Der Natur auf der Spur (7)
Erlebnisraum für Mensch und Natur
Foto: Petra Diek-Münchow
Ulrich Meyer-Spethmann stützt sich auf seinen Spaten und schaut sich im Garten der Michaeliskirche in Klausheide um. Vor ihm blühen Klatschmohn, Lichtnelken und Königskerzen – eine Wildblumenwiese, über der Schmetterlinge und Bienen tanzen. Hinter ihm sieht es noch etwas anders aus: ein kleiner Dschungel aus Sträuchern, Gräsern und Brennnesseln. „Da wartet noch viel Arbeit auf uns“, sagt der Biologe.
Aber es scheint so, als freue er sich eher darauf statt darüber zu klagen. Bis Ende des Jahres soll hier, mitten in dem Nordhorner Ortsteil, ein neues Refugium entstehen: für Tiere, Pflanzen und die Menschen, die hier wohnen. „Ein richtiger Treffpunkt für das ganze Dorf und die Ökumene“, sagt Meyer-Spethmann. Denn die Michaeliskirche ist eines der wenigen Gotteshäuser in Deutschland, die von Lutheranern, Katholiken und reformierten Christen gemeinsam genutzt wird.
Wenn Ulrich Meyer-Spethmann „von uns“ spricht, meint er allerdings derzeit mehr die Umweltgruppe der lutherischen Christus- und Kreuz-Kirchengemeinde in Nordhorn, Besitzer und Träger der Michaeliskirche. Dieser sechsköpfige Arbeitskreis mit ihm als Sprecher treibt seit Monaten die naturnahe Umgestaltung des 3000 Quadratmeter großen Kirchengrundstücks in Klausheide voran. „Grüner Hahn“ nennt sich das Team – genau wie eine Initiative der evangelischen Kirche für ein systematisches Umweltmanagement in Kirchengemeinden. Die Nordhorner folgen diesen Leitlinien, setzen sich für Energieeinsparungen, weniger Ausstoß von Kohlenstoffdioxid und mehr Artenschutz ein. Und sie lassen sich in einem Zertifizierungsverfahren dabei regelmäßig überprüfen. „Wir dürfen uns damit als umweltfreundliche Kirchengemeinde bezeichnen, die sich der Schöpfungsbewahrung verpflichtet fühlt“, sagt Meyer-Spethmann.
Das Projekt „Michaelisgarten“ ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, die biologische Vielfalt auf kirchlichen Flächen zu verbessern. Auch wenn Ehrenamtliche fleißig mit anpacken, 40 000 Euro werden die Rodungs- und Bauarbeiten, neue Sträucher, Pflanzen, Saatgut und anderes Material kosten. Zuschüsse gibt es laut Meyer-Spethmann vom Land Niedersachsen im Dorfentwicklungsprogramm und von der Landeskirche. Den größeren Rest „müssen wir als Gemeinde stemmen“, sagt er und hofft dabei auf Spenden für das Vorhaben.
Wir dürfen uns als umweltfreundliche Kirchengemeinde bezeichnen.
Und das umfasst ein lange Liste verschiedener Arbeiten, für die die Meppener Biologin Jutta Over ein Konzept vorgeschlagen hat. Sie betrachtet Kirchen als traditionelle Zufluchtsorte, nicht nur für Menschen. „Diesen Gedanken können wir auf andere Geschöpfe Gottes ausdehnen. Viele Tier- und Pflanzenarten sind heute in Bedrängnis“, erklärt sie. „Gerade das Grundstück einer Kirche sollte deshalb Zufluchtsort auch für andere Lebewesen sein.“
Was alles geplant und in Teilen schon realisiert ist? Ulrich Meyer-Spethmann geht mit dem Entwurf durch den Garten und zeigt einiges davon. Neben der Kirche sind neue Beete mit Kräutern und heimischen Stauden angelegt worden, aus denen künftig Blumenschmuck für die Kirche gebunden werden könnte. An der Ostseite gibt es bereits eine Magerwiese mit Hundsveilchen und Borstgras, die es langfristig zu erhalten gilt – und aus dem Rasen an der Südseite soll dauerhaft einer Blumenwiese mit reichlich Nahrung für Insekten werden.
Viel passiert ist bereits in dem Wäldchen am Rand des Gartens: eine Fläche, die zuvor von Kiefern, Laubgehölzen und vor allem der Spätblühenden Traubenkirsche dominiert war. „Die verdrängt aber unsere heimischen Sträucher“, sagt Meyer-Spethmann. Rodungsarbeiten haben nun Platz gemacht für Weißdorn und Schlehe, Schneeball und Felsenbirne, die hier ab Herbst gepflanzt werden sollen. Das anfallende Schnittgut baut die Umweltgruppe in „Benjeshecken“ ein. So heißen die Reisigwälle, die an den Grenzen des Grundstücks Nistplätze und Nahrung für Zaunkönig und Rotkehlchen bieten.
Der „Michaelisgarten“ soll künftig aber auch zu einem Erlebnisraum für die Menschen werden: wo man sich trifft und miteinander plaudert, wo man durchatmet und zur Ruhe kommt. Und wo man beim Blick aus der Kirche oder von der Terrasse des Gemeindehauses Vögel und Insekten beobachten oder einfach den Blick ins Grüne im Wechsel der Jahreszeiten genießen kann. Dazu wird es mehrere Bänke und einen Pfad mit verschiedenen Requisiten geben: morsche Stammstücke für Wildbienen, Totholz für Käfer oder Steinhaufen für Eidechsen. „Wir hoffen, dass hier wieder mehr Leben einkehrt“, sagt Meyer-Spethmann und meint damit nicht nur die Artenvielfalt. Sondern auch, dass die „kleinen und großen Leute in Klausheide“ dieses Stückchen Natur und Landschaft als „ihren besonderen Garten im Dorf“ schätzen lernen.
Deshalb freut er sich, wenn die Grundschule oder der Kindergarten kommen und bei der Umgestaltung mithelfen. Wie bei dem großen Insektenhotel vor der Kirche, an dem Jungen und Mädchen an diesem Vormittag schon eifrig gebastelt haben. Ganz fertig ist es noch nicht. Deshalb tauscht Ulrich Meyer-Spethmann den Spaten gegen die Bohrmaschine und macht weiter. Es gibt noch viel zu tun.
Eine Kirche – drei Konfessionen
Die lutherische Michaeliskirche in Klausheide, einem zur Stadt Nordhorn gehörenden Ort, ist 1960/61 gebaut worden. Viele Jahre diente sie sowohl den lutherischen als auch den reformierten Christen als Gottesdienstraum. Seit der Entwidmung der St.-Ludgerus-Kirche in Klausheide 2009 finden zusätzlich auch die katholischen Gottesdienste in der Michaeliskirche statt. Ein früheres Fenster aus dem 2011 abgerissenen Gotteshaus befindet sich als Erinnerung und Zeichen ökumenischer Verbundenheit in der Michaeliskirche.