Saul und David
Eine Mordsgeschichte
Die Erzählung von Saul und David ist ein echter Krimi: Es geht um Macht, Intrigen, Krieg und Liebe. Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Königshauses und der Gründung einer neuen Dynastie.
Eine tragende Rolle in der Geschichte hat der Prophet Samuel. Als das Volk Israel einen König als Anführer verlangt, schickt Gott ihn, um Saul zum König zu salben. Saul wird als jung, hübsch und groß beschrieben, tritt in den Kapiteln des ersten Samuelbuchs zunächst aber bescheiden und demütig auf: „Bin ich nicht ein Benjaminiter, also aus dem kleinsten Stamm Israels? Ist meine Sippe nicht die geringste von allen Sippen des Stammes Benjamin?“ (1Sam 9,21).
In der biblischen Erzählung wird schnell deutlich, dass Sauls Herrschaft nicht von Dauer sein wird. Als König hört er nicht auf Samuel und bringt Gott selbst ein Brandopfer dar – ein Verstoß gegen den priesterlichen Dienst. Nach einem erfolgreichen Feldzug vernichtet er nicht die gesamte Beute, so wie Gott es ihm befohlen hat. Er behält die kostbaren Stücke für das Volk zurück; er widersetzt sich Gottes Befehl. „Du hast das Wort des Herrn verworfen und nun hat der Herr dich verworfen, so dass du nicht mehr König von Israel sein kannst“, sagt Samuel.
Historisch ist nicht viel über die Regierungszeit von Saul bekannt. Im 12. Jahrhundert vor Christus tauchen die Philister als Großmacht auf, die zunächst an der Küste sesshaft werden und ihr Einflussgebiet dann ins Bergland ausdehnen, dorthin, wo Sauls Herrschaftsgebiet liegt. Wie lange er herrscht ist unklar. Die Bibel spricht von zwei Jahren, aber Exegeten vermuten, dass sich diese Zahl auf den Höhepunkt der Auseinandersetzung mit den Philistern bezieht. Fest steht, dass durch Saul eine bisher lockere Verbindung von Stämmen zu einer Art Staat zusammenwächst. Seine Herrschaft trägt zur wirtschaftlichen und militärischen Entwicklung Israels bei. Darauf kann David aufbauen.
Die Konkurrenz ist unausweichlich
Denn nachdem Gott Saul verworfen hat, soll Samuel David aus Betlehem zum neuen König salben (1 Samuel 16). Die Konkurrenz der beiden ist unausweichlich: auf der einen Seite Saul, der vom Volk legitimierte König, auf der anderen Seite David, der unter Gottes Schutz steht. Die Bibel erzählt, dass David als Musiker an den Hof von König Saul kommt und für ihn auf der Leier spielt, wenn „ein böser Geist“ ihn verstört. Ebenso soll David Waffenträger gewesen sein und einer der besten Krieger in Sauls Heer. Vor allem sein Sieg über den Philister Goliat verbreitet sich im ganzen Land. David ist beliebt unter den Kriegern, im Volk, sogar Sauls Kinder lieben ihn und die Frauen auf den Straßen singen: „Saul hat Tausend erschlagen, David aber Zehntausend“ (1 Samuel 18,8).
Das Lied ist der Wendepunkt in der Geschichte zwischen David und Saul: Sie wird kriegerisch, eine Geschichte von Mord und Totschlag, von Hass und Verfolgung. Saul ist eifersüchtig. Mehrfach versucht er, David mit dem Speer zu töten. Außerdem spinnt er Intrigen, um den Konkurrenten auszuschalten: Er fordert als Brautpreis für seine Tochter Michal die Vorhäute von 100 Philistern – in der Hoffnung, dass David im Kampf stirbt. Doch David ist erfolgreich, heiratet Michal und Saul erkennt, dass Gott auf Davids Seite ist. „So wurde Saul für alle Zeit zum Feind Davids“, heißt es in der Bibel.
Schließlich hat David keine andere Wahl, als zu fliehen. Sauls Kinder Jonatan und Michal hintergehen ihren Vater und helfen David bei der Flucht. Sie halten David die Treue und sorgen somit für die Kontinuität zwischen den Herrschaftshäusern von Saul und David.
David versteckt sich in der Wüste, zieht von Ort zu Ort und lebt in Höhlen. Immer mehr Männer schließen sich ihm an. Saul verfolgt die Gruppe, die fast schon zu einem eigenen Heer geworden ist. Er bezahlt Spitzel und geht so weit, dass er 85 Priester in der Stadt Nob töten lässt, weil der Priester Ahimelech David bei der Flucht unterstützt. Nur ein Sohn Ahimelechs, der Priester Abjatar, kann dem Blutbad entkommen und schließt sich Davids Männern an. Als Samuel stirbt, hat Sauls Königreich weder einen Priester noch einen Propheten. Er hat den Draht zu Gott verloren. David aber hat einen Priester bei sich, befragt Gott und hört darauf, was er ihm sagt.
Und Gott sagt ihm offenbar etwas über seine Beziehung zu Saul, dem Verworfenen. Denn es fällt auf, dass David, ansonsten beileibe kein Pazifist, sich weigert, auf Mordversuche mit Mordversuchen zu reagieren. Die Möglichkeit dazu hätte er mehrfach. Das erste Mal in einer Höhle, in der David sich versteckt und Saul seine Notdurft verrichtet; das zweite Mal, als Saul im Lager bei seinem Heer schläft und David sich unbemerkt von den Kriegern an ihn heranschleichen kann – diese Episode wird heute in der Lesung erzählt. Doch obwohl seine Männer David zureden, den Verfolger endlich umzubringen, verschont David Saul. „Der Herr bewahre mich davor, meinem Gebieter, dem Gesalbten des Herrn, so etwas anzutun und Hand an ihn zu legen; denn er ist der Gesalbte des Herrn“, sagt David.
Kein Makel darf am auserwählten König sein
Doch auch David ist der Gesalbte des Herrn – und an dessen Händen soll offenbar kein Blut kleben, kein Makel sein. Das wird in der nebenbei erzählten Geschichte von David und Abigajil deutlich: David und seine Männer haben in der Wüste die Hirten und die Herde von Abigajils Mann Nabal aufgenommen. Als sie nun Brot und Wasser erbitten, weist Nabal sie ab. David will sich mit seinen Männern rächen und zieht los, um Nabal zu töten. Abigajil, die erkennt, dass ihr Mann ungerecht gehandelt hat, geht David entgegen und bringt ihm Nahrung. Sie bewahrt David davor, blutige Rache zu nehmen, und sichert seinen Anspruch auf den Königsthron: Der von Gott auserwählte König über Israel kann kein Mörder sein. „Der Herr wird meinem Herrn sicher ein Haus errichten, das Bestand hat, weil mein Herr die Kriege des Herrn führt, und man wird dir nichts Böses vorwerfen können, solange du lebst“, sagt sie zu David. Auch während seiner Zeit als Krieger im Heer der Philister kämpft David nicht gegen Israel. An der finalen Schlacht, in der Saul und sein Sohn Jonatan sterben (1 Samuel 31), ist David nicht beteiligt.
Kerstin Ostendorf