Interview mit dem Antisemitismusbeauftragten Felix Klein

"Es gibt in Deutschland ein blühendes jüdisches Leben"

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Im Kampf gegen Antisemitismus wollen Juden keine "Sonntagsreden" mehr hören. Im Interview stellt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nationale und internationale Maßnahmen vor. 

Foto: kna/Julia Steinbrecht
Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein: Jüdisches Leben in Deutschland ist im Aufschwung. Foto: kna/Julia Steinbrecht

Herr Klein, im vergangenen Jahr gab es 1.839 Hassdelikte gegen Juden, so viele wie nie zuvor.
Ein Großteil dieser Straftaten findet im Internet statt und ist rechtsradikal motiviert. Vielfach handelt es sich um Relativierung und Leugnung des Holocaust, Volksverhetzung und Beleidigung. Festzustellen ist dabei insgesamt eine wachsende Verrohung und Enthemmung. Ein anderer Grund für den Anstieg ist ein erhöhtes Anzeigeverhalten. Das ist wiederum zu begrüßen, denn nur, wenn Anzeigen gestellt werden, kann auch ermittelt werden.
 

Nicht erst seit dem Anschlag von Halle wollen viele Juden keine "Sonntagsreden" mehr hören und verlangen konkrete Maßnahmen für mehr Sicherheit. Wie können die aussehen?
Der Bund hat bereits einige Maßnahmen erfolgreich auf den Weg gebracht. Hier ist Paragraf 46, Absatz 2 Strafgesetzbuch zu nennen, der jetzt auch antisemitische Motive als Begründung für eine Strafverschärfung ausdrücklich aufnimmt. Das halte ich für sehr wichtig, weil es handlungsleitend auf Staatsanwälte und Richter wirkt. Weiterhin ist gut, dass jetzt die Internetkriminalität besser bestraft werden kann - dadurch, dass die Internetplattformen verpflichtet werden, die Identität derer preiszugeben, die Hass und Hetze verbreiten. Eine weitere Maßnahme ist, das Verbrennen von Fahnen generell unter Strafe zu stellen.


An was denken Sie da noch?
Ich bin der Ansicht, dass der Straftatbestand der Volksverhetzung verschärft werden muss. Und ich setze mich dafür ein, dass antisemitische Straftaten insgesamt rascher und konsequenter geahndet werden. Wir müssen also dafür sorgen, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte personell angemessen ausgestattet werden. Da sind die Länder gefordert. Und ich hoffe, dass mit der Errichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften eine höhere Sensibilität geschaffen wird.
 

Was kann abseits der Politik getan werden? Es gibt das Projekt «Meet a Jew» des Zentralrats der Juden, um bei einem Treffen überhaupt erst einmal in Kontakt mit Juden zu kommen und ihren Alltag kennenzulernen.
Es ist schön, dass wir es heute mit einer selbstbewussten jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu tun haben, die sich öffnet und Interessierte zur Begegnung einlädt. Projekte wie "Meet a Jew" oder "Likrat", bei dem jüdische Schüler anderen Jugendlichen Einblicke in ihr Leben, ihre Vorlieben und Gewohnheiten gewähren, schaffen Verständnis und Berührungspunkte. Neben Aufklärung ist Begegnung ein Schlüssel im Kampf gegen Antisemitismus.


Wer kann sich noch einbringen?
Kirchen, Gewerkschaften und Parteien. Genauso wichtig ist mir, dass wir eine empathische Erinnerungskultur entwickeln.


Antisemitische Taten beziehungsweise Bedrohungen kommen von Rechts, Links und von Muslimen. Welche Rolle spielt in letzterem Fall der interreligiöse Dialog?
Er ist in jedem Fall wichtig, weil er dazu beiträgt, Vorurteile abzubauen. Und er richtet sich ja auch an Multiplikatoren wie Imame, Rabbiner, Priester und Pfarrer, die in ihre Gemeinden wirken. Wir brauchen aber auch Gesprächsformate außerhalb des theologischen Feldes. Da gibt es sehr gute Ansätze.


