Erzbischof Stefan Heße bietet dem Papst seinen Amtsverzicht an
Wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Studie zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt an jugendlichen Schutzbefohlenen im Erzbistum Köln gibt Erzbischof Stefan Heße in Hamburg eine Presseerklärung ab.
Nach der Vorstellung eines belastenden Missbrauchsgutachtens im Erzbistum Köln hat der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten. "Um Schaden vom Amt des Erzbischofs sowie zum Erzbistum Hamburg abzuwenden, biete ich Papst Franziskus meinen Amtsverzicht an und bitte ihn um die sofortige Entbindung von meinen Aufgaben", sagte er in einer live im Internet übertragenen persönlichen Erklärung am Donnerstagabend in Hamburg.
Damit ist der 54-Jährige der erste deutsche Diözesanbischof, der bereit ist, persönliche Verantwortung im Missbrauchsskandal zu übernehmen. Zuvor hatte bereits der Kölner Weihbischof und frühere Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) seinen Rücktritt angeboten. Heße ist seit 2015 Erzbischof von Hamburg und war zuvor ab 2006 Personalchef und von 2012 bis 2015 Generalvikar im Erzbistum Köln.
"Ich bedauere sehr, wenn ich durch mein Handeln, beziehungsweise durch mein Unterlassen Betroffenen und Angehörigen neuerliches Leid zugefügt habe", erklärte Heße. "Ich habe mich nie an Vertuschung beteiligt." Dennoch sei er bereit, seinen Teil der Verantwortung für das Versagen des Systems zu tragen.
Heße betonte, in seinen Ämtern stets "nach bestem Wissen und Gewissen" gehandelt zu haben. Er habe mit vielen von Missbrauch Betroffenen Gespräche geführt und sie zu verstehen versucht. "Bei allem war und ist mir bewusst, dass ich dabei Fehler gemacht habe." Dies werde ihm erst recht mit dem Blick von heute klar.
Das am Donnerstagmorgen präsentierte Gutachten der Kölner Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger attestiert Heße in seiner Kölner Zeit elf Pflichtverletzungen in neun Aktenvorgängen. Konkret soll er versäumt haben, kirchliche Verfahren zur Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen einzuleiten und mehrere Fälle nicht an die Staatsanwaltschaft oder an den Vatikan gemeldet haben.
Neben Heße und Schwaderlapp belastet die Studie auch den früheren Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff (81) und den Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher (69), sowie die bereits verstorbenen Erzbischöfe Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017). Den amtierenden Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki (64), der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, treffen laut der Untersuchung keine Vorwürfe. In keinem einzigen Fall attestieren die Gutachter den Verantwortlichen Strafvereitelung im strafrechtlichen Sinn.
Als erste Reaktion auf die Präsentation entband Woelki Weihbischof Schwaderlapp und Assenmacher von ihren Aufgaben. Am Dienstag will er sich zu weiteren Konsequenzen äußern.
Nach Bekanntwerden erster Vorwürfe hatte Heße bereits im November vergangenen Jahres den Vatikan über die Anschuldigungen informiert. Eine Entscheidung über die Zukunft des Erzbischofs traf man dort bislang nicht. Zugleich ließ Heße sein Amt als Geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ruhen.
Weihbischöfe und Bischöfe können in der katholischen Kirche nicht von sich aus zurücktreten. Dem Kirchenrecht gemäß müssen sie Rom ihren Amtsverzicht anbieten. Dann entscheidet der Vatikan, ob er dieses Angebot annimmt.
Am 18. März um 17.15 Uhr hat Erzbischof Stefan Heße folgende Erklärung abgegeben. Sie ist auf https://youtu.be/8ZU9KGzitM8 zu sehen.
Text u. Foto: kna
Persönliche Erklärung von Erzbischof Dr. Stefan Heße
Sehr geehrte Damen und Herren,
Professor Gercke hat vor wenigen Stunden seine Untersuchung für das Erzbistum Köln zum Umgang mit sexueller Gewalt der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ich habe von Anfang an betont, dass ich die Aufarbeitung sexueller Gewalt im Erzbistum Köln ausdrücklich begrüße und konstruktiv unterstütze. Das galt für die Münchner Untersuchung und das gilt auch für die heute veröffentlichte Untersuchung von Professor Gercke. Da die Vorgänge zum Teil schon viele Jahre zurückliegen und ich nicht über eigene Akten dazu verfüge, erachte ich eine derartige Aufarbeitung für mein eigenes Handeln als sehr bedeutsam, weil es mir heute wie in einem Spiegel mein damaliges Tun vor Augen führt. Ein solcher externer Blick auf die einzelnen Fälle und das gesamte System ist für jede Aufarbeitung unverzichtbar.
Ich habe in meinen verschiedenen Verantwortlichkeiten bei der Aufklärung von sexueller Gewalt in der Kirche immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ich habe diese schwierige Aufgabe aus der Überzeugung angenommen, dass wir als Institution und ich als Person die Pflicht haben, den Betroffenen Gehör zu verschaffen, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und die systemischen Ursachen des sexuellen Missbrauchs aufzubrechen.
Aus dieser Verantwortung heraus habe ich viele Gespräche mit Betroffenen geführt, ihnen aufmerksam zuzuhören und sie zu verstehen versucht. Bei allem war und ist mir bewusst, dass ich dabei Fehler gemacht habe – denn niemand ist fehlerfrei, auch ich nicht. Erst recht mit dem Blick von heute werden mir damalige Fehler bewusst.
Nun liegt die Studie für alle auf dem Tisch. An ihren Feststellungen kann und will ich nicht vorbei. Ich habe die damalige Verantwortung bewusst übernommen und immer gesagt, dass ich mich den Untersuchungen stellen werde.
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Übernahme von Verantwortung Teil unserer Aufgabe ist, um dieses dunkle Kapitel bestmöglich aktiv zu bearbeiten und für alle, zuerst die Betroffenen selber, in eine bessere Zukunft zu kommen. Ich habe mich nie an Vertuschung beteiligt. Ich bin dennoch bereit, meinen Teil der Verantwortung für das Versagen des Systems zu tragen.
Ich muss und will die Konsequenzen aus meinem damaligen Handeln und letztlich damit auch aus den mir zur Last gelegten Pflichtverletzungen ziehen. Ich bedaure sehr, wenn ich durch mein Handeln bzw. mein Unterlassen Betroffenen und ihren Angehörigen neuerliches Leid zugefügt haben sollte.
Vor wenigen Tagen konnte ich den Jahrestag meiner Bischofsweihe am 14. März 2015 hier in Hamburg begehen. Papst Franziskus hat mich in dieses Amt berufen. Um Schaden vom Amt des Erzbischofs sowie vom Erzbistum Hamburg abzuwenden, biete ich Papst Franziskus meinen Amtsverzicht an und bitte ihn um die sofortige Entbindung von meinen Aufgaben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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