Briefe aus der Zeit der Reformation

Einblick hinter Klostermauern

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Nichts da mit Mauerblümchen! Nonnen im Mittelalter waren gebildet, hatten Humor, knüpften an einem weit verzweigten Netzwerk und scheuten keine Konflikte. Überraschende Erkenntnisse aus dem Kloster Lüne, wo ein Schatz gehoben wird: Briefe aus der Zeit der Reformation.


Einmalige Zeitdokumente: 1800 historische Briefe aus
dem Kloster Lüne werden derzeit wissenschaftlich erforscht.

„Unsere Priorin hat mich so lieb wie ihr eigenes Leben. Ich esse mit ihr aus ihrer Schüssel, trinke mit ihr und sie sucht stets für mich das Beste heraus. Sie gibt mir häufig das Keulchen und das Flügelchen von dem Hühnchen“, schreibt ein zehnjähriges Mädchen an seine Eltern. Vor ein paar Wochen ist sie ins Kloster der Benediktinerinnen in Lüneburg gekommen, Nonne soll sie werden. Einen gesellschaftlichen Aufstieg erhofft sich der Vater durch diesen Schritt für seine Tochter.

„Qui vult ridere, debet ista scripta videre“ („Wer lachen möchte, soll sich diesen Brief ansehen“) reimt eine andere Klosterschülerin in bestem Latein. Und eine dritte schildert, wie sie und ihre Mitschwestern vermeiden, protestantischen Predigten lauschen zu müssen: Sie verstopfen sich die Ohren mit Wachs.

Dokumente aus einer spannungsgeladenen Zeit

Deutsche und englische Wissenschaftlerinnen um die Düsseldorfer Historikerin Eva Schlotheuber erforschern derzeit 1800 Briefe aus dem Kloster Lüne, geschrieben in den spannungsgeladenen Jahren des 15. und 16. Jahrhunderts, als die Lehre Luthers für begeisterten Zuspruch bei den einen, hartnäckigen Widerstand bei den anderen sorgte.

„Ein faszinierender Fund“, sagt Eva Schlotheuber. Denn bisher gibt es über das Klosterleben von Frauen kaum Berichte aus erster Hand. Seite um Seite wird die Vergangenheit in die Gegenwart geholt. Knapp ein Drittel der Briefe ist mittlerweile erfasst und ausgewertet. Keine leichte Aufgabe, denn die Nonnen wechselten – je nachdem, mit wem sie kommunizierten – vom Niederdeut­schen ins Lateinische.
 


Reinhild von der Goltz ist heute Äbtissin
von Kloster Lüne. Aus den Briefen der
früheren Nonnen erfährt sie viel Neues
über das Leben der Ordensfrauen vor
500 Jahren.

500 Jahre lagerte der Schriftverkehr im Kloster zwischen Urkunden, Abschriften und alten Büchern. Eine ehemalige Äbtissin ordnete Ende des 18. Jahrhunderts das Archiv und verstaute die persönlichen Dokumente der Frauen in einer ledernen Truhe. Archivar Wolfgang Brandis  wurde vor einigen Jahren auf den Inhalt aufmerksam und setzte sich mit Historikerin  Eva Schlotheuber in Verbindung. Der war sofort klar, was sich darin verbirgt: Ein Schatz, der europaweit einmalig ist. „Durch die Briefe der Ordensfrauen können wir endlich Licht in das oft verborgene Leben hinter Klos­termauern bringen“, sagt sie.

Die Lüneburger Nonnen lebten in strenger Klausur – weitestgehend abgeschieden vom Rest der Welt. Im Grunde wurde jeder ihrer Schritte, jeder Kontakt nach außen kontrolliert. Briefe an die Klosterfrauen wurden vor der Gemeinschaft verlesen, Briefe nach draußen kopiert und abgelegt. So war die Äbtissin nicht nur bestens über die Gedanken der Nonnen im Bilde. Zugleich diente dieses Verfahren einerseits der Vergewisserung in schwierigen Jahren und, ebenso wichtig, als Vorlage für Glückwunsch- und Kondolenzschreiben. Dass Privatsphäre ein Fremdwort war, mag heute befremden, aber letztlich ist diesem harten Reglement zu verdanken, dass das Alltagsleben jetzt erforscht werden kann.

Obwohl die Ordensfrauen an der kurzen Leine gehalten wurden, war das Leben im Kloster für sie durchaus erstrebenswert, berichtet die heutige Äbtissin, Reinhild von der Goltz: Sie waren versorgt – und das nicht schlecht, denn Kloster Lüne verfügte in der durch den Salzabbau reich gewordenen Stadt aufgrund der Siederechte über einen angenehmen Wohlstand. Und das Tor zur Bildung stand weit offen, für Frauen jener Zeit alles andere als selbstverständlich.

Kontakte zu Bischöfen und umliegenden Klöstern  

„Wir können durch die Briefe nachvollziehen, dass die Klosterfrauen über ein weites Netzwerk und viele Kontakte verfügten, vor allem zu den umliegenden Klöstern und den Bischöfen von Verden und Hildesheim“, berichtet Eva Schlot­heuber. Theologische Debatten sind ebenso bezeugt wie die Bitte, Rom möge Dispens vom Fleischverzicht während der Fastenzeit gewähren. Im übrigen seien die Lüneburger Nonnen im Vergleich zu anderen Klöstern sehr regeltreu gewesen, „ein vorbildliches Verhalten, damals nicht unbedingt selbstverständlich“, so die Historikerin. Das dürfte letztlich auch ein Grund für den erbitterten Widerstand gegen die Einführung der Reformation und besonders gegen deren Förderer, Herzog Ernst zu Braunschweig-Lüneburg, gewesen sein.  Lange kämpften sie gegen die schrittweise Entmachtung durch den „Bekenner“, der ihnen die Beichväter nahm und das Glockenseil durchschneiden ließ.

Erst 1580 wurde im Kloster Lüne die erste lutherische Domina eingesetzt. Und bis heute wird die klösterliche Tradition fortgeführt – durch eine Gemeinschaft evangelischer Frauen.

Stefan Branahl