Interview mit Ingrid Brodnig zum Thema "Hass im Netz"

„Es ist ganz wichtig, dass die Opfer nicht alleine bleiben“

Image
34_Ingrid_Brodnig_Credit_Ingo_Pertramer.jpg

„Hass im Netz“ lautet der Titel eines Buches, das Ingrid Brodnig geschrieben hat. Seit Jahren befasst sie sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft. Brodnig gibt Tipps, wie Nutzer mit Anfeindungen in sozialen Netzwerken umgehen können.

Wie können Facebook-Nutzer mit beleidigenden Kommentaren und Äußerungen umgehen?

Gerade im kirchlichen Bereich ist das Problem sehr groß, denn dort gibt es sehr viele soziale Aktivitäten für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, etwa für Flüchtlinge. Das führt dazu, dass Menschen hier unglaublich viel Wut abbekommen von anderen, die der Meinung sind, dass Flüchtlingen nicht geholfen werden sollte.

Ingrid Brodnig ist eine österreichische Autorin und Journalistin. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und hält zahlreiche Vorträge und Workshops ab.
Ingrid Brodnig ist eine österreichische Autorin und Journalistin. Sie beschäftigt
sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und hält
zahlreiche Vorträge und Workshops ab.
Foto: Brandstätter Verlag/Ingo Pertramer

Ich würde die Frage in zwei Teile aufteilen: Was kann ich tun, wenn ich selbst von Hass betroffen bin? Das kann zum Beispiel passieren, wenn ich mich in meiner Gemeinde für Flüchtlinge engagiere, und jemand davon erfährt, der Flüchtlinge total ablehnt. Dadurch kann es zu Drohungen oder Beleidigungen kommen. Der erste Schritt ist, alles zu dokumentieren, was hasserfüllt oder wütend an Sie gerichtet wird. Es kann sein, dass ein Aggressor seinen extrem bösartigen „Post“ danach wieder löscht. Wenn Sie es nicht dokumentiert haben, dann können Sie das nur schwer belegen. Deshalb machen Sie Bildschirmfotos, in denen auch der Kontext klar erkennbar ist, sodass auch ein Richter nachvollziehen kann, was passiert ist. Das ist auch wichtig für einen selbst, denn zum Glück vergisst man Beleidigungen auch wieder. Wenn ich dann von einem User nach drei Monaten erneut angegangen werde, kann ich nachvollziehen, was er damals genau geschrieben hat.

Das Zweite ist: Bleiben Sie nicht allein damit! Schreiben Sie Ihre Freunde und Bekannten in privaten Chats an und machen Sie darauf aufmerksam, was passiert und senden Sie einen Link zu dem, was gepostet wurde. Es ist ganz wichtig, dass das Opfer merkt, dass es nicht alleine ist. Freunde und Bekannte können den Rücken stärken und einem beistehen. Denn auch wenn man ein selbstbewusster Mensch ist, nagt es an einem, wenn jemand einem ein Recht auf Leben abspricht, oder einen ständig versucht niederzumachen.

Man kann sich auch überlegen, die Beleidigungen auf Facebook öffentlich zu thematisieren. Das muss der Betroffene immer selbst entscheiden. Meine Erfahrung ist: Es tut gut, wenn man öffentlich darüber redet. Wenn ich es anspreche, zeige ich auch, dass ich mich nicht mundtot machen lasse. In solchen Fällen gibt es oft Solidarität.

Es empfiehlt sich, dem Lebensgefährten oder einer guten Freundin den Zugang zum Profil zu geben, damit die Person die Kommentare für einen liest, das löscht, was gelöscht werden muss, und dokumentiert, was vielleicht klagbar ist. Betroffene neigen dazu, Beleidigungen immer wieder zu lesen. Ihre Gedanken kreisen um nichts anderes mehr. Da ist es gut, wenn jemand, dem man sehr vertraut, das für einen erledigt, und man sich nicht selbst dauernd damit beschäftigt. Denn genau das wollen Aggressoren, sie wollen einem Energie rauben, und dass man sich hauptsächlich mit den Beleidigungen beschäftigt und nicht mit dem, was einem eigentlich wichtig ist.

Wann macht es Sinn, einen Anwalt einzuschalten?

