichere Orte sind“, so Kutschke.
Das Vorgehen der Gemeinde in Heidenau könne hier einen Pilotcharakter haben, so Bischof Timmerevers. „Meine Vorstellung ist, dass wir das, was wir in Heidenau lernen, auch für andere Gemeinden umsetzen können.“ Auf die Frage, welche finanziellen und personellen Ressourcen das Bistum der Gemeinde für die weitere Aufarbeitung zur Verfügung stelle, antwortete der Dresdner Bischof: „So weit sind wir noch nicht. Wir nutzen auf Bistums- ebene externe Fachleute, da investieren wir schon eine Menge rein. Auch ich lasse mich coachen. Und das ist jetzt nicht so, dass diese Experten uns in ihrer Freizeit helfen. Wir sind so ein kleiner Laden hier – andere Bistümer hätten vermutlich viel mehr Ressourcen.“

Informationen und Prävention
An einem im kommenden Juni geplanten Informationsabend in Heidenau werde nach derzeitigem Stand der Planungen Generalvikar Andreas Kutschke teilnehmen, sagte Timmerevers. Er selbst habe „grundsätzlich nicht die Schwierigkeit“, auch selbst zu der Zusammenkunft zu kommen, aber es gebe Gründe, die dagegen sprächen, so der Bischof. „Vielleicht konzentriert sich die Veranstaltung dann zu sehr auf meine Person und weniger auf das Thema. Vielleicht pusche ich mit meiner Anwesenheit die Polarisierung in der Gemeinde.“
Timmerevers kündigte überdies Sanktionen gegen Gemeinden des Bistums an, die noch kein Präventionskonzept erstellt haben. „Bei Gemeinden, die das Thema Prävention nicht ernstnehmen, lassen wir derzeit als Ultima Ratio prüfen, inwieweit wir die geldlichen Regelzuweisungen an eine Pfarrei einkürzen können.“ (ddm/kna/epd/tdh)

Das Bistum ruft an dieser Stelle erneut ausdrücklich dazu auf, dass sich Betroffene sexuellen Missbrauchs melden. Dies kann in unterschiedlicher Form geschehen, auch externe Ansprechpartner stehen zur Verfügung: www.bistum-dresden-meissen.de/praevention