Mangelernährung
Essen und gesund bleiben
Andrea Kolhoff
Mehr Sahne und weniger Verzicht – auf diese Formel könnte man die Ernährungsratschläge bringen, die Experten gegen Unterernährung im Alter aufstellen. Denn wenn schlankheitsorientierte Frauen auch im Alter nur im Essen picken, nehmen sie zu wenig Nährstoffe auf, sie sind schnell kraftlos und viel infektanfälliger als Personen, die sich durch die Mahlzeiten ausreichend mit Energie und Nährstoffen versorgen.
Dass ältere Menschen nicht genügend essen, kann neben Schlankheitsvorstellungen auch andere Ursachen haben. Manche können nicht gut kauen, weil die Zahnprothese schlecht sitzt, anderen fällt das Schlucken schwer, viele können sich selbst kein Essen mehr zubereiten. Depressionen und Suchterkrankungen führen zu Appetitlosigkeit. Experten aus der Krankenpflege legen in dem Ratgeber „Mangel- und Unterernährung“ aus dem Trias-Verlag dar, wie Angehörige dann helfen können.
Erstes Alarmzeichen
Mediziner Christian Löser, Diätassistentin Angela Jordan und Krankenschwester Ellen Wegner wenden sich in ihrem Buch an die Angehörigen und erklären verständlich, welche Maßnahmen und welche Spezialkost bei Mangelernährung helfen. Wie sie schreiben, ist der Begriff Mangelernährung in der Wissenschaft nicht klar definiert. Die Autoren raten aber dazu, alarmiert zu sein, wenn Mutter, Schwiegervater oder Tante unbeabsichtigt Gewicht verlieren. Wer die Kilogrammwerte aus der Vergangenheit und von heute nicht kennt, kann sich daran orientieren, ob die Kleidung zu schlockern beginnt und Hosen ohne Gürtel zu locker sitzen. Dann muss mit kalorienreichem Essen dagegengesteuert werden, und das gilt auch für Übergewichtige, die ungewollt Gewicht verlieren. „Gerade alte, betagte und chronisch kranke Menschen sollten nicht abnehmen und benötigen bei eintretendem Gewichtsverlust aus medizinischer Sicht unbedingt eine intensive Ernährungsbetreuung, selbst wenn sie objektiv gesehen trotz des Gewichtsverlusts noch übergewichtig sind“, heißt es in dem Buch.
Zu wenig Muskelkraft
Dringender Handlungsbedarf besteht, wenn die Betroffenen müde und kraftlos wirken und die körperliche Schwäche mit verminderter Muskelkraft einhergeht. Dann helfen auch keine Vitaminpräparate – der Körper braucht genügend Nährstoffe und vor allem Eiweiß, um Muskeln aufzubauen. Nicht umsonst trinken Bodybuilder ihre Proteinshakes. Anzeichen für Eiweißmangel sind nach Angaben der Autoren dünne Oberarme und Beine, eingefallene Wangen, hervorstehende Schulterknochen und besonders die Rückbildung der Kaumuskulatur und der kleinen Handmuskulatur. Achten Sie darauf, ob Ihr Angehöriger noch genügend Kraft in den Händen hat: ein Glas Wasser gut greifen kann oder den Rollator fest umklammern kann.
Eiweißreich essen
Um gegenzusteuern, sollte die Person, die von Mangelernährung betroffen ist, zum einen genügend essen, zum anderen kalorien- und eiweißreich essen. Simpler Ratschlag für diejenigen, die selbst kochen: Saucen mit Sahne anreichern, Vollmilch verwenden statt Milch mit 1,5 Prozent Fett, Frischkäse statt Hartkäse essen, Sahnejoghurts bevorzugen und Quark mit 40 Prozent Fettanteil statt Magerquark nehmen. Aufs Brot kommt Butter statt Margarine. Es geht um eine gehaltvolle und eiweißreiche Ernährung. Es ist alles erlaubt, was jungen Leuten, die abnehmen wollen, verwehrt wird.
Ursachen suchen
Die kalorienreiche Ernährung kann also helfen, jemanden aufzupäppeln. Es reicht aber nicht aus, diese Dinge für jemanden einzukaufen. Angehörige müssen auch nach den Ursachen forschen, warum jemand zu wenig isst. Vielleicht würde die Mutter noch selbst kochen, bekommt aber die Dosen mit Erbsen und andere Verpackungen nicht mehr auf, auch eingeschweißte Fertigprodukte für die Mikrowelle können ein Problem sein. Dann sollte man Essen bei einem Essensbringdienst bestellen.
Wenn eine beginnende Demenz der Grund für die Mangelernährung ist, haben die Betroffenen zum Beispiel vergessen, wie Speisen zubereitet werden. Manche vergessen auch, das, was der Bringdienst gerade geliefert hat („Stellen Sie das erstmal da hin“), zu verspeisen. Dann kann es helfen, die Angehörigen in einer Tagespflegeeinrichtung anzumelden. Dort wird gemeinsam gegessen und die Besucher haben zu Hause keine Arbeit mit der Zubereitung. Eine Tagespflegeeinrichtung kann an einem Tag in der Woche, aber auch an fünf Tagen besucht werden.
Zahnprobleme
In manchen Fällen sind Zahnprobleme der Grund dafür, dass nicht genügend gegessen wird. Oft sitzt die Prothese nicht gut. Angehörige, die für Vater oder Mutter mitkochen, können Speisen anbieten, die nicht so stark gekaut werden müssen: Kartoffelbrei statt Pommes frites, Hackfleischbällchen statt Schnitzel. Suppen und Eintöpfe lassen sich pürieren und mit einem Klecks Crème fraiche verfeinern. Zum Frühstück gibt es Hafersuppe oder Grießbrei, Obst kann als Apfelmus oder weiche Birne gereicht werden. Das Buch enthält einen Rezeptteil mit vielen Vorschlägen. In manchen Fällen leiden Senioren auch an Schluckbeschwerden. Dann sollte ärztlicher Rat eingeholt werden.
Veränderter Geschmackssinn
Oft hat sich auch der Geschmackssinn der Menschen verändert, ehemalige Lieblingsspeisen werden gar nicht mehr gern gegessen. Vor allem Gerichte mit Gemüse und Salaten, die Bitterstoffe enthalten wie Chicoree oder Rucola, werden abgelehnt. Viele Demenzkranke bevorzugen Lebensmittel, die süß schmecken, und machen sich über Pudding her.
Medikamente
Hausärzte sollten genau überprüfen, ob ein Zuviel an regulär verordneten Medikamenten zu Appetitverlust geführt hat. Manche Menschen leiden auch an Nahrungsmittelunverträglichkeiten, vertragen zum Beispiel keine Weizenprodukte (Zöliakie), keinen künstlichen Fruchtzucker (Fruktose) oder Zuckeraustauschstoffe oder Milchzucker. Die Experten weisen darauf hin, dass man trotz Milchzuckerintoleranz Butter und Hartkäse essen darf.
Medizinische Zusatznahrung
Wenn Senioren zu stark abgenommen haben, sollten Angehörige mit Arzt oder Ärztin besprechen, ob Zusatznahrung nötig ist. So können Getränke und Smoothies mit medizinischer Zusatznahrung angereichert werden. Ob im Extremfall eine Magensonde gelegt werden muss, sollte gründlich überlegt werden.
Literaturtipp: Christian Löser/Angela Jordan/Ellen Wegner, Mangel- und Unterernährung, Trias-Verlag, 22,99 Euro