Anstoss 06/2018

Eigentlich bin ich ganz anders

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Ich erinnere mich noch gut an die Faschingsfeiern in meiner Heimatgemeinde St. Antonius in Babelsberg – an eine ganz besonders. Ich war fünf oder sechs Jahre alt und ich wünschte mir, seit ich das Wort Prinzessin aussprechen konnte, als eben solche zum Fasching zu gehen.


Irgendwie schien keiner in unserer Familie die Verkleidung als Prinzessin für mich passend zu finden. Doch endlich war es soweit. Ich trug ein hellblaues Kleid, viel Tüll und noch mehr Pailletten. Und auf dem Kopf ein Krönchen. Voller Stolz schritt ich zum Pfarrsaal, im Gefolge die kleine Schwester, meine Mutter und Tante Nelly, eine liebe ältere Dame, die nicht wirklich mit uns verwandt war, aber von uns immer Tante genannt und irgendwie zur Familie gezählt wurde. Auf dem Weg lag eine Pfütze, die ich nun ganz und gar nicht prinzessinnenwürdig umging, sondern mit geschürztem Kleide übersprang. Leider zu kurz. Und dann kam, was schlimmer war als das Malheur. O-Ton Tante Nelly: „Du bist keine Prinzessin. Du bist ein Tollpatsch“. Boing! Das saß. Ich fühlte mich total verkannt. Gerettet hat meine Faschingsfreude übrigens der Pfarrer, ein Mann von großer Statur, der gern und viel und stimmgewaltig sang, so dass man ihm nachsagte, dass, wenn er in Babelsberg das Tedeum anstimmt, in Zinnowitz die Glocken läuten würden. Er forderte die gestrauchelte Prinzessin zum Tanz auf – und diese „schwebte“ glücklich mit ihm über die Pfarrsaaldielen.
Es gibt Karten mit verschiedenen Motiven, auf denen steht: „Eigentlich bin ich ganz anders – ich komme nur so selten dazu“. Klingt nach Arbeit, nach einem Prozess. Und es klingt nach einem uneitlen „Eigentlich bin ich viel besser“, verbunden mit der Sehnsucht, dass dieses eigentlich Bessere auch gesehen wird. Mich erinnert das zum Beispiel an Michelangelo, der aus einem Mamorblock wunderbare Skulpturen schuf. Er sah in dem unbearbeiteten Block schon das Kunstwerk, das in ihm „schlummerte“, sah mehr als das äußerlich Sichtbare.
Für mein Leben wünsche ich mir, die zu werden und zu sein, die Gott in mir sieht. Und weil Er mich jetzt schon so liebt wie ich bin und nicht wie ich sein könnte, vertraue ich darauf, dass es nicht unmöglich ist.

Andrea Wilke, Erfurt

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