Zum Tod von Benedikt XVI.
Er war ein konservativer Reformer
Es ging Benedikt XVI. um etwas anderes als um Machterhalt und bloße Bewahrung des Alten; das begriffen viele erst bei seinem sensationellen Amtsverzicht. Doch nicht nur mit diesem Schritt hat er das Papsttum verändert.
Von Ludwig Ring-Eifel
Benedikt XVI. ist tot. Er war der erste deutsche Papst nach 482 Jahren; und er war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig auf sein Amt verzichtete. In die Geschichtsbücher eingehen wird der vormalige Theologieprofessor Joseph Ratzinger deshalb auch als ein Revolutionär.
Seit jenem 28. Februar 2013, an dem Benedikt XVI. als Papst zurücktrat, ist dieses Amt nicht mehr dasselbe. Von seinen Nachfolgern wird nun faktisch erwartet, dass auch sie zurücktreten, wenn sie zur Überzeugung kommen, dass ihre Kräfte nicht mehr reichen.
Benedikt XVI. hat das Papstamt also verändert. Ausgerechnet er, der sich stets bemühte, Brüche mit der Tradition zu vermeiden. Und er hat gezeigt, dass ein emeritierter und ein amtierender Papst einvernehmlich als Nachbarn im Vatikan leben können. Das gab es nie zuvor.
In seinen fast zehn Jahren als "Papa emeritus" gab es immer wieder Deutungen, die in ihm eine Art "Nebenpapst" sahen. Strittig war, ob seine Wortmeldungen nach dem Amtsverzicht dem zurückgezogenen Leben widersprachen, das er zu Beginn angekündigt hatte. Franziskus jedenfalls schien damit weniger Probleme zu haben. Noch Mitte Dezember sagte er in einem Interview, für ihn sei Benedikt XVI. ein Heiliger.
2019 sorgten Benedikts Ausführungen zum Missbrauchsskandal für Aufsehen, den er unter anderem als Folge der Sexuellen Revolution nach 1968 erklärte. Im Januar 2020 äußerte er sich zur Debatte um den Pflichtzölibat für Priester. Und noch im Februar 2022 sorgten unglückliche Aussagen zu seiner eigenen Rolle in einem Missbrauchsfall als Erzbischof in München für einen weltweiten Skandal; der Ex-Papst stand als Lügner da.
Was bleibt von den acht Jahren seiner Amtszeit und seinen zehn Jahren als Emeritus? Und was von dem Vierteljahrhundert als oberster "Dogmenwächter" in der Glaubenskongregation? Benedikt XVI. war kein Charismatiker. Der Auftritt vor Massenpublikum war nicht seine Stärke. Er war ein Papst des Wortes - ein Theologe auf dem Stuhl Petri. Selbst als Papst nahm er sich die Zeit, drei Bände über Jesus von Nazareth zu schreiben. Diese Bücher fanden mehr Beachtung als manch offizielles päpstliches Schreiben.
Im April 2005 hatte Joseph Ratzinger ein schweres Erbe angetreten. Der todkranke Johannes Paul II. (1978-2005) überließ den Vatikan in seinen letzten Jahren weitgehend seinen engsten Mitarbeitern. Vieles blieb liegen, manches wurde unter den Teppich gekehrt. Der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen durch Priester, ein Problem von systemischen Ausmaßen, wurde damals nur zögerlich angegangen. Es gehört zu den Verdiensten des deutschen Papstes, dass er hier klare Kante zeigte - auch wenn er der Skandale nicht Herr wurde.
Die Affäre um die Begnadigung des Holocaust-Leugners Richard Williamson, damals Bischof der Piusbruderschaft, brachte Benedikt XVI. 2009 viel Kritik in Kirche und Politik ein. Die "Vatileaks-Affäre" um den Diebstahl von Dokumenten durch den päpstlichen Kammerdiener im Frühjahr 2012 legte Missstände an der Kurie offen; Ursache für Benedikts Rücktritt waren diese Affären jedoch nicht.
Benedikt XVI. war sich bei seinem Amtsantritt bewusst, dass ihm angesichts seiner damals 78 Jahre nicht viel Zeit für größere Projekte bleiben würde. Vor der Herkulesaufgabe einer Kurienreform schreckte er, der das vatikanische Innenleben bestens kannte, zurück. Mit einer Ausnahme: Eine Reform des skandalumwitterten Finanzsektors des Heiligen Stuhls leitete er in die Wege.
Das theologische Programm seiner Amtszeit begann er mit der Kampfansage an eine "Diktatur des Relativismus". Benedikt XVI. wollte zeigen, dass der Mensch auch im 21. Jahrhundert nicht in weltanschauliche Beliebigkeit verfallen muss, sondern im unveränderlichen Glauben der Kirche Orientierung finden kann.
Zwiespältiges Verhältnis zwischen Deutschland und Benedikt XVI.
Das Verhältnis zwischen Benedikt XVI. und seiner deutschen Heimat blieb zwiespältig - auf beiden Seiten. Einerseits fühlte er sich Deutschland, vor allem Bayern, zutiefst verbunden. Und auch umgekehrt galt "Wir sind Papst"; nicht zuletzt seine drei Besuche in Deutschland zeugen davon. Andererseits sparte Benedikt XVI. nicht mit Kritik an einer wohlhabenden, oft beamtenhaft handelnden Kirche in Deutschland. Sie sei verweltlicht, so sein Vorwurf. - Er sei weltfremd, schallte es aus den Reihen des deutschen Katholizismus zurück.
War nun Benedikt XVI. wegen seiner vergleichsweise kurzen Amtszeit von acht Jahren im Rückblick nur ein "Übergangspapst"? Diese Einordnung passt aus zwei Gründen nicht: Zum einen, weil er bereits das sehr lange Pontifikat seines polnischen Vorgängers entscheidend mitprägte. Er war dessen theologischer Vordenker und Richtschnur. Und auch im Pontifikat von Papst Franziskus war er stets präsent.
Franziskus selbst sah in ihm den hoch verehrten Vorgänger, der manche Reformen eingeleitet hatte, die er nun vollendete. Für andere war Benedikt eher die Hintergrundfolie, die dunkle Gestalt des Konservativen und des aus der Zeit Gefallenen, vor der das reformfreudige Franziskus-Pontifikat umso heller strahlte. Dem deutschen Theologieprofessor auf dem Papstthron werden beide Sichtweisen nicht gerecht.
kna