Islam-Ausstellung im Dommuseum

Eine Frage der Perspektive

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Das Hildesheimer Dommuseum zeigt die große Sonderausstellung „Islam in Europa. 1000 bis 1250“ als Beitrag zum Godehardjahr – und stellt unter Beweis, dass Globalisierung nicht erst ein Phänomen der Moderne ist.


Das Astrolabium des Muhammad Ibn-as-Saffār stammt aus
dem Jahr 1029. Es ist eine Leihgabe der Staatsbibliothek Berlin.

Diese Technik beherrschte man damals in höchster Perfektion: Aus Materialien wie Bergkristall oder Achat entstanden im Orient filigrane Kunstwerke, deren Schönheit und Finesse die Menschen bis heute in Staunen versetzen. Dazu gehören die reich verzierten Schmuckplatten vom Ambo im Aachener Dom oder der Kristallkrug mit feinen Gravuren und einer arabischen Segensformel aus dem Schatz der Kalifen, ein Meisterwerk islamischer Kunst des Mittelalters, das heute in Venedig verwahrt wird. Dank der Unterstützung von Bischof Heiner Wilmer wurde dieses kostbare Exemplar nach Hildesheim ausgeliehen.

Der äußerst fragile Krug gehört zu den Prunkstücken der großen Sonderausstellung „Islam in Europa. 1000 bis 1250“, die im Hildesheimer Dommuseum zu sehen ist, eine Schau mit knapp 100 Exponaten, darunter Leihgaben aus London, Paris und Wien. „Der Hildesheimer Domschatz ist von besonderer Qualität. Deshalb können wir von hier aus schauen, was an Kunst aus dem islamischen Raum zu uns nach Europa gekommen ist“, betont der Kurator Felix Prinz. Er hatte die Idee zu dieser Ausstellung, die er in dreijähriger Arbeit vorbereitet hat.

Hildesheim lag trotz Bernward und Godehard an der Peripherie

Die Auswahl der Objekte und deren gelungene Inszenierung machen deutlich, dass es hier um einen Wechsel der Per­spektive geht. Darauf weist auch die große stilisierte Landkarte hin: Im Mittelalter lag Hildesheim an der Peripherie, obwohl bedeutende Bischöfe wie Bernward und Godehard die Domstadt im Norden zu einer Kunstmetropole von Rang erhoben hatten – mit internationalen Kontakten und diplomatischen Verbindungen in höchste politische Kreise. Dennoch lagen die wirtschaftlichen und intellektuellen Zentren jener Epoche andernorts: in Kairo, Konstantinopel, Cor­doba und Palermo, in islamisch geprägten Regionen. Und dorthin blickte man in Europa voller Bewunderung – auch in Hildesheim. In den großen Städten in den Gebieten des heutigen Irak, Iran, Nordafrika, Spanien und Mitteleuropa blühten Wissenschaft, Kultur, Handwerk und Handel. Es gab aber auch zahlreiche Verflechtungen und Gemeinsamkeiten, in vielen Kirchenschätzen Europas finden sich beeindruckende Kunstwerke aus der islamischen Welt.

 


Im Dom von Osnabrück haben sich mehrere Schachfiguren
aus Bergkristall erhalten, die mindestens drei verschieden
verzierten Spielsets zugehörten.
 

Komplexe Himmelsbeobachter im 11. Jahrhundert

Globalisierung ist nicht erst ein Phänomen der Moderne, auch das gehört zu den Botschaften dieser Schau, die im Rahmen des Godehardjahres präsentiert wird. Museumsdirektorin Claudia Höhl und ihrem Team geht es darum, neue Zugänge zu einem Thema zu finden, das zwar weit in die Geschichte zurückreicht und trotzdem nach wie vor aktuell ist. Auf welche Weise sind die Kulturen miteinander verbunden, welche gegenseitigen Einflüsse gab es und gibt es bis heute? Arabische Schriften legten das Fundament für die Entwicklung der Medizin in Europa, in islamisch geprägten Regionen gab es bedeutende Mathematiker und Astronomen. Das Astrolabium aus dem 11. Jahrhundert, eine Leihgabe aus Berlin, wurde in Toledo angefertigt und gilt als Präzisionsarbeit. „Dieses Messgerät ist unglaublich eindrucksvoll, man sieht, welch komplexe Messungen am Himmelszelt damals möglich waren“, erläutert Prinz. Auf diese Weise konnten auch die Tages- und Gebetszeiten bestimmt werden.

