Das Verhältnis von Jesus zu seiner Mutter

Ein schwieriges Kind

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„Was willst du von mir, Frau?“, fragt Jesus seine Mutter im Sonntagsevangelium. Auch sonst ist der Ton zwischen ihm und Maria eher rau. Trotzdem kann ihre Beziehung heutigen Familien Perspektiven aufzeigen.

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Verklärt, verkitscht, verkannt: Die heilige Familie aus Nazareth wird oft idealtypisch dargestellt. Foto: kna


Gibt man bei der Internetsuchmaschine Google die Worte „Mutter – Sohn – Beziehung“ ein, findet die Suchmaschine in weniger als einer Sekunde fast zehn Millionen Treffer. Auch ein großes Online-Versandhaus bietet in Sekundenschnelle 142 Ratgeberbücher zu diesem Thema. Beziehungen von Müttern zu ihren Söhnen und Familienbeziehungen überhaupt sind ein gefragtes Thema, nicht nur am Büchermarkt. Der Bedarf ist groß. Wie gut, wenn es da ein Vorbild gibt, an das man sich halten kann, bei dem man Rat, Trost und Hilfe findet. So etwas wie die Idealfamilie: die heilige Familie. 

Nicht nur zur Weihnachtszeit wird die heilige Familie aus Nazaret oft idealtypisch dargestellt. Und doch: verklärt, verkitscht, verkannt. Denn wenn man sich die Lebensumstände ansieht, von denen die Bibel über diese Familie berichtet, dann sind es zum einen nur wenige Fundstellen, an denen ausdrücklich von dieser Konstellation die Rede ist. Zum anderen – und das geht oft in den bildlichen Darstellungen unter – sind es Situationen, die alles andere als Heimeligkeit, Geborgenheit und Familienidyll darstellen: Von wegen heilige Familie! 

Das älteste der Evangelien, das Markusevangelium, bleibt sehr nüchtern: Es lässt die Kindheit ganz aus. Vielmehr sind die ersten Reaktionen, wenn es um die Familie Jesu geht: „Er ist von Sinnen!“ Das sagen die Angehörigen, als sie ihn mit Gewalt nach Hause holen wollen (Mk 3,21). Jesus grenzt sich von seiner Herkunftsfamilie ab, nennt andere „meine Mutter und meine Brüder: Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Mk 3,35). Matthäus erwähnt später die Geburtsgeschichte mit Flucht nach Ägypten und Kindermord (Mt 1-2), Maria ist oft nur „die Mutter“ des Kindes, fast namenlos. 

Auch Johannes erwähnt nur an drei Stellen die Brüder, die „Mutter Jesu“ und ihn als „Sohn des Josef“. Einzig Lukas widmet sich am ehesten dem, was heute zum Grundbild der Heiligen Familie geworden ist. 

Schwere Kost, die guten Willen braucht

Doch auch hier gibt es die zunächst erschreckende Geburtsankündigung an die Jungfrau, die unfreiwillige Wanderung Josefs und der schwangeren Maria nach Betlehem, die verzweifelte Herbergssuche, die Umstände der Geburt im Dunkel der Nacht und nicht zuletzt die Suche nach dem verschwundenen Zwölfjährigen und seine eher befremdliche Reaktion, nachdem seine Eltern ihn im Tempel entdecken: Das klingt nicht nach heiler Welt und herzlich-warmer Wohlfühlfamilie; von den unermesslichen Sorgen Marias, als sie bis zuletzt unter dem Kreuz ausharrt und von ihrem Sohn selbst da distanziert mit „Frau“ (Joh 19,26) angesprochen wird, ganz zu schweigen. 

Aus heutiger Sicht, aus Sicht von Eltern, mit Blick auf einen stilisierten, ersehnten Idealtyp der Familie ist das schwere Kost, die auch in noch so theologisch versierten Predigten, in päpstlichen Enzykliken und auch in der Katechese viel Deutung, Verständnis und guten Willen braucht.

Die Heilige Familie ist da übrigens nicht allein. Auch andere Familienkonstellationen der Bibel zeigen alles andere als eine heile Welt: ob beim Mordfall zwischen dem neidischen Kain und seinem Bruder Abel, der Dreieckskonstellation zwischen Abraham, Sarah und Hagar oder den getrennten Halbbrüdern Ismael und Isaak; ob beim Betrug zwischen Esau und Jakob um das Erstgeborenenrecht oder bei dem immer wieder auch theologisch gedeuteten Verhältnissen der Familie Jesu, wie  sie auch im Sonntagsevangelium bei der Hochzeit zu Kana zum Ausdruck kommen. 

Nüchtern betrachtet kommt da ein erwachsener Mann mit seiner Mutter zu einer Hochzeitsfeier. Der Ton ist auch hier rau: „Was willst du von mir, Frau?“ Ist das die heute vielleicht verständliche Reaktion eines Sohnes, den eine Mutter ins Rampenlicht zerren will? Oder ist es eher das große Vertrauen der Gottesmutter in das Wirken ihres Sohnes als Heilsbringer, dass sie sich über seine Ablehnung hinwegsetzt und, indem sie die Tischdiener auffordert, das zu tun, was er ihnen sagt, die Heilszeit geradezu auslöst?

Es wäre wohl theologisch zu kurz gegriffen, wenn die Familienverhältnisse Jesu nur aus heutiger Sicht und nur unter dem Aspekt einer scheinbar intakten menschlichen Familie betrachtet würden. Die Aussageabsicht der Bibel scheint eine andere. Sie geht dahin, dass die irdischen Beziehungen, Schwierigkeiten und menschelnd-menschlichen Probleme nicht das Entscheidende in Gottes Heilsplan sind. Vielmehr ist die Beziehung Jesu zu seinem himmlischen Vater jenseits der engen Vorstellungen von irdischen Familienbeziehungen maßgeblich. Aus ihr erwächst auch die Beziehung Jesu zu seinen Jüngern, zu denen, die ihm nachfolgen; zu den Menschen auch heute. „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter!“ 

Trost für Familien in durchweinten Nächten

So wird die Dimension von Raum und Zeit nicht auf die irdisch-historische Mutter-Sohn-Familienbeziehung bei Jesus reduziert, sondern öffnet Perspektiven weit darüber hinaus. Das mag Trost sein für heutige Familien, die im allzu menschlichen Klein-Klein von durchweinten und durchwachten Nächten am Idealbild der heiligen Familie verzweifeln, wenn die Kleinen zahnen, in der Pubertät trotzig sind oder Liebeskummer haben, Paare sich im Streit trennen oder die kranken Eltern zu pflegen sind. 

Die neue Perspektive zeigt, worauf es in der Beziehung von Mensch und Gott ankommt – und öffnet so in Höhen und Tiefen menschlicher Beziehung den Himmel, wenn die Erde unter den Füßen wankt. Das verbindet Himmel und Erde – ganz ideal in der Person Jesu, der ganz Gott ist und ganz Mensch geblieben ist. Davon gibt die Bibel Zeugnis, nicht nur – ganz wörtlich – zu Hoch-Zeiten.

Michael Kinnen