Wenn etwas justiziabel ist, dann bitte unbedingt klagen. Wir brauchen solche Fälle, weil sie eine Signalwirkung haben, damit Menschen sehen, dass sie einer Frau zum Beispiel nicht einfach schreiben können, sie sei eine Hure und gehöre vergewaltigt. Dafür haben wir unsere Gesetze und da gibt es in Deutschland etwas sehr Gutes: „Hate-Aid“. Es ist eine Ratgeber-Plattform für Opfer von digitalem Hass. Sie unterstützen auch bei der Finanzierung von Prozesskosten. Man muss nicht alles im Alleingang lösen.

Empfiehlt es sich auch zu kontern?

Wenn ich kontern will, gibt es ein paar Tricks: Leute die sich gegen Rassismus aussprechen, werden oft selbst von rassistischen Kommentaren zugemüllt. Genau das kann ich thematisieren und darauf hinweisen, dass der hasserfüllte Kommentar ein Beleg für das Problem ist. Eine weitere Möglichkeit ist, mit Humor zu antworten. Das passt nicht immer, und nicht jeder hat einen guten Schmäh parat, aber mit Humor kann ich sehr souverän auftreten und zeigen, dass die Beleidigungen an mir abprallen. Oft führt das auch die Absurdität einer Aussage vor. Was kann ich als Beobachterin oder Beobachter von Beleidigungen tun? Ich sollte nicht auf jede Provokation im Netz einsteigen, aber ich glaube schon, dass man nicht alles stumm hinnehmen sollte. Besonders, wenn ein Post dazu geeignet ist, Menschen wirklich fertig zu machen. Ich werde aggressive Menschen nicht mit drei Kommentaren umstimmen können. Es ist wichtig, realistische Ziele zu setzen. Ich kann ab und zu zeigen, dass ich finde, dass es eine gewisse Umgangsmentalität braucht und dass gewisse Untergriffe nicht in Ordnung sind. Das kann jeder machen. Wenn ich finde, dass jemand ungerecht behandelt wird, kann ich genau das schreiben. Dadurch stärke ich dem Opfer den Rücken und es ist auch ein Signal an andere Mitlesende.

Lohnt es sich, auf Diskussionen einzugehen?

Bei gewissen Streitthemen fallen extrem harte und menschenverachtende Kommentare. Da kann ich noch einmal dagegen halten. Noch einmal schreiben: Ich finde es wichtig, dass Deutschland Menschen hilft, die in Not geraten sind, die in ihrer Heimat Verfolgung oder den Tod fürchten müssen. Dabei geht es darum, Mitlesenden zu zeigen, dass es auch Menschen gibt, die anders ticken. Wenn man dann angefeindet wird, ist es oft sinnvoll, sich nicht auf jede Diskussion einzulassen. Man muss nicht jedem antworten. Beziehen Sie ruhig Stellung, aber versuchen Sie nicht, alles auszudiskutieren, denn das wird Ihnen nicht gelingen. In Deutschland gibt es sehr gute Initiativen, zum Beispiel die Facebook-Gruppe #ichbinhier. Sie hat dieses Stellung-Beziehen auf ein professionelles Level gehoben, bei dem jeder mitmachen kann. Es gibt viele Menschen, die das Bedürfnis haben, etwas zu verändern, und #ichbinhier hat ein sinnvolles Format dafür geschaffen. Ein weiteres Mittel ist, eigene Themen zu setzen, statt den negativen „Posts“ zu viel Raum einzuräumen. Es ist wichtig, seriöse Stimmen sichtbar zu machen, und sich nicht von den Wut-Usern die Themen diktieren zu lassen. Und auch durch Spenden an Initiativen, wie zum Beispiel Hate-Aid, kann man etwas bewirken. Niemand kann im Alleingang das Problem lösen, aber es gibt viele kleine Schritte, die man machen kann, um zu helfen, damit es eine Spur besser wird.

Woher kommt der Hass im Netz? Warum wird dort so offensichtlich, was in der Gesellschaft sonst nicht so stark präsent ist?

Im Artikel "Das Internet, ein Ort um Haltung zu zeigen", kommt auch Alexander Urban von #ichbinhier zu Wort. Hier geht's zum Artikel.

Mehrere Faktoren sind im Internet anders. Das Erste ist die so genannte Unsichtbarkeit. Im Internet kommunizieren wir ja meistens schriftlich, ich kann mein Gegenüber nicht sehen. Deshalb fehlen mir nonverbale Signale wie Mimik, Gestik und Augenkontakt. Genau diese Signale fördern Empathie. Es ist unglaublich schwierig, einer Frau auszurichten, sie sei eine Schlampe und sie gehöre vergewaltigt, wenn man ihr dabei in die Augen sehen muss. Das ist ein Faktor der so genannten Online-Enthemmung.

