Über ein Vorbild in Sachen Umkehr

Ein Zachäus steckt in uns allen

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Schluss mit Eigensucht und Raffgier: Der Zöllner Zachäus krempelt sein Leben und sein Verhalten komplett um. Offenbar ist er in sich gegangen und hat erkannt, dass er bisher einiges falsch gemacht hat. Und keinesfalls so weitermachen sollte. Könnte auch uns guttun.

Foto: imago images/Panthermedia
Eine Gewissenserforschung von Zeit zu Zeit ist vielleicht unangenehm, aber lohnend. Foto: imago images/Panthermedia

Von Ulrich Waschki

Diese Geschichte fehlt in kaum einer Kinderbibel. Der ausbeuterische Zöllner Zachäus steigt auf einen Baum, um Jesus zu sehen. Der reiche Zachäus steht nicht in der ersten Reihe, sondern hinten in der Menge. Am Rand. Jesus wendet sich ihm dennoch zu. Er kehrt sogar bei ihm ein, aber hält ihm offenbar keine Moralpredigt. Davon steht jedenfalls nichts im Sonntagsevangelium: Jesu bloße Anwesenheit und Zuwendung zu Zachäus reichen, um diesen zur Umkehr zu bewegen.
 
Jesus sagt, er sei gekommen, um „zu retten, was verloren ist“. Zachäus, der Sünder, war verloren. Generationen von Christen trieb diese Angst um: als Sünder verloren zu sein. Bilder von Höllenqualen zeugen von dieser Angst. Aber die Geschichte von Zachäus geht ja gut aus, er wird gerettet. Ist also doch alles gut, nach dem Motto „Jesus liebt dich, mach dir keine Sorgen“?
 
Manche kritisieren, dass die Kirche in unserer Zeit allzu oft eine solche harmlose Kuschelreligion verkünde. Passaus Bischof Stefan Oster sagt, der Glaube verkomme so zu einem „Humanismus der Nettigkeit“. Wenn man bei biblischen Erzählungen wie der von Zachäus nur auf das Ende schaute, wäre der Vorwurf nicht falsch. Denn was vor dem Ende der Geschichte geschieht, zeigt, dass der Glaube, wie Jesus ihn verkündet, anspruchsvoll ist. Zachäus kehrt um. Durchaus schmerzhaft. Denn für seine Umkehr muss er tief in die Tasche greifen.
 
Wer Jesus nachfolgen will, muss auch Konsequenzen ziehen, erzählt uns dieses Sonntagsevangelium. Der Aufruf zur Umkehr gilt damit auch uns, Tag für Tag. Doch was heißt das? Zeit für Gewissenserforschung. 

Mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, sagt Jesus. Wie gehe ich also mit meinen Mitmenschen um? Sehe ich, wo Hilfe nötig ist?

Es ist relativ einfach, den engsten Familienmitgliedern und Freunden gegenüber gut zu sein. Aber das Gebot der Nächstenliebe geht weiter. Also: Bin ich geduldig etwa im Umgang mit anstrengenden Kolleginnen und Kollegen? Sehe ich das Gute im Menschen oder suche ich immer nach dem, worüber ich meckern und lästern kann? Wie agiere ich im Streit – als Brandbeschleuniger oder als Brückenbauer?
Bin ich ehrlich bei Kleinigkeiten, etwa wenn ich beim Bäcker oder im Restaurant zu viel Geld zurückbekomme? Und bei größeren Themen wie bei Schwarzarbeit und Steuertricks? Achte ich auf meinen eigenen Vorteil oder kann ich auch verzichten für andere?
 
Auch das gehört im weitesten Sinne zur Nächstenliebe: Was trage ich bei zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft? Wiederhole ich polemische Plattitüden oder versuche ich bei Diskussionen in der Familie, bei der Arbeit, im Verein, in der Gemeinde eine differenzierte und sachliche Haltung einzunehmen? Gerade hier braucht unsere ganze Gesellschaft dringend Umkehr, um angesichts der vielen Krisen nicht zu zerreißen. Und diese Umkehr kann bei mir anfangen. Schließlich sollen wir Christen Boten der Liebe sein. So können wir die Welt zum Guten verändern. 

