Thomas Bohne über seine Erfahrungen als Militärseelsorger in Afghanistan

„Ein Licht anzünden, statt über die Dunkelheit zu schimpfen“

Image

Als Standortpfarrer in Leipzig war Thomas Bohne auch Einsatzpfarrer in Afghanistan. Nach dem Einmarsch der radikalislamischen Taliban in Kabul sorgt er sich um die Frauen, Kinder und Männer des Landes.

Gute Kontakte zur Zivilbevölkerung war eine Aufgabe der ISAF-Mission. Militärpfarrer Thomas Bohne wurde von seinem Sodaten unterstützt, der als Sozialarbeiter tätig war. Aus Spenden konnten verschiedene Projekte verwirklicht werden, die den Afghanen halfen. Bohne hofft, dass Zeichen und Akzente bleiben, die langfristig die Lage der Menschen verbessern. - Foto: privat

Von Holger Jakobi
„Beim Beten sehe ich innerlich in die Gesichter der Menschen in Afghanistan. Kinder, Frauen und Männer, denen ich in meiner Zeit als Militärseelsorger begegnen durfte.“ So der Leipziger Oratorianer Pfarrer Thomas Bohne. Die Nachricht vom Einmarsch der „Taliban“ in Kabul hat ihn am Sonntag schwer getroffen. „Ich mache mir große Sorgen um all diese Menschen. Mir ging es ganz, ganz schlecht, mir geht es heute nicht besser“, so Bohne. „Es ist eine Ohnmacht, hinschauen zu müssen, da bleibt nur das Gebet.“
Ohnmacht spürt der ehemalige Militärseelsorger auch angesichts der Aussage „Nichts ist gut in Afghanistan“. In den vergangenen Tagen war er immer wieder zu hören. Thomas Bohne: „,Nichts ist gut in Afghanistan‘ Dieser Satz ist bekannt: Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland sprach ihn das erste mal bei ihrer Neujahrs- predigt im Jahre 2010 aus. Aber stimmte das?“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade seine Zeit als Einsatzpfarrer beendet und die Eindrücke als Einsatzpfarrer in Afghanistan waren noch frisch. „Heute geht mir dieser Satz nicht aus dem Kopf, wenn ich davon höre und sehe wie die Taliban weite Teile des Landes zurückerobert haben.“
 

Was wird mit dieser Frau sein? Lebt sie noch?
Er erinnert an einen Jahreswechsel in Afghanistan. Eine Lehrerin voller Angst fragte damals, ob die Soldaten abziehen. Der Patrouille-Offizier, mit dem Thomas Bohne unterwegs war, antwortete: „Das ist nicht geplant“. „Na, da ist gut!“ war die Antwort der Lehrerin. Heute fragt der Oratorianer: „Was wird mit dieser Frau sein? Lebt sie noch? Lebt der junge Dolmetscher noch, der uns in Kunduz begleitet hat? Ja, wie geht es all diesen Sprachmittlern, mit denen ich damals in Kabul und Feyzabad unterwegs war? Wie geht es ihren Familien?“
„,Nichts ist gut in Afghanistan‘, mich und auch meine evangelischen Einsatzpfarrer-Kollegen hat dieser Satz damals sehr befremdet, denn wir hatten viel Gutes in Afghanistan erlebt: ein Frauenministerium entstand in Kabul, ein mit Frauen agierendes Theater wurde im Schutzraum der Soldaten möglich, an der Universität gab es ein Theaterfestival, bei dem Frauen auf der Bühne standen, Lehrerinnen kamen aus dem iranischen Exil nach Afghanistan zurück und leiteten gemischte Schulklassen. Ob das jetzt alles noch gehen wird? Ich habe meinen Zweifel.“
Thomas Bohne verweist aber auch darauf, dass seiner Meinung nach nicht gut war, Billionen an Euro für Militär in Afghanistan auszugeben, die Wirtschaftshilfen waren hingegen wesentlich weniger. Aber kann pauschal gesagt werden, dass es schlecht war, dass Soldaten in Afghanistan waren? ISAF - International Security Assistance Forces (Internationale Sicherheits-Unterstützungs-Streitkräfte) nannten sich die Soldaten der Nato, zu denen auch die Bundeswehr gehörte. Sie sollten den Aufbau und Neuanfang unterstützen, auch die Arbeit der Hilfsorganisationen dort sichern.
 

