Senioren aus der Gemeinde Wolfen-Nord lernen afghanischen Flüchtling kennen
Ein Migrant erzählt
Senioren aus der Gemeinde Edith Stein in Wolfen-Nord im Gespräch mit dem Afghanen Amin R. und Susanne Wienholt-Kall (beide in der rechten Bildhälfte) von der Katholischen Erwachsenenbildung Sachsen-Anhalt. Foto: Eckhard Pohl |
„Wie sind Sie nach Deutschland gekommen? Mussten Sie sich unterwegs verstecken?“ Aber auch: „Warum ist der Widerstand der afghanischen Armee gegen die vorrückenden Taliban so schnell zusammengebrochen?“ Und: „Wie ist jetzt die Situation für Frauen und Mädchen?“ Das waren Fragen, die eine Gruppe von 14 Senioren und Gemeindereferentin Claudia Rudolf dem Afghanen Amin R. bei einer Veranstaltung im Gemeindezentrum Edith Stein in Wolfen-Nord stellen konnten.
Amin ist ein junger Mann, der 2015 als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling nach Sachsen-Anhalt kam. Seine Familie hatte entschieden, für ihn, den damals 17-jährigen, die umgerechnet gut 2500 Euro aufzubringen, um ihm die Migration zu ermöglichen – in der Hoffnung, dass er in Deutschland Fuß fassen und vielleicht sogar eines Tages die Familie nachholen könnte. In Wolfen-Nord berichtete der junge Afghane jetzt, wie es war, erstmals von seinen Eltern und vier Geschwistern getrennt, auf der Flucht durch Iran, Türkei und Länder des Balkans unterwegs zu sein. „Ich hatte immer wieder Angst. Wir mussten uns teilweise verstecken. Mein Handy wurde geklaut. Aber ich hatte auch Glück, oft mit Bus oder Auto fahren zu können und nicht laufen zu müssen“, so Amin R. in relativ gutem Deutsch.
„Beherzt eingreifen gegen Rassismus“
Der junge Mann war in Begleitung von Susanne Wienholt-Kall von der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Sachsen-Anhalt zu der Veranstaltung in Wolfen-Nord gekommen. Wienholt-Kall ist derzeit abwechselnd mit mehreren jungen Migranten im Rahmen des Projekts „Beherzt eingreifen gegen Rassismus“ in Gruppen katholischer Gemeinden, Verbände und Initiativen unterwegs. Die Veranstaltungen sind Teil des KEB-Projekts „Kirche stärkt Demokratie“.
Amin R. sprach vor den Senioren auch über seine Erfahrungen hierzulande. In der Schule, in die er sehr schnell nach seiner Ankunft in Deutschland ging, wurde er von den Mitschülern eher gemieden, hatte es schwer, Freunde zu finden. „Man fühlt selbst, dass man als Ausländer gesehen wird.“ Trotz zunächst großer Sprachbarrieren und völlig neuen Fächern wie deutsche Literatur und Geschichte gelang es Amin, der in Afghanistan eine private Schule besucht hatte, auf Anhieb das Abitur zu bestehen. Heute studiert er Wirtschaft an der Hochschule Magdeburg-Stendal und arbeitet in einem Mini-Job, auch, um, wenn es dafür reicht, seiner Familie Geld zukommen lassen zu können.
Ausdrücklichen Rassismus habe er in Deutschland zum Glück noch nicht erlebt. Er wisse davon aber von anderen und auch von Menschen, die, obwohl sie in Deutschland geboren sind, allein wegen ihrer dunklen Hautfarbe angefeindet werden.
Wienholt-Kall hatte zu Beginn des Nachmittages darauf hingewiesen, dass es durchaus verbreitet sei, dass sich Mitbürger rassistisch äußern, ohne es selbst recht zu merken. Dies geschehe oft und nicht zuletzt aus Unkenntnis über die Situation von Migranten. Dem solle mit einer solchen Veranstaltung etwas entgegensetzt werden.
„Mit unserem Veranstaltungsangebot ,Berherzt eingreifen gegen Alltagsrassismus‘ möchten wir für latenten Rassismus sensibilisieren, Vorurteile abbauen und Offenheit fördern“, sagt Susanne Brandes, die bei der KEB für das Projekt verantwortlich ist. „Dabei wollen wir bewusst kirchliche Strukturen nutzen und vor Ort Menschen stärken, qualifizieren, beraten und vernetzen.“
Interessierte und ihre Gruppen aus kirchlichen Gemeinden, Verbänden, Initiativen und Einrichtungen können das Angebot solcher und ähnlicher Veranstaltungen bei der KEB kostenfrei „buchen“. Neben Susanne Brandes ist ab 1. Oktober Lucia Kremer als Koordinatorin für das Projekt verantwortlich. Sie steht als Ansprechpartnerin auch für die Beratung bei Konflikten im Zusammenhang mit Rassismus, Rechtspopulismus, Verschwörungserzählungen … in Gemeinden, Verbänden und Einrichtungen zur Verfügung. Tel. 03 91/ 5 62 82 77; E-Mail brandes@keb-sachsen-anhalt.de.
Mehr: Kirche für Demokratie unter www.keb-sachsen-anhalt.de/kebprojekte
Von Eckhard Pohl