Pastorales Projekt in der Corona-Pandemie
Einsamkeit hat viele Gesichter
Nicht erst seit Corona fühlen sich immer mehr Menschen einsam und isoliert. Die Pandemie hat das noch verstärkt. Die Pfarreiengemeinschaft Meppen-Süd startet dazu ein neues pastorales Projekt.
Ganz allein steht der Mann auf einer Felsplatte in den Bergen – ein Foto, das viele Interpretationen zulässt. Das Bild ist auf der Internetseite der Pfarreiengemeinschaft Meppen-Süd zu sehen – kommentiert von einem anonymen Betrachter: „Was hat das vergangene Jahr mit mir gemacht? Hat mein Leben noch einen Sinn?“ Weitere Worte beziehen sich auf die Corona-Pandemie: „Mein Körper hat mir gezeigt, dass der Weg zwischen Intensivstation und Alltag sehr klein ist.“
Das Foto zählt zu den fast 30 Aufnahmen, die in diesen Tagen sowohl in der Meppener Propsteikirche als auch online ausgestellt werden. Kommentare dazu sind ausdrücklich erwünscht – und die machen nachdenklich: „Warum bin ich so allein?“ oder auch „Hilf mir, meine innere Stärke wiederzufinden.“
Die interaktive Aktion mit dem Titel „Gesichter und Impressionen der Einsamkeit“ ist der Auftakt zu einem neuen pastoralen Projekt in der Pfarreiengemeinschaft. Und das hat nicht nur mit Corona zu tun. „Der Blick auf die Demografie zeigt uns, dass auch in Meppen die Zahl der alleinstehenden und alleinlebenden Menschen immer mehr zunehmen wird“, sagt Gemeindereferent Stephan Wendt. Weil Partner sterben oder die Kinder wegziehen, weil eine Beziehung endet oder der Job immer mehr Flexibilität fordert, weil Krankheit oder Alter persönliche Treffen erschweren. „Aber erkennen wir auch immer Einsamkeit an einem Menschen, der uns begegnet?“, fragt sich Wendt.
Genau dafür möchte das pastorale Projekt sensibilisieren und den Blick schärfen – nicht nur kurzfristig für die Dauer einer Ausstellung. Daraus soll sich eine dauerhafte Haltung entwickeln, als Merkmal einer lebendigen Gemeinde mit der Botschaft: „Bei uns ist niemand allein!“
Dorothea W. (Name geändert) freut sich sehr darüber. Sie weiß, wie es sich anfühlt, allein zu sein. Vor eineinhalb Jahren ist überraschend ihr Ehemann gestorben. „Da ist für mich eine Welt zusammengebrochen.“ Eigentlich hatte sich das Paar darauf gefreut, am Ende des Arbeitslebens mehr Zeit für sich zu haben. Die Emsländerin hat in dieser schweren Zeit Familie und Freunde, die hinter ihr stehen, „aber mein Leben musste ich trotzdem neu ordnen“. Froh ist sie deshalb über das Trauer-Café, das Stephan Wendt bei der Stadtpastoral „Kirche in Meppen“ anbietet. „Da muss ich mich nicht erklären. Da sitzen Menschen, die meine Situation verstehen.“
„Das Schlimmste ist es, nichts zu machen“
Aber dann kommt im vergangenen Jahr Corona und vieles ist nicht mehr wie gewohnt möglich: kein Trauer-Café, kein Kartenclub, keine Sportgruppe. Manche Kontakte kann sie über Video oder Whatsapp halten. „Aber was machen diejenigen, die sich damit nicht so gut auskennen oder die Technik nicht haben?“, fragt sie sich und sorgt sich um jene, die jetzt wie abgeschnitten von allem allein zu Hause sitzen und deshalb nicht informiert sind über bestimmte Angebote. Zudem kommen digitale Gespräche per Kamera an ihre Grenzen, gerade bei Trauernden. „Aber das Schlimmste ist es, nichts zu machen“, sagt Dorothea W.
Das klingt wie ein Auftrag an die Arbeitsgruppe für das pastorale Projekt. Neben Stephan Wendt gehören Gemeindereferentin Carolin Moß und Pfarrgemeinderatsvorsitzender Dietmar Schäfer dazu. Sie entwickeln ein Konzept mit Ideen für mehrere Zielgruppen. Einiges läuft schon wie die „Trauer-Spätschicht“ in Kooperation mit Gemeindereferentin Petra Kleene an jedem letzten Montag in der Meppener Pauluskirche. Verteilt im Gotteshaus, mit Abstand und Maske, können sich Trauernde zwischen Impuls, Gebet und Segensbitte austauschen. Auch ein „Trauer-Telefon“ ist regelmäßig besetzt. Außerdem hoffen die Initiatoren, dass sie Trauerreisen, Wandern und Kochen mit Trauernden sowie Programme für Männer realisieren können. Dorothea W. würde sich einen Besuchsdienst nach der Beerdigung wünschen –„der Tiefpunkt kommt oft erst später“ – und Angebote auf Stadtebene.
Aber „Gesichter der Einsamkeit“ gibt es nicht nur unter Trauernden. Die Arbeitsgruppe denkt deshalb auch an monatliche Seniorengottesdienste und Hausbesuche, an regelmäßige Kirchencafés, an Chorproben besonders für Alleinstehende, an Kinoabende und Kunstaktionen, an Gemeindefahrten, Generationenprojekte und Friedhofsgespräche: wo ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin Zeit hat zum Reden und Hören. Manches wird wegen Corona erst später möglich sein, aber das Team will auf jeden Fall starten.
Nur eine Gruppe macht Stephan Wendt noch Kopfzerbrechen: die jungen Leute. Er weiß, dass Einsamkeit und Isolation natürlich auch sie betrifft. Mehr als bisher bekannt und durch Corona deutlich befeuert. „Aber darauf haben wir noch nicht wirklich eine Antwort“, sagt er.
Petra Diek-Münchow
Zur Sache
Das pastorale Projekt ist mit einer Ausstellung in der Meppener St.-Vitus-Propsteikirche gestartet. Dort und auf der Internetseite der Pfarreiengemeinschaft Meppen-Süd sind wechselnde Bilder zum Thema „Impressionen der Einsamkeit“ zu sehen. Jede Besucherin und jeder Besucher kann real und online seine Gedanken zu den Fotos aufschreiben. Falls die Corona-Situation es zulässt, sollen alle Aufnahmen mit den Anmerkungen ab Juni im Gemeindehaus St. Vitus zu sehen sein.