In diesem Zusammenhang gibt es auch den Begriff der Echo-Kammern. Was ist darunter zu verstehen? Eine der schönsten Facetten des Internets ist, das sich jeder in seine Interessen vertiefen kann. Wenn Sie sich für italienische Literatur interessieren, werden Sie passende Facebook-Gruppen finden. Oder wenn Sie sich für Motorsport interessieren werden Sie eine Unmenge an Facebook-Gruppen und Seiten mit Gleichdenkenden finden. Das Problem ist, dass das auch mit politischen Interessen so funktioniert. Ein kleiner Teil der User zieht sich in politische Echokammern zurück. Das sind Räume, in denen sie nur mit Gleichdenkenden konfrontiert sind. Diese User bestätigen sich gegenseitig. Emotionale Beiträge erhalten dort extrem positives Feedback. Die meisten Menschen nutzen das Internet nicht zur Selbst-Radikalisierung. Aber ein Teil der User hat eine extrem einseitige Informations-Diät und liest vorrangig Meldungen die sie bestätigen. Diese Beobachtung gibt es auch außerhalb des Internets: Wenn Menschen vorrangig unter Gleichdenkenden kommunizieren und sich wenig mit anderen austauschen, dann versteift sich ihre Meinung und sie beziehen umso radikalere Positionen.

Ein weiterer Faktor ist Emotionalität im Allgemeinen. Wut aktiviert Menschen, wütende Menschen gehen eher wählen und verteilen eher Flyer für ihre Partei, das haben Studien gezeigt. Wenn ein Artikel Sie auf die Palme bringt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie darauf klicken und wissen wollen, worum es genau geht. Dadurch erhalten solche Artikel oft größere Reichweiten. Wenn ich provokativ schreibe bekomme ich oft mehr und besseres Feedback. Das ist ein Problem für unsere Debattenkultur, das Emotion so belohnt wird. Da kann das Zusammenspiel von Mensch und Maschine dazu führen, dass provokante Inhalte unheimlich erfolgreich und sichtbar werden.

Welche Rolle spielen Falschmeldungen?

Falschinformationen sind Brandbeschleuniger für Hass im Netz. Sehr häufig werden Politikern falsche Zitate in den Mund gelegt. Nutzer lesen das, glauben es, und beleidigen diese dann. Man muss sich dessen bewusst sein, dass Falschmeldungen ein Instrument der Wut sind, um Menschen zu Entgleisungen zu führen. Daraus lässt sich folgendes ableiten: Wenn ich Dinge lese, die mich unglaublich wütend machen, dann ist das häufig schon ein Warnsignal und ich sollte hinterfragen: Stimmt diese Meldung wirklich? Schauen Sie sich die Quelle an, geben Sie in google die Seite ein und schreiben Sie dahinter das Wort Faktencheck, oder schauen Sie was seriöse Medien über diese Seite schon geschrieben haben. Wenn es eine besonders unseriöse Seite ist, gibt es häufig schon warnende Artikel. Zweitens kann man Leute, die Behauptungen aufstellen, nach deren Quellen fragen. Häufig posten sie dann den Link zu einer unseriösen Quelle. Ich kann darauf hinweisen, dass diese Quelle schon häufig durch Falschmeldungen aufgefallen ist. Es geht nicht in erster Linie darum, die Person zu überzeugen, sondern Mitleser aufmerksam zu machen, damit sie nicht auch darauf hereinfallen.

Wie sehen Sie die Entwicklung?

Es wird schlimmer und besser. Das Internet wird mit jedem Jahr wichtiger, das Potpourri der sozialen Kanäle wie Facebook, Youtube und Instagram hat eine unglaubliche Macht. Gleichzeitig sehe ich auch positive Signale. Die Zivilgesellschaft ist aufgewacht und hat gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Zivilcourage hat sich herausgebildet. Damit einhergehend gibt es professionelle Akteure wie Hate-Aid, die wirklich unterstützen, oder wie #ichbinhier, die Zivilcourage gemeinsam organisieren. Sie werden den Hass im Netz nie ganz weg bekommen, Sie bekommen ihn ja auch nicht aus dem Rest der Gesellschaft. Ich glaube, was wir schaffen können ist, dass es eine Spur besser wird. Allein das wäre schon eine große Errungenschaft.

Interview: Julia Hoffmann

 

Buchtipp: Ingrid Brodnig: Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können, Brandstätter Verlag, 232 Seiten, 17,90 Euro