Ein Jungbrunnen für Altgeräte
Der IT-Fachmann André Meyer befindet sich in der Ausbildung zum Diakon. Sein Jahresprojekt: mit Schülern des Lübecker Trave-Gymnasiums alte PCs auf einen zeitgemäßen Stand bringen und an Bedürftige weitergeben.
Als erstes sollen die alten Batterien überprüft und ausgetauscht werden. Sie fallen nicht gleich ins Auge, sondern befinden sich versteckt irgendwo zwischen Festplatte und Grafikkarte. Einer der Jungs schaut rasch im Internet nach, wo genau die Batterien bei diesem speziellen Computer-Typ zu finden sind. Gesucht, gefunden. André Meyer, seit Anfang 2017 auf dem Weg zum Diakonat, hat frische Knopfzellen mitgebracht. Stück für Stück werden sie nun in den ausgesonderten Computern (PCs) erneuert, damit die Uhrzeit-Angabe der Rechner in den kommenden Jahren wieder korrekt funktionieren kann.
Sechs Jugendliche des Lübecker Trave-Gymnasiums im Alter zwischen 14 und 15 Jahren arbeiten an den Computern. Sie gehören der freiwilligen Arbeitsgemeinschaft (AG) an, die von Meyer und einem Lehrer geleitet wird. Wenn die Jugendlichen das mit den Batterien erledigt haben, dann kümmern sie sich um die Installation des Betriebssystems und der Arbeitsprogramme. Was so ein gebrauchter Rechner benötigt, um noch einmal für ein paar Jahre auf dem Stand der Technik zu sein, das hat André Meyer gemeinsam mit Schülern einer 9. Klasse im vergangenen Schuljahr erarbeitet. Jetzt besteht die AG aus anderen Neuntklässlern, die ebenso konzentriert und mit Eifer bei der Sache sind, um die alten Rechner aufzurüsten, die dann an Bedürftige abgegeben werden.
Das aktuelle Windows-Betriebssystem, ein für die Empfänger-Familie passendes Sprachpaket, all das lässt sich gebraucht und ganz rechtmäßig für kleines Geld im Internet erwerben und wird nun auf den alten Möhren installiert. Wobei, so alt sind die Möhren eben doch nicht: „Rechner, die älter als sechs Jahre alt sind, nehmen wir gar nicht“, sagt Meyer. Denn auch bei den jüngeren Modellen gebe es schon genug zu tun. „Bei fast allen muss mehr Arbeitsspeicher rein. Vor fünf, sechs Jahren waren noch vier Gigabyte üblich. Heute braucht man schon das Doppelte, um sinnvoll arbeiten zu können“, berichtet Meyer.
Bei Firmenrechnern müssen außerdem oft neue Festplatten eingebaut werden, weil die alten aus Datenschutzgründen entfernt werden. Sowohl Firmen wie auch Privatleute spenden die älteren Rechner. Das Geld für Ersatzteile und Programme – ein kleiner vierstelliger Betrag – wird durch die Lübecker Possehl-Stiftung, die Dräger-Stiftung und den Flüchtlingsfonds des Erzbistums finanziert.
Als IT-Systemadministrator kennt sich Meyer gut aus mit der Materie. Er wartet unter anderem das Computernetzwerk der katholischen Bonifatiusschule in Hamburg-Wilhelmsburg sowie – als selbständiger Unternehmer – Rechner von Kirchengemeinden, Schulen und anderen gemeinnützigen Einrichtungen.
Das auf ein Jahr angelegte Computer-Projekt, das er selbst konzipiert hat, ist Teil seiner Ausbildung zum Diakon. Über die vergangenen 15 Jahre wuchs in dem gebürtigen Lübecker der Wunsch, diesen Weg zu gehen; 2017 begann er den aktuellen Ausbildungskurs. „Seit vielen Jahren faszinieren mich in der Kirche das oft im Widerspruch zum Zeitgeist stehende Eintreten für ein am Evangelium orientiertes Welt- und Menschenbild und besonders das daraus resultierende Eintreten für die Armen. Zu einem besonderen Leitbild ist mir dabei die Weltgerichtsrede aus dem Matthäus-Evangelium geworden: In den Armen und Bedürftigen begegnet uns Gott, wenn wir ihnen dienen, dienen wir Gott selbst“, so hatte es Meyer in seinem Motivationsschreiben an den Erzbischof formuliert.
Ganz konkret helfen Meyer und die Jugendlichen vor allem Flüchtlingsfamilien. Fünf Rechner haben bislang neue Besitzer gefunden, darunter eine syrische Großfamilie, die noch nicht lange in Deutschland lebt. Sowohl der Vater als gelernter Programmierer als auch ein älterer Sohn, der im selben Alter wie die Schüler ist und im selben Schulzentrum die Gemeinschaftsschule besucht, freuten sich sehr über den PC. Ein weiteres knappes Dutzend Rechner könnte demnächst ausgeliefert werden.
Die Schüler der AG sind ebenfalls zufrieden: Stine Brandt spricht von einer „echt tollen Aktion“. Es sei schön zu sehen, wie sich die Familien freuten. „Man kann ihnen auf diese Weise sehr helfen, weil sie damit auch in der Schule weiterkommen. Und uns hilft es auch, weil wir etwas über PCs lernen“, sagt Stine. Die syrische Familie sei „total sympathisch, nett und gastfreundlich“ gewesen. Tee und Gebäck hätten sie angeboten bekommen, ergänzt Calvin Hamila. Sein Fazit: „Es ist eine absolute Win-win-Situation. Die Flüchtlinge kriegen ihre PCs, wir lernen etwas über PCs und Herr Meyer kann seine Ausbildung weiterführen. Jeder profitiert von dieser AG.“
Für André Meyer, der selbst Familienvater ist und an diesem Sonntag seinen 50. Geburtstag feiert, schließt sich damit auch ganz persönlich ein Kreis: Er selbst hat die frühere Realschule des Schulzentrums besucht. Und Hartmut Jansen, der Lehrer, der ihm damals die ersten Kenntnisse in Sachen Computer beibrachte, leitet nun mit ihm die AG am Trave-Gymnasium.
Meyer will das Jahresprojekt, das inzwischen schon seit eineinhalb Jahren läuft, auf jeden Fall noch bis zum Sommer weiterführen. Wenn sich bis dahin jemand anderes findet, der die AG weiter betreut, möchte Meyer neue Projekte angehen.
Text u. Foto: Marco Heinen