„Auf Probe, aber ich trage keine Waffe“
„War das denn nicht gut? Ja, ich stellte mir solche Fragen. Denn letztlich war ich lange gegen jedes Militär, auch durch die Erfahrung von Militarismus in der DDR.“ Thomas Bohne lehnte jede Form der militärischen Gewalt ab. Als er dann im Februar 2000 vom damaligen Personalchef des Bistums Dresden–Meißen gefragt wurde, ob er Einsatzpfarrer werden könne - war seine Antwort: „Erstmal auf Probe, aber ich trage keine Waffe, schieße nicht und unterstelle mich keinem Befehl. Musst du auch nicht, war die Zusicherung.“
Auch nach zehn Jahren Abstand lässt der Satz „Es ist nichts gut in Afghanistan“ den heutigen Gefängnis- und Flughafenseelsorger nicht los. Es bohrt die Frage: „Ist denn jetzt alles gut in Afghanistan? Jetzt, wo die internationalen Soldaten alle abgezogen sind? Oder, ist jetzt nichts gut in Afghanistan, weil die internationalen Soldaten einmal da waren?“ Eine befriedigende Antwort findet Thomas Bohne nicht. Er sagt weiter: „Ich finde auch keine Antwort darauf, ob der waffenlose Pazifismus immer der richtige Weg ist. Dabei lässt mich auch der damals so oft gehörte Satz des evangelischen Generals von Hans-Peter von Kirchbach nicht los, der sagte: „Es waren ja doch Soldaten, die die Insassen der Konzentrationslager befreit haben.“
In den schweren Stunden nach dem 15. August schaut Thomas Bohne immer wieder in sein kleines katholisches Soldatengebetbuch, das ihn als Einsatzpfarrer immer begleitet hat. Da steht: Herr, lass mich ein Licht anzünden, anstatt auf die Dunkelheit zu schimpfen. „Ja, denke ich - das ist Christenpflicht, gerade für Soldaten.“
Heute scheint es Bohne immer noch verrückt, dass er in Bundeswehr-Kleidung in Afghanistan war und mit und unter Soldaten als Seelsorger gewirkt habe. Dennoch, es war für ihn eine prägende und gute Zeit. „Als Militärseelsorger war ich vor allem Vermittler zwischen der Bevölkerung und der Truppe, zu den Soldaten untereinander, zu ihren Vorgesetzten. Auch stand ich in ständigem Kontakt zu den in Afghanistan lebenden evangelischen Christusbrüdern, den Kleinen Schwestern und Kleinen Brüdern, die sich an Charles de Foucauld orientieren und zu Caritas-International.“ Thomas Bohne hofft, dass sie alle ihre soziale Arbeit fortsetzen können. „Sie waren schon unter den ersten Taliban da und konnten helfen. Missionieren dürfen sie jedoch nicht.“
Rückblickend auf fast 20 Jahre ISAF-Einsatz sagt der ehemalige Einsatzpfarrer aus seiner Erfahrung heraus: „Es sind Akzente gesetzt worden, es ist etwas entstanden. Darauf kann sich Positives aufbauen.“ Aktuell hat er wenig Hoffnung. „In meiner Zeit habe ich so viele Afghanen erlebt. Es waren schöne, sehr gebildete Menschen. Ich denke an die Lehrerin, die sich in der Öffentlichkeit zeigen durfte. Das ist jetzt nicht mehr möglich.“ Viele Menschen in Kabul, Kunduz, Feyzabad haben einfach Angst.