Handschriften aus der Hildesheimer Dombibliothek belegen, wie intensiv der Austausch damals war: Der Codex aus dem 13. Jahrhundert enthält die lateinischen Übersetzung der arabischen Version eines griechischen Grundlagenwerks über Mathematik – ein eindrucksvolles Beispiel mittelalterlicher Wissenschaftskommunikation.

In der Herzkammer des Dommuseums finden sich die kostbaren Seidenstoffe aus dem Schrein des heiligen Godehard. Das Hülltuch aus der Zeit um 1100, in dem die Reliquien eingewickelt waren, stammt vermutlich aus dem Gebiet des heutigen Irak und wurde 2009 im Rahmen des großen Bistumsjubiläums im Jahr 2015 aufwendig restauriert. Das Stoffmuster zeigt zwei doppelköpfige Pfauen, die von Weinranken und Palmetten eingefasst sind. Viele aufwendig  gestaltete Textilien wurden über die Seidenstraße nach Europa geliefert.

 


Im Schrein des heiligen Godehard im
Hildesheimer Dom waren dessen körperliche
Überreste in prachtvollen Seidenstoff verpackt.
Das Gewebe wurde vermutlich im ausgehenden
11. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Iran
oder Irak hergestellt.

Islamische und christliche  Symbole auf einem Kunstwerk

Wenn arabisch anmutende und christliche Motive aufeinandertreffen, ergeben sich teils überraschende Überlagerungen. Auf einem Olifanten, einem Signalhorn in Form eines Elefantenstoßzahns aus Elfenbein, sind islamisch inspirierte und christliche Symbole zu sehen, in der Mitte ist die Himmelfahrt Christi dargestellt. Besonders eindrucksvoll ist die silberne Patene, eine Leihgabe aus der Erzabtei St. Peter in Salzburg. Das Lamm Gottes im Zentrum wird vom Kreis der zwölf Apostel umschlossen, diese urchristliche Szenerie wird von einem Ornamentband nach der arabischen Schrift eingefasst.

Diese Form von kultureller Aneignung diente als Zeichen der Wertschätzung: Das Fremde wird zum Teil des Eigenen, ohne es zu vereinnahmen. Zunächst dachte man, das in Hildesheim hergestellte bronzene Aquamanile stelle einen Drachen dar, dabei handelt es sich um einen Senmurv, ein Fabeltier aus dem östlichen Mittelmeeraum. Und auch der elegante bronzene Pfau aus Al-Andalus, eine Leihgabe aus dem Louvre, ist ebenfalls ein kultureller Grenzgänger. Auf der Brust trägt er eine zweisprachige Inschrift, auf Arabisch und auf Latein.

Das Mittelalter war nicht nur von Kreuzzügen und Glaubenskriegen geprägt, die sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben haben, es gab auch viele bereichernde Begegnungen. Denkmuster, Motive und Symbole finden sich in neuen und anderen Zusammenhängen wieder. Dieser rege Kulturtransfer macht deutlich, dass ein friedliches Miteinander gelingen kann – auch in Zukunft.

Im „Labor Gegenwart“ werden Projekte vorgestellt, die im Dialog mit der Stadtgesellschaft entstanden sind. Wo finden Menschen heute eine Heimat? Was bringen sie mit, welche Traditionen haben sie geprägt? In der Ausstellung gibt es Texttafeln auch in arabischer und türkischer Sprache, zudem werden eigens Führungen in diesen beiden Sprachen angeboten.

Karin Dzionara