ARD-"Tatort" über sexuellen Missbrauch in der Kirche
Ein schwieriger Fall
Foto: NDR/Kai Schulz
In seinem letzten Fall hat Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) Traumatisches erlebt: Seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) wurde auf offener Straße erstochen. Um wieder dienstfähig zu werden, nimmt er eine Auszeit im Kloster. Arbeit, Liturgie und Gespräche sollen es richten. Auch der Kontakt zu anderen, die irgendwie aus der Bahn geworfen wurden, wie Falkes Zimmergenosse Daniel (Florian Lukas).
In der Nacht vor seiner Abreise wird der Kommissar von Blaulicht geweckt: Der Wohnwagen, in dem Ruhestandspfarrer Otto sich gelegentlich aufhält, brennt; der Priester stirbt. Als Falke sich halb privat in der Wohnung des Verstorbenen umschaut, findet er Entsetzliches: Massen an Kinderpornografie. Fotos, Dias, Filme. Jahrzehnte unfassbarer Grausamkeit. Und offenbar nicht die Tat eines Einzelnen.
Das Setting der neuesten Folge des „Tatort“ erinnert nicht zufällig an einen Fall, der gerade bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken anhängig ist: Der Neffe eines Priesters hatte nach dessen Tod für die Beerdigung nach seiner Geburtsurkunde gesucht – und Massen an Kinderpornografie gefunden. Autor Stefan Dähnert sagt im Presseheft zum Film, die Recherchen über diesen Fall seien „praktisch die Blaupause für mein Drehbuch“ – nicht nur, was den Täter, sondern auch, was das Bistum betrifft und sein „System des Schweigens“.
„Ich will kein Geld.Ich will mein Leben zurück“
Dafür steht im Film der Generalvikar (Sebastian Blomberg). Bösartig ist er nicht gezeichnet, aber auch nicht hilfsbereit oder an Aufklärung interessiert. „Er steht in einem schlimmen Loyalitätskonflikt“, sagt Drehbuchautor Stefan Dähnert. „An diesem irren Konflikt würde ich auch verzweifeln.“
Der Film ist zweifellos bedrückend. Auch, weil er die lebenslangen Folgen für die vom Missbrauch Betroffenen zeigt. Falkes Zimmergenosse Daniel ist so ein Betroffener. Im Leben hat er nicht viel auf die Reihe bekommen. Auch seine letzte Beziehung ist gescheitert – vor allem, weil er sein eigenes Kind nicht anfassen, nicht nackt sehen, schon gar nicht wickeln konnte. „Warum ich?“, ist die Frage, die ihn nicht loslässt. „Ich will kein Geld“, sagt er einmal dem Generalvikar. „Ich will mein Leben zurück!“
Muss solch ein Film sein? Das sei „ein zweischneidiges Schwert“, sagt Regisseur Lars Kaume im Presseheft zum Film. Er sei selbst Katholik, „und wenn Sie mich fragen, nein, ich werde nicht aus der Kirche austreten“. Er sehe das Problem der vielen Menschen, „die für ihre Mitgliedschaft in der katholischen Kirche in Haftung genommen werden“. Trotzdem halte er es „für richtig, den Film zu machen“, gerade um „viele Millionen Zuschauer“ zu erreichen und „die Debatte am Leben zu halten“.
Im Übrigen habe auch die Kirche den Filmemachern keine Steine in den Weg geworfen. Im Gegenteil: Als sie das leerstehende Trappistenkloster Heimbach als Kulisse entdeckt hatten, habe das zuständige Bistum sofort die Dreherlaubnis erteilt. Kaume sagt: „Ich betrachte die Zusage als Zeichen der katholischen Kirche, sich der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels nicht in den Weg stellen zu wollen.“
Ob man sich am Abend des ersten Advent diesem Film aussetzen will, muss jeder selbst entscheiden. Manches ist völlig unnötig überzeichnet. Etwa, dass der Generalvikar Soutane trägt und Porsche fährt. Oder das verstörende Ende. Doch vieles berührt auch. Vor allem dank des herausragenden Florian Lukas in seiner verzweifelten Rolle als Betroffener.
Tatort : Schweigen. Sonntag, 1. Dezember, um 20.15 Uhr im Ersten
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