Vertuschungen rund um sexuellen Missbrauch aufdecken

Ermittlungen im Bistumsarchiv

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Kurt Schrimm war Leitender Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Im Auftrag des Bistums ist er seit einem Jahr dabei, Licht in die Vorwürfe gegen Bischof Heinrich Maria Janssen zu bringen und mögliche Vertuschungen rund um sexuellen Missbrauch aufzudecken.


Zwei Tage die Woche begibt sich Kurt Schrimm auf Spurensuche
ins Bistumsarchiv. Sein Ermittlungsschwerpunkt sind die
Missbrauchsvorwürfe in der Zeit von Bischof Heinrich Maria Janssen.

Akribisch blättert Kurt Schrimm die Akten durch – Personalakten, Ortsakten von Pfarrgemeinden, Vorgangsakten. „Ich glaube, man hat mich ausgewählt, weil ich mich mit alten Akten auskenne und mit der Befragung älterer Menschen“, sagt der Jurist, denn viele Opfer sexueller Gewalt in der Kirche sind heute alt, weiß Schrimm.

Sicherlich kommt ihm beim Aktenstudium seine langjährige Erfahrung zugute, die er mit der Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen verbracht hat (siehe Buchtipp). Doch diesmal gilt es nicht Naziverbrechen aufzudecken, sondern sexuellen Missbrauch durch Priester und Mitarbeiter des Bistums Hildesheim in der Bischofszeit von Heinrich Maria Janssen, also zwischen 1957 und 1982. Ebenso soll Schrimm danach schauen, ob bei Fällen sexuellen Missbrauchs in dieser Zeit irgendetwas vertuscht wurde.

Akte für Akte aus der Zeit Heinrich Marias wandert durch seine Hände. „Anfangs habe ich noch alle Akten komplett gelesen, von vorne bis hinten. Inzwischen erkenne ich sehr schnell, welche Aktenteile für unsere Arbeit in Betracht kommen und welche für uns uninteressant sind“,  erzählt Schrimm.
 


Was werden diese Personalakten an neuen Erkenntnissen
zu Tage fördern?

Viele Akten, die er sich vornimmt, wurden schon einmal oder sogar mehrmals durchgearbeitet, nur unter anderen Gesichtspunkten. „Mich interessieren Tatzeiten, Tatorte, Tatvorgehensweise, wenn sexuelle Belästigungen vorliegen sollten, in welcher Art und Weise auch immer“, erklärt der erfahrene Ermittler. Ihm geht es darum herauszufinden, ob sich an einem Ort, zu einem Zeitpunkt oder in einer Vorgehensweise möglicherweise die Fälle häufen. „Und so zu erkennen, dass dies eventuell nicht eine Einzeltat ist, sondern eine Struktur dahinter steckt“, beschreibt der ehemalige Oberstaatsanwalt seine Arbeit.

Regelmäßig trifft sich die unabhängige Expertengruppe

Schrimm ist froh darüber, dass er nicht komplett allein arbeitet und sich die unabhängige Expertengruppe regelmäßig trifft. „Wir sind zu dritt: Das IPP, das Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München, ist schwerpunktmäßig für die Befragungen von Opfern, Tätern und Zeugen zuständig, die Obfrau der unabhängigen Expertengruppe, Antje Niewisch-Lennartz, koordiniert das Ganze. Und ich arbeite mich durch die Aktenberge – auch auf Zuruf für die anderen.“ Für Schrimm war das Aktenstudium im Bistumsarchiv eine große Umstellung. „Es gab damals in der katholischen Kirche noch keine verbindliche Aktenführung. Vieles muss ich mir deshalb heute aus anderen Akten zusammensuchen, wenn ich auf einen kleinen Hinweis stoße. Da waren wir bei der Staatsanwaltschaft doch wesentlich besser aufgestellt“, erläutert Schrimm. Inzwischen habe sich das auch bei der Kirche geändert. Da gebe es seit vielen Jahren klare Vorgaben für die Aktenführung.
 


Akribisch arbeitet der ehemalige Leitende Oberstaatsanwalt die Akten durch und macht sich dazu Notizen.

Alles Auffällige, was er in den alten Akten findet, wird genau notiert. „Das muss dann noch ausgewertet werden und kommt in den Abschlussbericht. Eigentlich wollten wir den nach einem Jahr vorlegen, doch bei der Masse an Akten werden wir wohl noch etwas Zeit brauchen.“ Dabei weist er darauf hin, dass es unmöglich sein wird, die schier endlose Zahl der Ortsakten aus den Pfarrgemeinden systematisch durchzuarbeiten. „Da schaue ich nur ganz gezielt nach, wenn ich in einer der anderen Akten einen Hinweis finde“, gibt Schrimm Auskunft.

Eine vollständige Aktenuntersuchung wird in den Augen Schrimms nicht möglich sein. „Nehmen wir nur einmal das Beispiel Bernwardshof, der auch im Zusammenhang mit Bischof Heinrich Maria genannt wurde. Da gibt es sieben, acht mit Akten gefüllte Kisten. Davon sind für uns vielleicht ein Prozent interessant, und die muss ich erst einmal finden“, sagt  er. Mitgerechnet sind da noch nicht die Meter von Schülerakten, in denen es vor allem um schulische Leistungen geht.

„Um es auf den Punkt zu bringen: Mein größtes Problem ist, aus den vorhandenen Aktenbergen die richtigen Akten herauszufinden“, betont der Jurist. Froh ist er darüber, dass ihn die Mitarbeiter des Bistumsarchivs unterstützen. „Wenn ich eine Akte haben möchte, wird sie mir postwendend geholt.“

„Mir werden keine Akten vorenthalten!“

Schrimm lobt die offene und transparente Atmosphäre. „Ich bekomme, was ich haben will, und habe nicht den Eindruck, dass mir irgendwelche Akten oder Teilakten vorenthalten werden. Für dieses freie Arbeiten bin ich der Bistumsleitung dankbar, besonders Bischof Wilmer.“

Dass Schrimm evangelisch und nicht katholisch ist, hält er bei dieser Arbeit für einen Vorteil. „Dadurch habe ich die nötige Distanz. Ich habe in dieser Zeit schon sehr viel über die katholische Kirche gelernt und kenne mich in ihr inzwischen besser aus als in der evangelischen Kirche“, meint er.

Manchmal, wenn das Gelesene für den geschichtsinteressierten Schrimm spannend ist, liest er schon mal weiter, auch wenn das nichts mit dem konkreten Auftrag zu tun hat. „Ich bin von klein auf geschichtsinteressiert. Und diese Akten sind Zeitdokumente, die das damalige Leben widerspiegeln. Da kann es schon einmal passieren, dass ich etwas abtrifte“, verrät Schrimm.

Edmund Deppe