Gemälde „Das Lebende Kreuz“

Ein vergessenes Altarbild

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Um 1565-70 schuf Sebastiano Filippi – genannt Bastianino – das Gemälde „Das Lebende Kreuz“ für eine Kirche im italienischen Ferrara. Nach der Restaurierung wird das Bild wieder öffentlich gezeigt – zunächst nur online.

„Das Lebende Kreuz“ nach der Restaurierung.    Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/Christoph Schmidt

„Bastianino: Das lebende Kreuz von Ferrara“, so ist die kleine Ausstellung überschrieben, die kürzlich in der Berliner Gemäldegalerie eröffnet wurde, zurzeit aber leider nur online zu sehen ist. Sie widmet sich einem frisch restaurierten – beinahe vergessenen und wiederentdeckten – Altarbild, das Sebastiano Filippi, genannt Bastianino (ca. 1528/32 bis 1602), aus dem italienischen Ferrara um 1565–70 für die dortige Klosterkirche Santa Caterina Martire schuf.
Nicht nur das Bildformat von nahezu drei Metern Höhe ist beeindruckend, sondern vor allem ist die Ikonografie ungewöhnlich, die sich dem Betrachter vielleicht nicht sogleich erschließt, ihn dennoch in den Bann zieht. Das Lebende Kreuz ist voller Symboliken und Botschaften, eine Allegorie des Alten und Neuen Testaments, begleitet von vielfigurigen Szenerien. Der lehrhafte Charakter wird durch die eingestreuten Spruchbänder und Schrifttafeln unterstrichen.

Kreuz mit Armen und Händen
Auf den Blick erscheint die Altartafel wie eine übliche Kreuzigungsdarstellung, in deren Hintergrund sich eine weite Landschaft öffnet. Doch hier ist es anders. Irritierend wirken die zusätzlichen Arme und Hände an den Querbalken. Sie scheinen nicht untätig zu sein, ganz im Gegenteil, denn durch Symbole wie Schlüssel, Kreuz oder Lanze senden sie sehr beredt Botschaften an den Betrachter. So zeigt die eine nach unten weisende Hand eine goldene Krone, die über dem Haupt einer jungen Frau schwebt. Sie hält die Weltkugel in ihrer Hand als Zeichen ihrer allumspannenden Herrschaft, denn sie symbolisiert Ecclesia, die christliche Kirche. Umgeben ist sie von den traditionellen Symbolen der vier Evangelisten.
In der Szene daneben verkündet der Apostel Paulus das Wort Gottes auf dem Areopag. Berührend ist, dass das Blut des Erlösers aus seiner Seitenwunde wie ein feiner roter Faden durch die rechte Hand Ecclesias hinab zu den Figuren unterhalb des Kreuzes geleitet wird, zu den Spendern der Sakramente der Taufe, Beichte und Eucharistie. Das Opferblut Christi als erlösende und lebensspendende Kraft, dieses hier so eindringlich gestaltete Bildelement ist quasi wie ein Leitmotiv, das sich durch die gesamte Darstellung zieht. Das Pendant zu den christlichen Sakramenten zeigt sich in der Figur des Hohepriesters neben der Bundeslade und dem Opfertier in der Szene gegenüber.
Während so Ecclesia als aufrechte Siegerin dargestellt ist, wird rechts des Kreuzes ihr Gegenpart, die Personifikation von Synagoga, das Alte Testament, als die Unterlegene, weil Uneinsichtige, gezeigt: eine alte Frau, die mit verbundenen Augen auf einem Esel reitet, die Krone fällt ihr vom Kopf, ihr Zepter ist gebrochen und sie selbst wird von einer Lanze, die sich von einem der Kreuzesarme herabsinkt, getroffen. Verstärkt wird der Gedanke des Untergangs durch die Überreste des Salomonischen Tempels. Die am Himmel aufziehenden dunklen Wolken unterstreichen die niedergedrückte Stimmung, die über der Szenerie lastet.
Detailreich schildert Bastianino wie sich der Boden unter dem Kreuz zu öffnen scheint und damit die dunkle Vorhölle erahnen lässt. Hier guckt die Teufelsfratze hervor und in der Düsternis erkennen wir als greise Gestalten die Seelen der Patriarchen und Propheten. Oberhalb des Kreuzes entsteht im Gegensatz zu den Leiden der Vorhölle die Vision des Paradieses als Himmelsburg, über deren Zinnen Gottvater inmitten einer Engelschar seine Hände zum Segen erhoben hat.

 

„Das Lebende Kreuz“ im Restaurierungsatelier.    Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/Maria Zielke

 

Dauerleihgabe der Humboldt-Universität
Bastianino zählte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Künstlern Ferraras. Das Motiv des hier gezeigten Lebenden Kreuzes war ihm aus Benvenuto Tisis (gen. Garofalo) Fresko für das Rektorium des Augustinerklosters Sant’Andrea und dessen Gemälde für das Refektorium der Kirche San Bernardino in Ferrara bekannt. Es diente ihm als Vorlage, für die er seine eigene Ausdrucksform fand.
Vielleicht wird der Besucher sich ausschließlich auf dieses außergewöhnliche Gemälde konzentrieren wollen. Ergänzend gibt es in der Ausstellung Bastianinos Darstellung „Die heilige Familie mit dem Johannesknaben“ sowie eine Zeichnung aus dem Kupferstichkabinett zu entdecken, zu denen Kunstwerke der Schule von Ferrara hinzugefügt sind. Nicht zuletzt erfährt man Wissenswertes über die aufwendige Restaurierung des Altarbildes und die Stationen seines Weges von Ferrara nach Berlin, wo es in den Besitz der Humboldt-Universität kam und seit 2015 als Dauerleihgabe in der Berliner Gemäldegalerie ist. Damit wird das Lebende Kreuz von Ferrara für uns wieder präsent, das man als Geschenk an die heutigen Betrachter verstehen kann.

Die Ausstellung ist bis zum 11. Juli geplant. Zurzeit ist sie nur online zu betrachten. Sie befindet sich in der Gemäldegalerie (Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin). Die Galerie ist bis auf Weiteres geschlossen (Öffnungszeiten sonst: Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa, So 11-18 Uhr).

Von Christine Kansy