Mein Verhältnis zu mir selbst

Zur Nächstenliebe gehört, sich selbst zu lieben. Auch im Umgang mit mir selbst kann ich gedankenlos sein. Achte ich auf meinen Körper? Lebe ich gesund? Oder schütte ich mich mit Konsummitteln zu? Achte ich auf meine Bedürfnisse? Tue ich mir auch mal etwas Gutes? Pflege ich Beziehungen, die mir guttun? Wie ist mein Umgang mit Medien, Internet, Sozialen Medien? Wovon lasse ich mich lenken und vielleicht sogar beherrschen? Geld? Macht und Einfluss? Aufmerksamkeit? Aussehen? Konsum? Sex?

Hier geht es nicht um die in unserer Gesellschaft übliche Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung, nicht um Narzissmus, nicht darum, gesellschaftlichen Idealen nachzulaufen, sondern darum, auf sich selbst zu achten, um Eigenverantwortung und eine gesunde Eigenliebe. 

Mein Verhältnis zu Gott

Vor die Nächstenliebe stellt Jesus als wichtigstes Gebot die Gottesliebe. Gott braucht uns nicht. Aber er bietet sich uns an – als Begleiter durchs Leben, als Stütze und Orientierung. Das Verhältnis zu ihm will gepflegt werden. Tun wir das nicht, schläft die Beziehung ein. Wie halte ich es also mit Gebet, Gottesdienst oder Bibellektüre? Bete ich nur, wenn es mir schlecht geht, oder denke ich auch daran, Gott zu loben und zu danken? Oft reicht dafür ja ein kurzes Stoßgebet. In den Alltag drängeln sich immer wieder vermeintlich wichtigere Dinge – habe ich Routinen, regelmäßige Zeiten, die Freiräume für Gebet und Gottesdienst sichern? 

Mein Verhältnis zur Schöpfung

Die Schöpfung leidet. Unser Lebensstil bringt die Erde an ihre Grenzen. Wir sind auf dem besten Wege, die Schöpfung, die uns anvertraut wurde, zu zerstören. Deswegen müssen wir alle hier dringend umkehren. Einerseits gesellschaftlich. Natürlich braucht es Regeln und Rahmenbedingungen, die uns ermöglichen, Rücksicht auf die Erde und unsere Mitgeschöpfe zu nehmen.
 
Als Einzelner bin ich überfordert, alle Produktionsketten zu übersehen. Und dennoch bin ich auch als Einzelner gefragt. Da ist etwa der Fleischkonsum. Es ist mittlerweile doch recht eindeutig, dass die Fleischproduktion die Erde überfordert. Immer mehr Menschen wollen möglichst billiges Fleisch. Weniger, dafür besser und – wenn man es sich leisten kann – teurer, ist die Devise beim Fleischkonsum, damit Tiere und Natur, aber auch die Landwirte nicht ausgebeutet werden. 

Und nicht erst durch die Energiekrise nach dem Überfall auf die Ukraine ist jede und jeder von uns gefordert, den eigenen Umgang mit Energie kritisch unter die Lupe zu nehmen. Der Verbrauch von Öl, Kohle und Gas verstärkt die Klimakrise. Wie halte ich es mit dem Energiesparen, mit dem Autofahren, mit dem Fliegen? 


Wer sich allein diese Punkte anschaut, findet genug Anlass zur Umkehr. Selbst, wenn heute zum Glück niemand mehr von der Kanzel mit der ewigen Verdammnis droht, steckt doch in jeder und jedem von uns ein kleiner oder vielleicht sogar großer Zachäus. Doch wir sind alle auch nur Menschen. Wer alles auf einmal angehen will, wird scheitern. Sich aber immer mal wieder einen Punkt zu nehmen und diesen für die Woche quasi als „Zachäus-Gedanken“ mitzunehmen, wäre doch schon ein Anfang.