Es gibt in Deutschland die Bund-Länder-Kommission der jeweiligen Antisemitismusbeauftragten. Was steht dort als nächstes an?
Bei unserer nächsten Sitzung am 18. Mai werden wir darüber sprechen, wie der Umgang mit Antisemitismus und Rassismus als fester Bestandteil der Lehrerausbildung verankert werden kann. Wir werden uns darum kümmern, die Arbeitsdefinition Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) weiter zu verbreiten. Denn wenn wir das Problem lösen wollen, müssen wir es einheitlich definieren. Wo liegen die Grenzen dessen, was man sagen darf? Und wir werden uns darum kümmern, die Sensibilität von Juristen zu erhöhen. Es gab viel zu viele Urteile und Entscheidungen, die aus meiner Sicht ein Bewusstsein dafür vermissen lassen, in welchem historischen Kontext wir leben.


In diesem Jahr hat Deutschland die Möglichkeit, noch stärker auf internationalem Parkett im Kampf gegen Antisemitismus Impulse zu setzen. Seit März hat Deutschland den Vorsitz der IHRA inne, und ab Sommer wird es die EU-Ratspräsidentschaft sein.
Die Erwartungen an unsere beiden Präsidentschaften sind hoch. Die IHRA wollen wir bekannter machen, um ihr auch eine stärkere politische Bedeutung zu geben. Sie sollte sichtbarer werden und ihre moralische Autorität stärker dafür nutzen, internationale Impulse in der Erinnerungskultur zu setzen.

 

Und die EU-Ratspräsidentschaft?
Wir wollen, dass alle EU-Mitgliedstaaten die IHRA-Definition verabschieden. Ich erhoffe mir zudem, dass wir ein europäisches Forum auf den Weg bringen wie wir es mit der Bund-Länder-Kommission in Deutschland haben.


Sie sind auch der Bundesbeauftragte für jüdisches Leben...
Es gibt in Deutschland noch immer ein blühendes, im Aufschwung befindliches jüdisches Leben. Ich finde, dass die Gesellschaft das heutige jüdische Leben noch viel stärker in den Blick nehmen sollte. Wir haben vor kurzem eine neue Synagoge in Konstanz eröffnet, die Wiedereröffnung der Synagoge in Lübeck steht kurz bevor. Juden kommen gerne, um in Deutschland zu leben, vor allem aus Israel.


Wie bewerten Sie das?
Das ist eine großartige Entwicklung. Dass Juden Vertrauen in unser Land haben, ist nach dem Horror der Schoah etwas ganz Besonderes. Wir sollten diese Vielfalt noch erfahrbarer machen durch jüdische Kulturtage, Ausstellungen und gemeinsame Feste. Im kommenden Jahr haben wir Gelegenheit dazu: Wir feiern 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Dazu wird es auch eine Sonderbriefmarke geben, wir planen das weltgrößte Laubhüttenfest und zum Beispiel einen Gastronomieführer.
 

Wie sieht denn jüdisches Leben abseits der Großstädte aus?
Das sogenannte Landjudentum existiert in vielen Gegenden heute nicht mehr. Es gibt aber sehr gute Initiativen - getragen oftmals von Nichtjuden. Im mecklenburgischen Stavenhagen etwa hat ein Verein dafür gesorgt, dass die dortige Synagoge wieder restauriert wurde. Die Mitglieder organisieren nun kulturelle Veranstaltungen sowie Begegnungen mit Schulklassen, um über jüdisches Leben zu informieren. Von diesen Initiativen brauchen wir mehr.
 

Jüdische Gemeinden sind natürlich auf Nachwuchs angewiesen.
Sie bemühen sich mit attraktiven Angeboten auch um die Jüngeren. Die demografische Entwicklung wirkt sich hier genauso aus wie in den Kirchen. Es gibt in Deutschland etwa 100.000 Juden, die in Gemeinden aktiv sind. Es gibt aber sicher noch einmal genauso viele Juden, die dort nicht registriert sind. Und um die bemühen sich die Gemeinden. Oftmals kommen solche Menschen wie bei den Christen auch nur an hohen Feiertagen ins Gotteshaus.

kna