Weltflüchtlingstag
Es kommen weniger Flüchtlinge
Über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni erinnert an ihr Schicksal. Vor drei Jahren suchten Hunderttausende eine Zuflucht in Deutschland. Wie sieht es heute aus? Wie viele Menschen kommen noch?
Männer, die kaum etwas bei sich tragen, Frauen mit Kindern auf dem Arm und Familien, die tagelang unterwegs sind. Diese Bilder haben das Jahr 2015 geprägt. Offiziell registrierten die Behörden damals 890 000 Menschen, die in Deutschland Asyl suchten. Das Bundesamt für Migration und Flucht (Bamf) war mit den vielen Asylanträgen überfordert. Der aktuelle Bamf-Skandal zeigt, dass Tausende Flüchtlinge unberechtigt eine Aufenthaltserlaubnis erhielten.
Doch wie viele Menschen kommen heute nach Deutschland? Seit 2015 sinkt die Zahl stetig: 2016 kamen noch 280 000 Asylsuchende, im vergangenen Jahr noch knapp 187 000. Damit liegt die Zahl unterhalb der Obergrenze, die die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart hat.
Auch die Vereinten Nationen beobachten, dass die Zahl der Menschen, die Europa erreicht, weiter sinkt. Allerdings haben sich die Routen verändert. Weniger Menschen wagen die Überfahrt über das Mittelmeer von Libyen nach Italien, dafür versuchen vermehrt Flüchtlinge von der Türkei über die westlichen Balkanstaaten Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kroatien nach Serbien zu reisen. Seit Januar sind 4300 Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina eingetroffen, berichtet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen – fünfmal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Sie harren in den Städten nahe der kroatischen Grenze aus. Mehrere Menschen sind bei dem Versuch, die Grenzflüsse Evros nach Griechenland und Kolpa nach Slowenien zu überqueren, ertrunken.
„Die Abschottungspolitik führt dazu, dass mehr Menschen sterben, nicht, dass weniger kommen“, sagt Dorothee Haßkamp vom Jesuitenflüchtlingsdienst. „Unserer Erfahrung nach verlässt niemand seine Heimat und seine Familie für ein paar Euro vom Sozialstaat. Viele Flüchtende erhoffen sich Frieden, Rechtsstaatlichkeit und die Chance, mit ihren engsten Angehörigen ein normales Leben zu führen. Hoffnungen, die sie vermutlich mit den meisten Deutschen teilen“, sagt Haßkamp.
Ein Drittel der Asylsuchenden erhält ein Bleiberecht
Die meisten Menschen, die Deutschland erreichen, stammen aus Syrien, dem Irak, Nigeria, Afghanistan und dem Iran. Bis Ende April haben sich in diesem Jahr 54 790 Menschen in Deutschland registriert. Gut ein Drittel der Flüchtlinge, die einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flucht stellen, erhalten einen Schutzstatus.
„Wir tun in Deutschland so, als würden wir eine riesige Belastung auf uns nehmen, wenn ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in unserem reichen Land Flüchtlinge sind“, sagt Haßkamp. Dabei blieben die meisten Flüchtlinge als Binnenvertriebene in ihrem Land oder würden von Entwicklungs- und Schwellenländern aufgenommen. „Nur ein Bruchteil der Menschen kommt nach Europa“, sagt Haßkamp. Zum Beispiel hat der Libanon mit gut sechs Millionen Einwohnern bis Ende 2016 eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland habe zwar 2015 für europäische Verhältnisse viele Flüchtlinge aufgenommen, seither habe sich Europa aber wieder abgeschottet, sagt Haßkamp.
Von Kerstin Ostendorf