Katholische Frauen nähen Schals für neue Rabbinerinnen und Rabbiner
"Es war uns eine große Ehre"
Wenn Anfang Dezember künftige Rabbinerinnen und Rabbiner in Potsdam in ihre Ämter eingesetzt werden, tragen sie Gebetsschals aus der Grafschaft Bentheim. Frauen aus St. Marien in Nordhorn haben die Tücher genäht.
„Das sind die guten Stücke“, sagt Anne Minnich und zeigt auf zwei Tische. Dort liegen sorgfältig nebeneinander ausgebreitet neun Tallitot aus naturweißer Seide. Tallit, im Plural Tallitot, – so heißen die breiten Schals, die gläubige Juden zum Gebet über ihren Schultern tragen. Diese neun Tücher sind in Nordhorn entstanden, in der Nähwerkstatt der Katholischen Frauengemeinschaft (kfd) der St.-Marien-Gemeinde. „Es war uns eine große Ehre“, sagt Anne Minnich im Namen der ganzen Gruppe und freut sich sichtlich über diese besondere Art christlich-jüdischer Zusammenarbeit.
Zu der kfd-Nähwerkstatt gehören zwölf Frauen. Schon seit etwa 15 Jahren treffen sie sich regelmäßig im Gemeindehaus von St. Marien und nähen, was Maschinen und Nadeln hergeben: Einkaufsbeutel und Patchworkdecken, Kissen und Spitzenschals, Banner und Broschen. Meist kaufen sie die Stoffe dafür nicht extra ein, sondern arbeiten Stoffreste und -spenden geschickt neu auf. Sogar manches alte Oberhemd bekommt dann einen neuen Zweck: „Upcycling“ mit kunstvollen Applikationen und akkuraten Biesen.
Die jüdischen Gebetsschals aber – diesen Auftrag haben die Frauen der Nähwerkstatt zum ersten Mal übernommen. Gedacht sind die Tallitot für künftige Rabbinerinnen und Rabbiner, die an einem Kolleg in Potsdam für ihren Dienst in jüdischen Gemeinden ausgebildet werden. Zu ihrer Ordination bekommt jede und jeder von ihnen einen solchen Tallit.
Kooperation mit dem Frauenmissionswerk
Und auch das hängt mit einer religionsübergreifenden Kooperation zusammen. Das Kolleg erwirbt die Schals beim päpstlichen Missionswerk der Frauen – eine Bewegung, die sich für benachteiligte Frauen in Afrika, Asien, Südamerika und Osteuropa einsetzt. Mit dem Verkaufserlös werden dann verschiedene Frauenprojekte unterstützt, zum Beispiel für junge Mütter oder Witwen in Ruanda.
Die Tücher selbst entstehen seit Jahren in ehrenamtlicher Arbeit beim Frauenmissionswerk, bislang durch eine Näherin aus Mainz. Diese hatte ihre Aufgabe im vergangenen Jahr aus Altersgründen aufgegeben. Und wer macht künftig weiter? Durch persönliche Kontakte zwischen der Katholischen Frauengemeinschaft in Nordhorn und dem Frauenmissionswerk im Bistum Osnabrück erreichte diese Anfrage die kfd-Nähwerkstatt in St. Marien. „Das sind die Netzwerke unter Frauen“, sagt Anne Minnich mit einem Lächeln.
Lange überreden musste sie ihre Mitstreiterinnen nicht zu diesem Projekt. Martina Püttmann, Adelheid Börger, Ingrid Altendeitering, Helga Lühn und Monika Fangmeyer sagten rasch zu, die Schals für die Potsdamer Ausbildungsstätte ab jetzt zu nähen. Und das sorgfältig und exakt wie gewohnt.
Viele Informationen gingen in der Folge zwischen der Grafschaft Bentheim und Brandenburg hin und her, per Post und zuweilen auch in langen Telefonaten. Denn vor der ersten Naht an einem Gebetsschal gibt es aus religiösen Gründen einiges zu beachten. So dürfen zum Beispiel am selben Tallit keine tierischen Textilien (Wolle oder Seide) mit pflanzlichen Fasern (Baumwolle oder Leinen) vermischt werden. Die kfd-Nähwerkstatt entschied sich für reine Seide und ein Kunstgarn.
Jeder Stich mit Respekt und Hochachtung
Wie lang jeder Schal sein darf und welche Farben die Streifen darauf haben sollen – dabei orientierten sich die Nordhorner Frauen an der Größe und den bunten Wünschen der jeweiligen Absolventinnen und Absolventen. Die eine hatte sich für ein strahlendes Blau in mehreren Nuancen entschieden, der nächste für ein sattes Grün in Abstufungen. Aber auch rosa oder graue Streifen zieren manchen Tallit. In der Länge messen die Schals 1,50 bis 1,90 Meter. Am Ende stanzten und nähten die Nordhorner Frauen von Hand Löcher in die Schals: für lange, weiße und mehrfach geknotete Schaufäden (Zizit). „Aber das passiert dann direkt in Potsdam“ sagt Anne Minnich.
Für sie und die ganze Gruppe aus St. Marien waren die Tallitot ein besonderes Projekt. „Wir reden ja hier nicht von einer Bluse oder einer Einkaufstasche, sondern von einem liturgischen Kleidungsstück“, sagt Martina Püttmann. Jeden Stich setzten die Näherinnen daher mit viel Respekt und Hochachtung. Und in dem Wissen, dass sie damit vielleicht eine neue Brücke zwischen Nordhorn und Potsdam schlagen. Dort ist man laut Minnich begeistert von diesen Schals – und freut sich auf weitere.
Petra Diek-Münchow